Eine stilistisch sehr interessante Erscheinung aber ist es, daß die gotischen Formen in Deutschland sich nicht mit den eben herrschenden Formen des Empire- oder Biedermeierstils verbinden, sondern das eine oder andere Möbel vollständig in gotischem Stil gefertigt wird, der eben parallel mit den anderen Stilen ein vollständig selbständiges Dasein führt. Um nur einige Beispiele anzugeben, sei die Abbildung eines „Schrankes in gotischem Geschmack" in der Zeitschrift „Magazin für Freunde des guten Geschmacks" erwähnt, die in Leipzig bei F. A. Leo erschien."' Dieses Möbel aus dem Jahre 1790 ist vollständig architektonisch konstruiert, die Schrank- türen als Fenster mit Vierpaßmotiven und Fischblasenornamenten gebildet, das oben mit einer Kreuzblurne verziert ist. Ganz ähnlich wie dieser Schrank ist ein Ofen aus derselben Zeit, der nur rein gotische Formen aufweist, während auf demselben Blatte noch zwei andere Öfen abgebildet sind, von denen der eine mit Malerei in Rot auf schwarzem Grunde in der Art der antiken Vasenmalerei, der andere eben- falls in der Art der Antike mit Säulen und plastischen Motiven geschmückt ist. Genau dasselbe finden wir viele Jahre später in einer anderen Zeitschrift, dem „Journal für Literatur, Kunst, Luxus und Mode" aus dem Jahre 1816," in dem auf einem Blatte vier Öfen aus der Scheibenberger Tonöfenfabrik im Erz- gebirge als Muster vorgeführt werden, von denen die ersten drei in der Form antiker Stelen gehalten sind, der vierte aber in rein gotischem Stil, mit Wimperg, Krabben und Fialen gebildet ist. Besonders beliebt war schon am Ende des XVIII. Jahrhunderts die Ver- wendung des gotischen Stils bei der Anlage von Lusthäusern, Einsiedeleien und Kapellen in den weiten Parkanlagen, die ja zu dieser Zeit zum großen Teil im englischen Stil, das heißt als Nachahmung eines Stücks der Natur, angelegt waren. Es soll hier auf einige Entwürfe hingewiesen werden. die ebenfalls im „Magazin für Freunde des guten Geschmacks" in der Abteilung: „Ideen für Gartenfreunde" im Jahre 1797 abgebildet sind, unter denen besonders stim- mungsvoll die Anlage eines gotischen Gartenhauses an einem Weiher in der Art einer Kapelle und ein Brückenturm mit gotischen Zinnen und einer gotischen Vorhalle und Brücke erscheint. Aus demselben romantischen Geiste heraus, dem der gotische Stil eben viel mehr zusagte als der kühle Empirestil, ist ja auch die Franzensburg in Laxenburg bei Wien entstanden. Es wäre nicht schwer, noch eine lange Reihe von Beispielen aus dieser Zeit anzuführen, aus denen wir ersehen könnten, daß in Deutsch- land der gotische Stil um die Wende des XVIII. Jahrhunderts in reinen Formen und selbständig auftritt, im Gegensatz zu England, in dem der gotische Stil zu allen Zeiten sich mit den eben herrschenden Stilarten verbunden hat. 4' Mit dem Untertitel: Ideen zu Ameublemem, Band V, Heft 3, Tafel XXVII]. i" Seite 849.