Jvv Wir haben in diesen Beispielen immer eine sehr entwickelte Formen- sprache vor uns, die in gewissem Sinne die Endpunkte langer Stufenreihen von Zwischengliedem charakterisiert und darum dem modernen Menschen ihre Unnahbarkeit entgegenhält. Wir wenden uns nun den Beispielen zu, die in ihrer größeren Häufigkeit weit verbreitete Fähigkeiten ausdrücken. Die charakteristischen Platz- und Straßenbildungen in Gelnhausen, Braunschweig, Hildesheim, die noch erhaltenen Fleete in Hamburg setzen sich zumeist aus Bauwerken zusammen, die vorwiegend dem Kaufmannstand und dem Handwerkerstand ihre Ent- stehung verdanken und in der Mehrzahl dem oben geschilderten Typus des schmalen Familienhauses angehören. Wie aber das Fachwerkhaus an sich durch Wiederholung und Reihung flächenmäßig behandelter Bauglieder sein Leben erhält, so wird wieder die Reihung der Giebelfronten, der Wechsel von belebten Dachbildungen über gleichmäßiger Grundform das wichtigste Hilfsmittel zur Erzielung bewegter Platz- und Straßenbilder. Ins- besondere Hildesheim ist unerschöpflich an Abwechslung. Die ganz einzige Art, in der hier ein ausgebildetes Bausystem, durch Mannigfaltigkeit der Anwendung immer neue künstlerische Überraschungen bietet, gibt dieser merkwürdigen Stadt eine besondere Stellung. Die Motive der Detailformen nähern sich zumeist jenen, welche die Renaissancezeit auch dem Stein gegeben hat. Konsolen, Pilaster, Füllbretter, alles durch Schnitz- werk und meist mit symbolisch-figuralen Darstellungen aus der Mythologie der Alten oder der Bibel geschmückt, lassen das Starre des Holzgerüstes verschwinden, ohne aber seine grundlegende Bedeutung zu alterieren. All dieser reiche Schmuck wird durch seine Häufigkeit und Wieder- holung hier zu etwas so Gewöhnlichem, daß er nicht mehr auffällt und wie eine natürliche Handwerksäußerung auftritt. So trefflich und vollendet oft diese Detailarbeit ist, sie bildet nur den Ausdruck eines großen Reichtums an Phantasie und Schmuckbedürfnis, der aber immer von den Grenzen des Materials, von der Unterordnung unter das Ganze beherrscht wird. Sie zeugt für das hohe Niveau des Handwerks, das sich hier zu den schönsten Aufgaben der bildenden Kunst erhebt und läßt keinen Augenblick den Gedanken aufkommen, als hätte sich etwa die hohe bildende Kunst zum Handwerk erniedrigt, wie dies die reich geschmückten Bauten unserer Tage stets betonen. Ein Gegenstück zum deutschen Fachwerkbau bildet jener der Nor- mandie; Lisieux kann beinahe Hildesheim gegenübergestellt werden. Inter- essant ist hier die starke Betonung der Vertikalrichtung. Die Ständer wiegen vor; durch enggestellte vertikale Stützen, die mitunter auch reichen plastischen Schmuck tragen, in einfachen Fällen ganz glatt bleiben, wird ein konstruktives Motiv zum Flächenomament gesteigert. Halten wir das strenge Festhalten konstruktiver Grundzüge durch weite Gebiete, das regelmäßige Wiederkehren eines einheitlichen Schemas