KLEINE NACHRICHTEN 50 BERLIN. MÖDERNE KIRCHENKÜNST. Das Kunstgewerbe bemüht sich schon lange, auch dem religiösen Kultus neue ornamentale Ausdrucksformen zu gewinnen. Auf den Dresdener Ausstellungen sah man Kircheninterieurs und Andachts- räume, Gesangsbücher und Abendmahlskelche, und am wirkungsstärksten erschien die Betätigung in der Friedhofskunst. jetzt ist, wohl zum erstenmal, das Werk eines modernen Malers als Altarbild für eine protestantische Kirche bestimmt worden. Der Künstler hat es selbst gewidmet: Lovis Corinth seiner Vaterstadt Tapiau in den Ostmarken. Im Salon Cassirer sieht man jetzt dies Triptychon „Golgatha". Auf dem Mittelfeld der lebensgroße Crucilixus über der Seliädelstätte, dargestellt als Schmerzensmann mit dem Haupt voll Blut und Wunden. Matthias Grünewalds grausame und aufwiihlende Passionsphantasie war vorbildlich für diesen Folterleib mit seinen greuelvoll verkrampften, in den Qualzuckungen erstarrten Füßen und Händen, mit den rotsprenkligen Malen und den geronnenen Blutflüssen über den verzerrten Leib. Wie jener alte Meister von Colmar seinen Ecce homo in der ganzen Furchtbarkeit übermenschlichen Leidens zu Aufrührung harter Herzen aufrichtete, so auch dieser Künstler unserer Tage, wenn ihn auch vielleicht das Malerische des Vorwurfs stärker trieb als das religiöse Gefühl. Auffallend ist der Christuskopf; schräg geneigt, die Zähne unter der umbarteten Ober- lippe entblößt, hat dieses Antlitz etwas Slawisches, ein verwandter Typ für die Menschen der Grenzgegend, vor denen es erhöht werden soll, und damit eine Wiederholung jener Sitte der Vergangenheit, die Heiligen malerisch immer der jeweiligen Landschaft zu akklimatisieren, sie als Nürnberger oder Florenüner anzusprechen. Eine ähnliche Beobachtung läßt sich auch an der Figur des linken Seitenßügels machen. Hier steht der Apostel Paulus vor einer buntgescheckten Fliesenrnauer. Er trägt das Schwert in eine Schärpe gewickelt quer vor der Brust und hält in den Händen auf- geschlagen die Seiten des Philipperbriefes rnit dem Text: „und nahm an Knechtsgestalt". Seine Erscheinung hat etwas Ethnographisches: auf einem dürren Geierhals sitzt der Kopf eines Fakirs oder besser noch eines Dostojewskischen Fanatikers und Epileptikers. Man kann dabei an das Wort der Schrift denken: „Paule, Du rasest", aber näher liegt die Assoziation slawischer Literaturgestalten, zum Beispiel auch jener erlösungssüchtigen Feuer- und Schwertmenschen in Leonid Andrejews Terroristendrama: „lgnis sanat". Einer anderen Stilwelt gehört der rechte Flügel an. Hier sitzt im blauen Gewand und grauem Bart der Evangelist Matthäus und schreibt, inspiriert, auf eine Rolle als „diktiert ihm der heilige Geist". Und hinter ihm steht im lila Faltenkleid großgeHügelt der Genius mit schmalem Antlitz voll ferner Jenseitsaugen. Er gibt dem Evangelisten das Wort der l-leils- undLeidensgeschichte ein, und das tiefe Sinnen seiner Züge sagt, daß auch er ahnde- voll am Elend der Welt trägt. Diese Gruppe wirkt neben dem heftigen Klima ihrer Nachbarschaft als eine fromme Idylle und sänftigt das Gemüt mit ihrem stillen Decrescendo. Auf dem Sockel des Kreuzes aber steht, rot wie mit Blut geschrieben, die Widmung: Lovis Corinth Tapiavensis me pinxit et donavit ecclesiae Tapiavensi. Was die „Tapiavenser" dazu sagen werden, das zu hören, wäre recht interessant, uns erscheint es als ein eindrucksmächtiges Werk eines persönlichen Könners; für die Andachts- sphäre einer schlichten Kirche mag es aber vielleicht zu aufregend und verwirrend sein. 1 t a: Ein schönes Zeremonialgerät für die Schöneberger Kirche, die jetzt stolz neben dem bescheidenen und rührenden Dorfkirchlein aufragt, schuf der meisterliche Edelschmied Lettre: eine silberne Taufschale, in ihrem Grunde die Darstellung des Zuges durchs Rote n"