21 Desshalb hat denn auch das South-Kensington-Museum in London, dessen Leitern wohl Niemand den praktischen Blick absprechen wird, nicht Bedenken getragen, wenigstens die Hälße der Sammlung um einen ver- hältnissmässig hohen Preis an sich zu bringen. Nur augenblickliche pecu- niäre Schwierigkeiten haben es verhindert, dass nicht das Ganze. in sein Eigenthum übergegangen ist. Um die zweite, völlig gleiche Hälfte bewarben sich mehrere Staaten oder Museen und boten den gleichen Preis, allein der Besitze zögerte damit, sie hinwegzugeben, weil er sie Deutsch- land erhalten wünschte und am liebsten in Oesterreich gesehen hätte. Die Möglichkeit dazu bot sich dar mit der Constituirung des österreichischen Museums für Kunst und Industrie. Die einsichtsvolle Bereitwilligkeit des Curatoriums und das zu Dank verpflichtende Entgegenkommen des Be- sitzers, der einen um ein Drittheil ermässigten, in Raten zu zahlenden Preis stellte, erleichterten das Arrangement. S0 kam der Ankauf ohne Schwierig- keit zu Stande, so dass die Sammlung mit einem sorgfältig und ausüihrlich gearbeiteten Katalog sofort in das Eigenthum des österreichischen Museums übergehen k." 1te, in dessen Räumen sie sich gegenwärtig befindet. Die Sammlung, die wir somit unser nennen, zählt 404 Nummern, aber weit mehr Stücke, da oft mehrere zusammengehörige oder ähnliche unter einer Nummer begriffen sind. Der Zeit nach umfasst sie, wie schon oben erwähnt, das ganze Mittelalter vom siebenten Jahrhundert an und bietet _ dazu noch eine grosse Anzahl Stücke aus der guten, nachahmenswerthen Renaissance des sechszehnten Jahrhunderts. Einzelne wenige Stücke von besonders technischer Bedeutung gehören den beiden letzten Jahrhunderten an. Die meisten Gegenstände sind zwar nur Fragmente, aber sie sind doch von der Art, dass man ihre Bestandtheile erkennen und das Muster zu- sammensetzen kann, so dass sie also in der Hauptsache genügen; viele aber sind noch vollständig in ihrer Ursprünglichkeit erhalten, seien sie nun Tücher oder Decken oder ganze Gewänder. Stoftlich und technisch beta-achtet, finden wir den ganzen Reichthum der Erzeugungsweise des Mittelalters vertreten, welches aus der textilen Kunst weit mehr und in der That eine wahre Kunst, so zu sagen eine Fadenmalerei machte. Wir finden Gewebe, Stickereien, Filets und Spitzen rund gemischte Technik, wie sie jene Zeit gern und häufig anwendete. Wir linden Seide, Wolle, Leinen in der verschiedenartigsten Verwendung und Vermischung; die Seide zum Beispiele angefangen mit dem feinsten Byssus, der so zart ist, dass er uns aus der Mährchenwelt jene Fecngeschcnke für Prinzessinnen in Erinnerung rief: Kleider, welche man durch einen Ring ziehen oder in einer Nussschale bergen konnte, und im Gegensatz dazu so dicke Seidengewebe, als ob sie absichtlich für die Ewigkeit bestimmt seien, Gewebe, welche modernen Fabrikanten einen Schrei des Entsetzens über diese Verschwendung des kostbaren Stoffes entlocken würden. Wir sehen ferner, was Seide betrifft, Cendal oder Sendel und Sammt, sodann Seide