lierung, dem weit organischeren Aufbau des Kinderkörpers und der un- behinderten Gelenkigkeit der Extremitäten dem Wesen der Renaissance weit näher kommt als der entschieden eckigere und unbeholfenere Jesus- knabe von Kefermarkt. Und nun ist diese Neumünster-Madonna noch dazu aus dem spröderen Steinmaterial gehauen, trägt aber die sichere Datierung 14g 3. Ein ebenso reifes Christuskind, das wir nach den neuesten Forschungen genau in dieselbe Zeit setzen müssen, trägt die Maria des Blaubeurer Hoch- altars, und den Höhepunkt dieser naturalistischen Richtung stellt uns endlich der ungemein lebendige, des Vollbesitzes ebenmäßiger Glieder sich freuende Knabe der sogenannten Kaisheimer Madonna im Kaiser Friedrich-Museum in Berlin dar, die in die allerersten Jahre des neuen Jahrhunderts fällt." Wie läßt sich solchen abgeklärten Erscheinungen gegenüber Ubells Behauptung aufrecht erhalten?! Um wie viel altertümlicher wirkt der Kefermarkter Jesusknabe als all die erwähnten Beispiele! Ubell sagt ferner: „Nicht zu übersehen sind die Renaissanceelemente in der Architektur der Verkündigung, die Anklänge an Dürers Marienleben und so weiter." Wie er seine Anschauungen stützt, bleibt dem Leser überlassen. Mit einfachen Behauptungen kann Ubell meine gegenteilige Ansicht, daß es sich um eine gotische Architektur handelt, nicht entkräften. Die Halle selbst mit ihren Rippengewölben, den Maßwerkfenstem und den Spitzbogen, die Basen und Kapitelle der Säulchen sind von charakteristischer gotischer Bildung. Die auf den Säulchen stehenden Figürchen, vermutlich ein Erbe des Meisters E. S., sind genau so 1482 an dem Grabstein Ulrich Aresingers von Erasmus Grasser nachzuweisen. Bleiben nur noch die Zwickelfüllungen und die Säulenschaftdekorationen, die aber ebenso gut am Ende des XV. wie zu Beginn des XVI. Jahrhunderts vorkommen. Was Ubell etwas schleierhaft mit „Anklängen an Dürers Marienleben" meint, blieb mir ganz verschlossen, um so mehr, als er auch hier wieder keinen näheren Hinweis gibt. Jedenfalls konnte ich, trotz redlichstem Bemühen, wie es schon die Bedeutung eines so wichtigen Werkes wie der Kefermarkter Altar bedingt, und trotz wiederholter Durchsicht sämtlicher Holzschnitte Dürers auch nicht die allergeringste Spur eines „Anklangs" finden. Im Gegenteil: Die Bildwirkung, die kompositionellen Anordnungen, das Verhältnis von Figur und Raum, die architektonischen Haupt- und Einzelformen des Marienlebens, kurzum alles, aber auch alles, ist himmelweit von der Art der Kefermarkter Reliefs entfernt. Hier mittelalterlich enge Bedrängnis, zwangvolle Gruppierung, Mangel an Tiefenwirkung, dort Luft, Licht, Weiträumigkeit, behagliche Breite, glaubhafte Wirklichkeitsversuche, in Inhalt und Form eine völlig andere Welt. Was bleibt da von„Anklängen" noch bestehen? Zur Not hätte Ubell bei der mit Spitzblättern umkleideten Säule noch das Blatt „Johannes und die 7 Leuchter" (B. 62) in Dürers „Offenbarung" ' Abbildung der Blaubeurer und Kaisheimer Madonna bei Vöge, DerMeister des Blaubeurer Hochaltars und seine Madonnen, in den „Monatsheften für Kunstwissenschan", II (1909). S. n.