u-n: Straße in Kaltern, Tirol Daß trotz der zahlreichen lokalen Unterströmungen, nationalen Tradi- tionen und Pressionen von oben, die Eigenart sich auswachsen und ent- wickeln kann, zu geschlossenen Charakteren gesteigert wird, ist eine sehr beachtenswerte Erscheinung. Betrachten wir die Zustände des bürgerlichen Bauwesens im Süden Tirols, so bieten sich vielfach die Beweise für das oben Gesagte. Als typisch mag hier die Bozener Gegend hervorgehoben werden. Es ist ein fruchtbares Weinland, dessen Bewirtschaftung einst großen Wohlstand erzeugte. Die Nähe Italiens und das südliche Klima des weit geöffneten Talkessels sind dem Einfluß welscher Baukunst entgegenge- kommen. Der durchziehende lebhafte Handelsverkehr hat die Gelegenheiten gemehrt. Hat aber noch Trient einen ganz ausgesprochenen italienischen Charakter, so tritt in Bozen und seiner Umgebung sichtbar eine Umwandlung auf. In der Grundrißbildung herrscht wohl der umbaute Hof vor, der schon im antiken niedrigen Hause Italiens und Griechenlands zur Kunstform ent- wickelt war und von den Baukünstlern der Renaissance für die mehr- stöckigen Palastbauten ausgebildet wurde. Dieser Hof erfährt aber eine eigenartige Umbildung zu geschlossenen, mit Lichthauben von oben be- leuchteten Binnenräumen, die in kleineren I-Iäusern ganz die Aufgaben der nordischen Diele erfüllen. Auch in der Bildung der Wohnräume äußern sich nordische Sitten und Bedürfnisse, indem Erker und hölzernes Wandgetäfel die Wohnlichkeit und Intimität steigern; diese Freude an der Ausbildung des behaglichen