In der zweiten Vorlesung lenkte Custos Falke die Aufmerksamkeit seiner Zuhörer auf die Geschmackszustände in Italien in derselben Zeit, deren Physiognomie dies- seits der Alpen er in der vorigen Vorlesung charnkterisirt hatte. Hier begegnen wir nicht der Bath- und Haltlosigkeit, welche in Deutschland ein Durcheinander der widerstrnbend- sten Principien und Neigungen schufen; Literatur und Kunst wenden sich gleichmässig der einen Quelle der Verjüngung, dem Alterthume, zu und erfüllen das gesammte Leben des 15. Jahrhunderts mit einem gewissen Abglanz classischen oder heidnischen Glauzes. Allein die Welt der Erscheinungen ist darum kaum weniger mannigfaltig, da das wiedererweckte Griechen- und Römerthum die Elemente, welche es vorfand, nicht einfach verdrängte, son- dern mit denselben eine Verbindung einging, aus der eben der neue Styl der Renaissance hervorging. Noch bestand die Gothik in der Architektur, die Literatur nahm eben damals einen nationalen Aufschwung, die Hinueigung zum Naturalismus in der Kunst war auch in Italien vorhanden und spricht sich in der Ornamentik der Friihrenaisaance aus, antikes Heidenthum musste sich auf der einen Seite mit der Prachtliebe und eitlen Weltlust der Zeit, auf der andern mit christlicher Frömmigkeit versöhnen. Genaueres Studium der Natur erlöste die Figurenzeichnung aus ihrer mittelalterlichen Steifheit und Gebundenheit, die Antike lehrte im Ornament die Natur veredeln und deren Formen so darstellen, wie die Natur ohne zufällige Störungen und Ableitungen sie ausgeführt haben würde, und eine be- sondere Ausbildung fand das Relief, welches in dieser Zeit nicht nur als alte, mezso, baue, sondern auch als banissinw reliwo erscheint. Das Studium der Schriften und Kunstwerke des Alterthums wird befördert und verallgemeinert durch die Erfindung des Buchdrucks, des Holzschnitte und des Kupfurstichs, und die Fliege der Literatur und Kunst wird all- gemeines Lebensbediirfniss. Die Künstler üben nicht einen einzelnen Zweig der bildenden Kunst aus, sondern sind zugleich Maler, Bildner, Baumeister und bewandert in der Lite- ratur, oft selbst productiv in derselben. Die Fürsten erkannten es mindestens als Ehren- sache, Wissenschaft und Kunst zu schützen und zu ptlegen und sich durch dieselben das Leben zu verschönern, wenn sie nicht selbst die Schüler ihrer Schützlinge wurden. Die grössten künstlerischen Genies dieser schönen Zeit, ein Rafael und Michel Angeln, gehören nicht eigentlich in diese Betrachtung, da sie über der Strömung des Zeit- geschmackes erhoben blieben, aber sie gehören doch wieder hieher, weil sie die letztere für die nächste Zukunft bestimmten. Aber in seiner Reinheit erhielt sich der Styl der Renais- sance nur, so lange ein so mächtiges Kunstgetiihl die schöpferische Thiitigkeit leitete. Als dasselbe in ihren Nachfolgern geringer wurde, trat auch alsbald an die Stelle der Harmonie Willkür und Ueberladung und die reine Renaissance artete in den Barockstyl ans. Die ersten Ausgrabungen römischer Bauwerke (Grotten, daher „grotesker Styl") Rihrten die phantastische Omamentik ein, welche wir aus Pompeji kennen. Das heidnische Ornament drang auch in die kirchliche Baukunst ein. Die Richtung auf das Seelische im Christen- thume war mit der antiken Körperschiinheit bei Rafael und Leonardo da Vinci in jene harmonische Verbindung getreten, welche wir an deren Madonnen u. s. w. bewundern; durch Michel Angele wurde das Körperliche, das Nackte ganz in den Vordergrund ge- stellt uud seine Nachahmer, weniger gewaltigen Geistes als ihr Meister, hielten sich au das Aeusserliche seiner Art und übertrieben das Kolossalc in den Formen, die Energie in den Bewegungen. Der Eintluss der acbitektonischen Formen der Renaissance iiusserte sich auch auf das Kunstgewerbe, insofern der Kuppelbau, der Rundbogen nothwendig eine entsprechende Gestaltung der Altlire, Tabernakel u. s. w. bedingten. Indessen hütete sich die Kleinkunst vor einer so unmittelbaren Nachahmung des Baustyls, wie sie in der gothischen Zeit zu beobachten ist, und hielt sich mehr an die Plastik. Ausgezeichnetes leisteten vor allen die Kunsttischlerei, die Goldschlniedekunst (Benvenuto Cellini) und die Keramik, welche in dieser Zeit durch die Majolikeu bereichert wurde, einen Kunstzweig, dessen gmllß Beliebtheit verständlicher wird, wenn man sich vergegenwärtigt, dass die so bemalten Ge- fässe nicht sowohl Eir den Gebrauch, als dazu bestimmt waren, in Credenzen und Schränken aufgestellt den Speisesaal zu schmücken. Der Redner schloss mit der Bemerkung, dass die Renaissance selbst in der Zeit ihrer Entartung immer noch ein ungleich erfreulicheres Bild gewähre als die völlige Principien- losigkeit der Gegenwart. Kleinere Mittheilungen. [Zum Programm der Vorlesungen. In der Reihenfolge der Mueenme-Vorleeun- gen ist eine Aenderung eingetreten. Herr Dom umeieber Friedrich Schmidt beginnt den Cyelus seiner Vorlesungen „über die mittelalterliche Kunst mit besonderer Beriieksichügllllg der kirchlichen und weltlichen Kleinkunst" Donnerstag den 18. Jiinner (6 Uhr Abende); Herr Baudirector Rnppert hält den angekündigten Vortrag über Briickenbenten von großer