Im Luxembourg-Museum in Paris hängt in der englischen Abteilung Sargents Carmencita, die spanische Tänzerin in leuchtend gelber Seide gekleidet, keck herausfordernd in Haltung und Ausdruck, die Arme gegen die Hüften gestemmt, sinnlich und mit dem stolzen Bewußtsein der Schön- heit des Südens. Sinnlich sind die vollen roten Lippen, sinnlich ist die Flamme der schwarzgeränderten, mandelförmigen Augen. Ein wollüstiger Zauber strahlt aus der ganzen Erscheinung. Eine ähnliche Gestalt ist die Hauptfigur des schönen Bildes .,El Jaleo", nur zeigt er uns da die spanische Tänzerin im vollen Wirbel zuckender Bewegung. Das ist nicht der zahme Tanz des kühlen Nordens; das ist die konvulsive Bewegung der Hüften, des Oberkörpers, der Arme, welche den monotonen Klang dünner Instrumente rhytmisch markiert. Ein Arm ist mit losem Handgelenk der Tanzbewegung folgend in die Luft geschleudert, der andere gegen die Hüfte gestemmt, so daß der Ellbogen mit kühner Drehung nach vorne gebracht ist und die Muskelspannung die strukturelle Entwicklung des Armes zeigt. Der Oberkörper ist zurückgeworfen, aber alle diese leiden- schaftliche Bewegung ruft doch nicht jenen Eindruck des Unbehagens, der Instabilität hervor, welcher so häufig in der Malerei und Skulptur vom Festhalten eines Bewegungsstadiums resultiert. Dieses köstliche Gleich- gewicht findet man überhaupt immer bei Sargent, wenn er sich mit dem Ausdruck der Bewegung befaßt und die meisten seiner Bildnisse sind unendlich lebendig aufgefaßt. Er weiß den kurzen Moment der Ruhe in der Bewegung festzuhalten und vermeidet so die unangenehme Wirkung der Momentaufnahme, die eine Phase der Bewegung selbst versteinert. So wie die beiden genannten Bilder die Luft Spaniens ausatmen, so deutet Sargent in der Aktstudie „Aegyptisches Mädchen" mit einigen kühnen Pinselstrichen die schlangenartige Geschmeidigkeit der Glieder und die elfenbeinartige Mattheit und Glattheit der Haut der Nordafrikanerin an. Ich habe diese extremen Beispiele von stark markierten Rassenunter- schieden angeführt, um zu zeigen, daß sich Sargent nicht mit der-ober- liächlichen Beobachtung von Nationalcharakter und Kostüm begnügt, sondern tief in das innerste Wesen des Dargestellten eindringt. Weniger augenscheinlich, aber von ebenso großer psychologischer Feinheit ist seine Beobachtung und Auffassung von Persönlichkeiten aus der englischen und amerikanischen Gesellschaft. Hier findet man, besonders bei den Damen, nicht mehr den ungezügelten Ausdruck des natürlichen Impulses. Das gesellschaftliche Leben schreibt das Tragen einer Maske vor und der Durchschnittsporträtmaler sieht nichts als diese Maske, welche Sargents Auge suchend und erkennend durchdringt. Wozu sollen wir ihm aber in dieser Forschung folgen? Für uns mag es genügen, daß Sargent uns in einer unübertroffenen Bilderreihe die Anmut, die Schönheit, den Schliff, die ganze Kultur der englischen Frauenwelt unserer Zeit gegeben hat. Seine Bildnisse von Damen aus der höheren Gesellschaft sind von unbeschreiblicher Grazie und Eleganz. Sie atmen