204 Interesse für sich in Anspruch nehmen, so enthält die Geistliche Schatzkammer doch auch eine ganze Reihe künstlerisch wertvoller Gegenstände, deren Zahl freilich durch Abgabe vieler solcher, die weder zum kirchlichen Gebrauch dienen noch Reliquien enthalten, an das 1890 eröffnete Kunsthistorische Hofmuseum etwas geschmälert wurde. Den ersten Platz unter den kunstgeschichtlich merkwürdigen Dingen, mit denen allein sich diese Zeilen selbstverständlich beschäftigen wollen, nehmen unbedingt die Gobelins ein, deren schönste im Vorraume untergebracht sind. Unter ihnen wieder sticht ein kleiner Wandbehang hervor, der die Taufe Christi darstellt und Ende des XV. Jahr- hunderts in Brüssel entstanden ist. Er wirkt wie ein Bild von Dierick Bouts. Aber auch ein zweiter, ungefähr gleich großer Arazzo desselben Gegenstandes, doch schon aus dem Beginn des XVI. Jahrhunderts stammend und als Brüsseler Arbeit bereits durch den Michaelsturm dieser Stadt im Hintergrund der Darstellung kenntlich, verdient als aus- gezeichnetes Stück eingehende Betrachtung. Prachtvoll ist ferner ein großer, im Vorsaal aufgehängter Wandteppich, der zu einer Serie von Trionii gehört, den Triumph der Dreifaltigkeit darstellt, vom Anfang des XVI. Jahrhunderts stammt und sicher eine französische (nicht, wie Birk meint, eine Flämische) Arbeit ist. Die übrigen ausgestellten Stücke aus der zweiten Hälfte des XVI. und vom Beginn des XVII. Jahrhunderts sind nicht minder kostbar, sagen aber, der Manieristenzeit entwachsen, dem modernen Geschmack weniger zu. Bei dieser Gelegenheit sei es erlaubt, kurz abschweifend, einem in den Kreisen der Kunstforscher und Kunstfreunde längst gehegten Wunsche wieder einmal Ausdruck zu leihen. Das österreichische Kaiserhaus besitzt - was bei dem stets durch seinen Kunst- sinn ausgezeichneten ältesten Herrschergeschlecht auf den europäischen Thronen nicht wundernehmen kann - eine der reichhaltigsten und kostbarsten Sammlungen von Gobelins, eine Sammlung, die den Vergleich mit Madrid, Paris und Florenz in keiner Hinsicht zu scheuen hat. Viele dieser Tapisserien sind natürlich in der Hofburg und auf den kaiser- lichen Schlössern in Verwendung, der weitaus größte Teil aber liegt eingerollt oder hängt im Schönbrunner Depot. Dem Kunstfreund blutet das Herz, malt er sich aus, welche Welt der herrlichsten Bilder, woran sich Tausende und aber Tausende erfreuen könnten, da förmlich eingesargt ist. Möge doch endlich dieser köstlichste Schatz in einem eigenen Museum der Allgemeinheitdzugänglich gemacht werden! Die Benutzung der Gobelins durch den Hof brauchte dadurch keineswegs eingeschränkt oder erschwert zu werden, wie gerade das Beispiel der Geistlichen Schatzkammer lehrt, die ja auch fast durch- gehends Objekte enthält, die fortwährend zum Gottesdienst gebraucht werden und nun- mehr trotzdem der öffentlichen Besichtigung oifenstehen. Die kaiserlichen Gobelins sind nicht einmal noch ordentlich publiziert, umfaßt doch Ernst von Birks karg illustriertes knappes Inventar in den ersten beiden Bänden des Jahrbuchs nur die niederländischen Gewebe. Von den Textilien wäre noch eine gestickte Kasel aus dem Besitze Kaiser Maximilians von Mexiko zu erwähnen. Sie zeigt in plastischer Applikation aus Seidenstolfen und Schnüren den Heiland an ein Baumkreuz genagelt, dessen Fuß Maria Magdalena umfaßt hält. Zu dieser deutschen Arbeit des XV. Jahrhunderts bildet die Kasel mit dem Gekreuzig- ten und einem Engel im Kunsthistorischen Museum ein interessantes italienisches Seiten- stück ungefähr aus der gleichen Zeit. Im übrigen machen selbstverständlich die zumeist prachtvoll gestickten Paramente, von denen nur wenige unter das XVIII. Jahrhundert hinabreichten, den Hauptbestandteil der Sammlung aus. Die Kleinplastik ist besonders durch Elfenbeinkruzitixe gut vertreten. Unter dieser; sei die Gruppe der drei Kreuze mit dem Erlöser und den beiden Schächern hervorgehoben. Der rechte Schächer nämlich erinnert im Kopftypus an den sogenannten heiligen Sebastian im Hofmuseum, der samt seinem Pendant, dem heiligen Hieronymus, jüngst von Julius von Schlosser in die Nähe Leonhard Kerns gerückt wurde. Die Gruppe scheint ein Werk