Anschein, daß Sepp sich hinsichtlich des Entstehungsdatums auf einen sicheren Beweis stützen konnte, der uns heute fehlt. Dafür spricht die Erwägung, daß die Peter- und Paulskapelle in Sterzing nach der Inschrift am Chorgewölbe x474 vollendet und der Altar doch wohl unmittelbar nach der Fertigstellung des Baues errichtet wurde. Damit stimmt überdies der stili- stische Charakter der Bilder überein, so daß wir ohne weiteres mit dem Jahr X475 als Entstehungsdatum rechnen dürfen. Der fiüchtigste Blick auf die Bilder genügt, um auf denselben alle jene Stileigentümlichkeiten zu finden, die der Pacher-, beziehungsweise der Neustift-Brixener Schule, beginnend mit dem Barbara- oder Katharinen- altar in Neustift, bis tief ins XVI. Jahrhundert hinein eignen: der charak- teristische räumliche Aufbau der Szene mit ihrer Vorliebe für die iiiehende Vertiefung der Landschaften, für die reicherzählenden Fernsichten mit phantastischen Städten, Bergen und Gewässern und für die perspektivisch in allem Wesentlichen richtig gesehenen Architekturen; dann die lebendig ursprüngliche Darstellung der Handlung, die sich oft in der Hast der Bewegungen, in der gezwungenen oder gezierten, selbstwohlgefälligen Haltung der Gestalten, in den beredten Gesten und dem nervösen Spiel der Hände und Finger sich ausdrückt und schließlich und keineswegs am wenigsten jene malerischen Verkürzungen, Überschneidungen, Unteransich- ten menschlicher - hier auch einmal tierischer - Figuren, die sich ohne Berührung mit oberitalienischen Werken kaum erklären lassenf Neben dem glänzendsten, in so vielenFragen abernochrätselhaftenWerke des Kreises, der jubelnden Pracht des Hochaltars in St. Wolfgang am Abersee, der den Namen Michael Pachers als den ruhmtönendsten des Nordens vor Albrecht Dürer kündet, und dem nicht minder glänzenden Kirchenväteraltar der Münchener älteren Pinakothek, kommt der Taufe Christi (Abb. 13) im erzbischöflichen Klerikalseminar in Freising die größte Bedeutung zu, um so mehr schon deshalb, weil diese zugleich für die Arbeitsteilung an jener erst- genannten gewaltigen Schöpfung den entscheidenden Aufschluß gibt durch die volle und einwandfreie Bezeichnung auf der Rückseite (Abb. 14). Da diese umfangreiche, für die Ortsgeschichte wichtige Inschrift bei ihrer ersten Ver- öffentlichung durchaus willkürlich verändert und beträchtlich verkürzt, bei späteren Nachdrucken aber niemals einer Kritik unterzogen wurde, geben wir sie hier, so weit es der ruinöse Zustand und stellenweise Ausbesserungen gestatten, in möglichster Genauigkeit wieder. f" "f Für die nachfolgende stilkritische Betrachtung und Einordnung der Tiberiasbilder sei vor allem auf Hans Semper, Michael und Friedrich Facher, ihr Kreis und ihre Nachfolger, Eßlingen 19x r, hingewiesen. Aus der dort aufgeführten Facher-Literatur kommen hier besonders eine Reihe von Aufsätzen Robert Stiaßnys (siehe die entsprechenden Fußnoten) in Betracht. Außerdem sei erwähnt Friedrich Wolff, Michael Facher, Berlin 190g (Lichtdrucktafeln in Großfolio), Textband steht noch aus, und Walter Mannowski, die Gemälde des Michael Facher, München-Leipzig, igro. f" Über das Bild und die Inschrift vgl. die umfassende Literaturangabe bei Richard HotTmann, Die Kunst- altertümer im erzbischöflichen Klerikalseminare zu Freising. Einzelabdruck aus: Deutingers Beiträge zur Geschichte, Topographie und Statistik des Erzbistums München und Freising. Fortgesetzt von F. A. Specht. X. Neue Folge IV. (1907). S. 8c. - Semper, a. a. O. S. 16. - Mannowski, a. a. O. S. B0 u. Taf. 53.