KLEINE NACHRICHTEN 5th ERLIN. ZEICHNENDE KÜNSTE DER SEZESSION. Diese fünfund- zwanzigste Ausstellung der Sezession ist von großer Vielseitigkeit des Alten und des Neuen. Eine außerordentlich packende Kollektion Daumiers gibt ein Abbild dieses großen Visionärs der Wirklichkeiten. Seine Studie „Die Kritiker im Theätre francais" ist ein frappantes Blatt Comedie humaine: aus dem Dunkel wälzt sich geballt als Masse diese Gruppe, so muD sie dem Schauspieler von oben erscheinen, eine Gruppe aus dem Tartarus, das vielköpiige Ungeheuer. Der Waggon dritter Klasse mit den durcheinandergerüttelten apathischen Figuren, die Halle zum Bahnhof St. Lazare mit den hastenden Reisenden, darunter einem I-Iarpagon, sie sind wie Szenen menschlichen Marionettenspiels, und immer denkt man bei diesen Wirklichkeitsausschnitten, die in so seltsamem kosmischem Zwielicht schweben, an Balzac. Merkwürdig wirkt das Aquarell „der Fleischer"; wie der im Kaftan mit dem Messer bei dem blutigen Tierkörper steht, das hat etwas Shylokhaftes. In einer besonderen Rolle wird Menzel vorgeführt. Er erscheint nicht in der herben Strenge großer Arbeit, sondern onkelhaft gemütlich, plauderlustig, wie in seinen Briefen an den Freund, den Regimentsarzt; zeichnerische Gelegenheitsgedichte bringt er, Gratulations- karten, Improvisationen, Situationsspiele: eine Dame im Reifrock auf dem Bahnhof, die Arche Noah, aus der ein Regenschirm auftaucht, und die interessante Studie zum predigenden Schleiermacher mit seinem mild-schlauen Angesicht. Eine Illustration zu dem Bibelwort könnte es sein: Seid klug wie die Schlangen und ohne Falsch wie die Tauben. Fesselnd sind die Reihen zeichnerischer Blätter von Bildhauerhänden. Das ist so recht aus dem Geist dieser Ausstellung heraus, die Einblicke in die Prozesse künstlerischen Schaffens geben will, die in Werkstatt und Skizzenbuch sehen läßt. Ernst Barlach stellt seine Lithographien zu seinem Drama „Der tote Tag" aus. Zu dumpfen Lebensmomenten verschütteter Menschen sieht man hier die Gestalten im Bilde, dunkel schattenhaft. Und deutlich erkennt man an ihnen Barlach, den I-lolzbildner. Auch bei der Zeichnung auf dem Stein bleibt er in der ihm eigentümlichen Form gebunden. Seine Figuren sind aus Holz- klötzen gehauen und gehöhlt, und sie zeigen sogar das charakteristische Rillige und Kerbige der Holzbildnerei und das Faserige der Maserung. August Gaul, der Herr der Tiere, beschert eine Mappe von Radierungen," die in Kaltnadeltechnik mit sparsamsten Mitteln frappante Existenz geben, nicht weniger gegenwärtig als seine Bronzen: heroische Adler, wuschlige Schafherden im Wippetakt der Köpfe, Ziegen mit den Hebungen und Senkungen der gebirgigen Rücken, der luftig-gleitende Flugschritt der Strauße, purzelig-huschelige junge Bären. Als Ergänzung dazu der Meister dessen, was da fleucht, Emil Pottner, der die Sprache der Vögel versteht. Neben seiner Vitrine farbig glasierter Plastik, einer Voliere iiügelspreiziger Enten, kolleriger Hähne mit stiebendem prickelnden Gefieder, gackeriger Gänse, genießt man wie das Tagebuch eines Tierfreundes seine Zeichnungen der Sommer- tage im GeHügelhof, der fliegenden Enten, der kämpfenden Taucher. In Holzschnitten stellt er Vögel am Wasser dar, voll Plötzlichkeit und Momentanität, in einer spritzig-streitigen Silhouettentechnik mit bald hingefegten, bald hingewischten Strichen, und sehr liebens- würdig ist sein I-Iühnerbilderbuch: Geschichte des Staates Radschputanien, eine Wieder- kehr von Gockel, Hinkel und Gockeleia. Wir verzeichnen nun Einiges von den Begegnungen mit alten und neuen Bekannten aus dem engeren Sezessionskreis. Von Liebermann sieht man wieder viel Holländisches: das Wimmeln in Amsterdamer Gassen, im Flug erhascht und mit suggestiver Andeutung durch die Ausdruckssprache des Bleistifts in Prasselstrichen wiedergegeben. Vehemente Be- wegungsrhythmen der Polospieler, gischtsprühender Galopp der Pferde am Nordvykstrand. Kardorff wirkt in seinen Zeichnungen von Grachten, Kirchen, Brücken, Alleen sehr " Verlag Paul Cassirer. "W Ebenda.