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selbst der eriahrenste Praktiker nicht weiss, wie man es gemacht hat,
ja, von denen er nicht sagen kann, ob es Stickerei oder Weberei ist").
Der Höhe der mittelalterlichen Stickerei haben wir schon oben gedacht.
Hier muss nothwendig auf Grundlage der alten Technik eine Neuerung
eintreten, sollen wir endlich von der eben so unbeholfenen wie in ihren
Mustern stilistisch verkehrten Straminstickerei befreit werden, welche alle
WVohnungen entstellt und alle Weihnachtstische verdirbt.
Nur als einen Nebengewinn wollen wir es betrachten - denn wir
haben es bei dem österreichischen Museum zunächst mit der Praxis zu
thun - wenn auch die Wissenschaft aus dieser Sammlung ihren Nutzen
ziehen kann. Die Geschichte der Ornamentik, namentlich was die Wan-
derungen und Wandlungen der Ornamente in ihrem geschichtlichen Zu-
sammenhange betrifft, ist lange noch nicht genügend ausgearbeitet worden,
und sie wird manches Beispiel, manchen guten Gedanken, manche Auf-
klärung aus unseren Stoffmustern holen können. Sodann geben sie eine
gute Unterlage imd gute Illustrationen für eine Geschichte der Weberei und
eine Geschichte der Stickerei im Mittelalter, die beide noch zu schreiben
sind, wenigstens, wenn man einigermassen Vollständigkeit und Lösung der
vielen Räthsel verlangt.
Man sieht wenigstens, dass mannigfacher Gewinn in unserer Samm-
lung als eine Möglichkeit verschlossen liegt. Dass die Zeit kommen wird,
wo die Industrie sich ihrerseits ihren Schatz heben wird, daran zweifeln
wir nicht, sollte es auch erst geschehen, wenn sie, von aussen her belehrt,
einsehen wird, dass es sich nicht blos um eine Verbesserung des Stils,
sondern auch um ein gutes Geschäft handelt. Wir wünschen aber auch,
dass das Publicum die Sammlung studire und wollen schliesslich dasselbe
ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht haben. Wir geben ihm zu be-
denken, dass heutzutage in Geschmackssachen gar nichts ärger darnieder-
liegt als die ganze Ornamentik, womit sich der Mensch in seiner Wohnung
umgibt, ja dass das Allerärgste und Verkehrteste gerade die Muster und
Verzierlmgen der Kleiderstoffe sind, dass somit das Menschenkind im iiirch-
terlichsten Barbarismus heranwächst und sein Geschmack ganz eigentlich
von der Wiege an durch und durch verderbt wird. Hier müssen Alle zum
Guten helfen, dass dem ein Ende werde: Mütter, Erzieher, Lehrer u. s. w.,
nur müssen sie freilich erst die Besserung bei sich selber beginnen. _
Zum Nutzen des Publicums und der Besucher des Museums ver-
öffentlichten wir den vom Canonicus Dr. Bock, dem früheren Besitzer
dieser Sammlung, selbst verfassten Katalog"), auf dessen Drucklegung wir
um so grösseren Werth legen, als es nicht möglich ist, die ganze Sammlung,
welche aus 404 Nummern besteht, zur Ansicht auszustellen. Der Katalog,
") Vergleiche das Fachmänner-Votum über die sog. „Burgundischen Gewänder" in
der gegenwärtigen Nummer der "Mittheilungen."
i") Um den Preis von 30 hr. ö. WV. im österr. Museum selbst und durch alle Buch-
handlungen zu beziehen.