DIE KUNST VON GEORGE FRED. WATTS S0 VON KEUDELL-LONDON 50 N der Royal Academie drängt sich täglich die Menge vor den Werken dieses Meisters, der von vielen als der größte englische Maler des XIX. Jahrhunderts betrachtet wird. Mit welchem Gefühle nun verläßt der Besucher die Ausstellung von Watts Bildern im Burlington House? Ich muß sagen, es ist das Gefühl der Enttäuschung, und der strebende Kunstjünger sieht sich um eine Illusion ärmer. Die Anzahl der ausgestellten Werke reprä- sentiert den Meister in seinem gesamten Können. Das Publikum ist daher zum ersten Mal im stande, über die außer- gewöhnliche Mannigfaltigkeit desselben zu urteilen. Es ist sonderbar genug und beleuchtet die Trugschlüsse der populären Auffassung, daß Watts gerade in der Eigenschaft als symbolischer Maler und nicht eher als Porträt- maler berühmt wurde. Seine persönliche Auffassung nämlich war so markant und gebieterisch, daß sie völlig die Bilder beherrschte und durchdrang. Der große Moralist Watts hatte ein Bekenntnis, voll von Schönheit, Licht und Hoffnung und er blickte auf die Welt wie auf ein Schlachtfeld, auf dem die guten und bösen Mächte ihre Kämpfe ausfochten; seine Gedanken aber brachte er auf die Leinwand, um den Beschauern durch die bildlichen Gleichnisse seine Lehren einzuprägen. Des Mannes persönliche Anziehungskraft war unwiderstehlich. Etwas Edles und Großes lag in seiner Mißachtung aller äußeren Ehrungen, sein Geist schien über der Erde zu schweben und blieb dennoch so menschlich durch das Zärtliche seiner Empfindung und durch sein lebhaftes Mitgefühl. Watts bestbekannte Allegorien handeln von der Liebe. Liebe betrachtet er als die herrschende Macht im Leben, als das göttliche Element, ja selbst als den Besieger des Todes. Liebe und Leben, Liebe und Tod waren zwei seiner Lieblingsthemen, von denen er uns verschiedene Deutungen gegeben hat. In „Liebe und Leben" sehen wir, wie die Liebe als ein Schutz- engel mit ausgebreiteten Fittichen dem bangen, zaghaften Leben über den felsigen, steilen Pfad hinweghilft. Das Leben wird da als ein Mädchen dar- gestellt, das zaghaft auf die Steine tretend, sich voll Zuversicht der Führung der Liebe anvertraut. Jenes Mädchen ist sehr zart gestaltet, was man nicht gerade von allen nackten Gestalten Watts sagen kann. In dem großen Bilde „Liebe und Tod", im Besitz des Manchester Whitworth Instituts, steht der Tod vor einer halboffenen Türe, die er eben mit der einen Hand aufstoßen will. Seine mächtige Gestalt hat uns den Rücken zugekehrt und ist in ein graublaues Gewand gehüllt. Ihm den Weg versperrend steht die Liebe, ein halberwachsener Knabe, vor dem sich die