513 DAS MODERNE AMERIKANISCHE WOHN- HAUS St. VON HARTWIG FISCHEL-WIEN Sie IE scharfe Trennung, welche man im Sinne der angel- sächsischen und niederdeutschen Traditionen zwischen Wohnhaus und Geschäftshaus in der Neuen Welt machte, hat eine selbständige und eigenartige Entwicklung des Wohnhausbaues begünstigt. Wenn heute eine neue Stadt angelegt wird - und das ereignet sich noch immerfort besonders im Westen des nördlichen Amerika - so geschieht dies unter der Voraussetzung, daß der Beruf des Mannes von seinem Heim möglichst fern gehalten wird. Das Geschäftsviertel verbleibt zumeist in der Nähe des Verkehrszen- trums - sei es nun ein Hafen oder eine Bahnstation -, ihm wird eine mög- lichst einfache und geradlinige Straßenführung gewidmet, welche ohne Rücksicht auf Terrainschwierigkeiten den Bedürfnissen rascher und klarer Kommunikationsverhältnisse zu dienen hat. Das oder die Wohnviertel werden in der sanitär und landschaftlich günstigsten Lage disponiert und hier kann eine Anpassung an das Terrain und die Himmelsrichtung schon darum leichter durchgeführt werden, weil dabei das freistehende Familienhaus die Regel bildet. Das eingebaute städtische Wohnhaus in Amerika ist ein verhältnismäßig wenig beliebter Typus. Er ist sozusagen noch ein Überrest europäischer Lebensgewohnheiten und darum auch nur in den älteren Kulturländern des amerikanischen Ostens vorhanden. Die alten Teile von Newyork, Boston, Philadelphia etc. zeigen noch das Reihenhaus, wo die Straßenbildung aus dem Anfang und der Mitte des XIX. Jahrhunderts erhalten ist. Dort ist das schmale, zumeist nur drei- achsige Familienhaus die Regel, wie es in Norddeutschland, Holland, England den schmalen Straßen der alten Städte das Gepräge gibt. Dieser Bautypus ist aber überall dort, wo nicht künstlerische oder lokale Beweggründe seine Erhaltung begünstigen, dazu bestimmt, von den wachsenden Raumbedürf- nissen des Geschäftslebens verdrängt zu werden. Man fühlt ihrenAnachronisrnus, wenn man aus diesen ruhigen, von wenig Verkehr belebten Stadtteilen in die angrenzenden Geschäftsstraßen tritt, wo die mächtigen, ganz dem Geschäftsleben oder öffentlichen Zwecken gewidmeten Wolkenkratzer große, von Straßen umschlossene Blöcke ein- nehmen; wo die Verkehrswege von Untergrund-, Straßen- und Hochbahnen durchzogen werden und die Automobile rastlos dahinjagen. Die künstlerische Durchbildung der städtischen Reihenhäuser weicht von den europäischen Traditionen wenig ab. Sie sind manchmal reizvolle Vermächtnisse der kolonialen Zeit, sie zeigen später alle Stilwandlungen 66