Tatsächlich kommt er noch ein paarmal auf das Bild zurück, nimmt aber seine Vermutung bezüglich des Malers nicht zurück. Vielleicht kommt sie noch einmal zu Ehren. Die Briefe enthalten ferner drastische Zeugnisse für den Wandel in Burckhardts Beurteilung der Barocke in seinen späteren Jahren. Bekanntlich führt man die geringe Schätzung, die diese in der Kunstgeschichte der zweiten Hälfte des XIX. Jahrhunderts gefun- den hat, hauptsächlich auf ihn zurück. Es ist freilich nur die erste Auflage des „Cicerone", die ja schon 1853 erschien, auf die man sich da berufen konnte, denn später hat sich Burck- hardt doch nirgend öffentlich über sie ausgesprochen. In der „Geschichte der Renaissance in Italien" (erste Auflage x867, zweite Auflage 1878), die bekanntlich nur die Architektur behandelt, findet sich die Bemerkung, man könnte „noch aus den spätesten Zentralbauten des Barockstils manches lernen, wenn man lernen wollte". Näher auf die Barocke einzu- gehen, hatte er da keinen Anlaß. In unseren Briefen stehen aber viele Äußerungen über die Barocke. 187 5 schreibt er aus Italien: „Mein Respekt vor dem Barocco nimmt stündlich zu; ich bin bald geneigt, ihn für das eigentliche Ende und l-Iauptresultat der lebendigen Archi- tektur zu halten. Er hat nicht nur Mittel für alles, was zum Zwecke dient, sondern auch für den schönen Schein." Und das Jahr darauf aus Mailand: „In Sachen der Barocke werde ich immer ketzerischer. Schon ganz am Anfang unserer Reise erquickte mich in der Kirche zu Feldkirch der genialste Barock-Beichtstuhl, den ich je gesehen . . . Hier in Mailand kann man in Barock schwelgen." Wieder ein Jahr später bedauert er die gotische Puriiikation der Münchner Frauenkirche, die er nach 1856 „mit ihren herrlichen Barockegittern an den Kapellen" gesehen habe und „mit dem köstlichen Triumphbogen über dem Grab Kaiser Ludwigs dem Schiff zur schönsten und leichtesten Unterbrechung dienen." Selbst der Malerei der Barocke weiß er nun einige Vorzüge abzugewinnen, wenn er auch die Idee hat, einmal „über die wahren Ursachen der Langweiligkeit einiger Bilder der Carracci" zu schreiben, so wie einst der Abbe Trublet über die der Henriade des Voltaire. Der Dekorations- kunst aber des XVII. und XVIII. Jahrhunderts spendet er volle Gerechtigkeit, zuerst angesichts der Zimmer Karls VII. in München - „das herrlichste Rokoko, das auf Erden vorhanden ist und an Erfindung und elastischer Eleganz sogar den Prachtzimmern von Versailles überlegen" -- und dann in dem fürstbischöflichen Schloß in Würzburg: „wieder eine andere Schattierung!" Man müsse diesen Sachen „allgemach nachgehen, um in ihren Nuancen den unermeßlichen Reichtum von Geist und Können zu ahnen, welcher in den damaligen Dekoratoren waltete". In den Vorlesungen wird Burckhardt gewiß aus dieser seiner veränderten I-Ialtung gegenüber dem Barock kein Hehl gemacht haben, und es ist vielleicht nicht zu kühn, in ihnen den Keim etwa zu der WöliTlinschen Schätzung des Barock zu sehen. Wölfflin, geboren x864, mochte in den ersten achtziger Jahren Burckhardt gehört haben, er hat ja in Basel studiert und wurde 1893 der Nachfolger Burckhardts auf dem Lehrstuhl der Kunstgeschichte." Seine „Renaissance und Barock" erschien 1888. Gurlitts Geschichte des Barockstils erschien ebenfalls erst zwischen 1887 und x88g. In den nachgelassenen Schriften Burckhardts hat seine Handlung wohl Spuren hinterlassen, so in den „Erinnerungen an Rubens" („Rubens als Architekt") oder in den Außätzen „Die Sammler" und „Das Altarbild"; dort hebt er die beiden großen Richtungen in der Kunst des Barocco, Eklektizismus und Naturalismus her- vor, hier stellt er der Malerei der italienischen Barockzeit „eine neue und höhere Wert- schätzung" in nahe Aussicht. Daß er über die Ende der siebziger Jahre moderne Architektur, wie sie ihm namentlich in Frankfurt am Main entgegentritt, nicht sehr entzückt ist, kann man sich wohl leicht denken; er spottet bitter über die neue deutsche Renaissance, die „unser Freund Lübke zu Ehren gebracht ha ", und auch über die italienische Renaissance, „die bei allem Reichtum zum Teil greulich" sei: „zum Beispiel große mit vertretenden l-Ialbsäulen und Giebeln eingefaßte Fenster, ohne allen und jeglichen Sockel. Und vollends das Klassische: Denn die reichen Jüden Bau'n mit Karyatiden."