Zeitungsblätter und Proklamationen geben Gegenwartsstimmung. Ein Blatt vom
2a. April 1813, rnit der Vignette des Postreiters der Jobsiade, verkündet: „Gelobt sei Gott,
Spandau ist wieder unser."
Einen „Generalpardon" liest man „für alle Deserteure und entwichene preußische
Untertanen, die sich bis zum i 5.]uni 1813 einfinden". Und hier sieht man die begeisterungs-
volle Zeit auch einmal von der Kehrseite. „Der König rief und alle, alle kamen" . . . . es
gab oifenbar aber auch räudige Schafe.
Auffallend sind die Einquartierungszettel (übrigens für einen Bürger bis zu ioo Mann).
Mit ihrer Bordüre, ihrem zierlichen Schriftsatz würden wir sie heute als „künstlerische
Drucksachen" ansprechen. Man kann aber kaum annehmen, daß in dieser drangvollen Not
die Muse zu besonderer Komposition vorhanden war. Man besaß eben gute Lettern und
die Tradition fügte ganz selbstverständlich die Disposition.
Den stärksten Eindruck empfängt man von den Autographen und vor allem von der
Handschrift Heinrich Kleists „Germania an ihre Kinder" und dem hinreißenden Aufruf
Schills an die Deutschen. „Meine in den Ketten eines fremden Volkes schmachtenden
Brüder", hebt er mächtig an. Und wenn er wettemd schließt: „wer frech genug ist, sich
der ehrenvollen Aufopferung zu entziehen, den treffe Schmach und Verachtung; ein edles
deutsches Mädchen reiche nie die Hand einem solchen Verräter", dann klingt die gehar-
nischte Lyrik der großen Zeit uns im Ohr.
BERLIN. LEQN BAKST. Bei Paul Cassirer sind jetzt die dekorativen Szenen-
entwürfe und Figurinen des russischen Künstlers Leon Bakst ausgestellt, vor allem
die farbigen Instrumentationen für das russische Ballett und für d'Annunzios Maityrium
des heiligen Sebastian.
Die schöne Ida Rubinstein mit dem süchtig verwirrenden Gesicht skizzierte er, wie
sie in Gestalt des Märtyrers umschnürt am Pfahl steht und mit religiös-wollüstiger
Inbrunst in den Augen die Pfeile empfängt.
Ein Reigen der Bresthaften gibt gut jene Legendenstimmung der Wunden- und
Elendseligkeit. Mit weißen Leinenbinden die kranken Glieder umwickelt, mit fahlen Toten-
gesichtern, mühselig und beladen, in Unsal und Erniedrigung, so ziehen sie auf.
In Baksts Werk herrschen dann vor das üppig Orientalische, die berauschte Fülle
schwelgerischen Schmucks, das Barbarische asiatischen Übermaßes (aber bewußt durch
das Medium raffinierter Nerven geleitet), die Sinnlichkeit der Schleiergewänder und die
Dämonien der Karfunkelsteine. Da erscheinen nackte Idole in Buddhastellung mit Gold-
geschrneid als Filigrannetzwerk über der braunen Haut, Fakire rasen von flatternden Haar-
strähnen umweht. Kleopatra prangt in bloßen Brüsten, von Bandwerk umflochten, mit
punktiert durchsichtigem Hemd über dem Schoß und wehenden Flatterliügeln um Schulter
und Arme. Starr steht der braune äthiopische Sklave mit den Goldbändern um die Gelenke,
der weißen Mütze und dem weißen Lendentuch. Man denkt bei diesen Typen oft an die
phantastisch-wilden Gestalten Flauberts in Salambo und Herodias, an Typen, wie den
Babylonier zum Beispiel: „Er kam herbei, einen Bogen auf der Schulter, eine Peitsche in
der Hand. Vielfarbene Bänder umschnürten seine gebogenen Beine. Seine groben Arme
ragten aus einer ärmellosen Tunika hervor und eine Pelzmütze beschattete sein Gesicht,
dessen Bart zu Ringeln gekräuselt war."
Griechische Frührnotive passen gut in diese Stilwelt. Die Spiralornarnente (an Knossos
und Kreta erinnernd, ähnlich wie es Fortuny verwendete) mykenischer Gewandungen, grün
Ed braunrot, für Verhaerens Helena-Drama. Und die Mädchengestalt in Weiß mit dem
enfederornament, aus dem „Nachmittag eines Fauns" von Mallarme. Noch
grünen Pfau _ _ _
eine Note zeigt Bakst, die der zierhaken Grazie der Gavami-Zeit, in seinen Skizzen für die
Darstellung von Schumanns Karneval. u _
Doch ist dies mit Pantalons, schweifigen Fracks, Schals und Volantrocken nicht so
persönlich wie sein Orient. Seine Muse scheint die kallipygische Odaliske in „nudite gazee",