454 zwei Augen hat und ungern eine so wichtige Sache vermißt, so müssen beide Augen auf eine Seite des Prol-ils gelangen. Außer den erwähnten mehr volkstümlichen Arbeiten der frühestmittel- alterlichen Zeit sind aber auch Gewebe aus kostbarer Seide zur Ausstellung gelangt, darunter ein Exemplar des bekannten sogenannten Simsonstoffes, mit den symmetrisch in I-Iorizontalstreifen geordneten Löwenkämpfern, wohl ein frühes syrisches Erzeugnis. Sonst wäre der Prachtstoff mit den symmetrischen Löwenjägern aus Sankt Ursula in Köln zu erwähnen. Aus derselben Kirche und aus dem Berliner Kunstgewerbemuseum sind auch bemerkenswerte sassanidische Stoffe mit jagd- und Kampf- darstellungen eingelangt; in den sassanidischen Kreis gehört auch der bekannte, hier wieder zugänglich gemachte, Stoff aus Sankt Kunibert in Köln mit der symmetrischen Darstellung des persischen Prinzen Bahram Gur auf der Jagd. Zu bemerken wäre auch ein Seidenstoff-Fragment aus dem Rijksmuseum in Amsterdam mit (ehemals symmetrisch angeordneten) Löwen am heiligen Baume. Wir mußten hier immer wieder von „symmetrischen" Mustern sprechen; wir gelangen damit zu einer anderen Eigentümlichkeit primitiven Kunst- Schaffens, die auch unserer europäischen und überhaupt jeder Volkskunst mehr oder weniger eigen ist und dann in feststehenden Typen (manchmal auch als Modelaune) aus primitiven Zeiten in die höher entwickelte Kunst übernommen wird. Das bekannteste Beispiel merkwürdiger Symmetrie ist ja der zweiköpiige Adler; man findet aber auch umgekehrt sogar vier radial zusammenstehende Leiber von Vierfüßern mit einem gemeinsamen, von vorne gesehenen, Kopf in der Mitte. _ Wir wollen uns hier nicht damit aufhalten, zu untersuchen, wie viel von der materialistischen Erklärung solcher Symmetrie aus der Webe- technik wirklich richtig ist, sondern wir wollen nur die Tatsache hervor- heben, daß in der Vorliebe für die Symmetrie, mindestens im Dulden der- selben auch dort, wo sie einer individueller denkenden Zeit störend erscheinen muß, wie bei figürlichen Szenen, die orientalische Kunst eben wieder mit jeder Volkskunst, mit der europäischen und außereuropäischen, übereinkommt. Die Symmetrie ist das nächstliegende und wohl auch stärkste Mittel, Ruhe und Ausgeglichenheit herzustellen, und das unter Umständen Störende tritt für den Primitiven dadurch zurück, daß seine Erinnerungs- bilder und Darstellungen überhaupt nur allgemein und nicht etwa natura- listisch sind, und daß das Auge des Primitiven _ was besonders zu beachten ist - ebenso wie das des Kindes immer nur am Einzelnen haftet und das Ganze nur als allgemeinen Linien- oder Farbenreiz empfindet. Wir sind heute ge- wohnt, Dinge, die im Raume nebeneinander dargestellt sind, als gleichzeitig zu emplinden. Wenn wir in einem Kreise zwei jagende Prinzen dargestellt sehen, können wir uns nicht vorstellen, daß das nur Ein Prinz sein soll, der eben nur zweimal dargestellt ist. Aber noch in der Gotik kann man dieselbe