Und diese ebenerdigen Räume sind für bildende Kunst eine vollkommene Bühne. Sie haben nämlich, da das Haus freisteht und auch nicht tief ist, zwei Fronten: die eine nach dem Pariser Platz, die andere nach dem Tiergarten, und durch die ineinander mündenden weiten hellen Zimmer flutet nun von beiden Seiten reines Licht, man fühlt die Atmosphäre, das schwebende schwingende Element für Farben und Formen. Ein dankbares Klima für eine Ausstellung, aber auch anspruchsvoll, was in solchem Schein sich behaupten will, muß selber eigene Ausstrahlungskraft besitzen. Solche Grade darf man den hier zu uns sprechenden Werken zuerkennen. Ein Gemälde von meisterlicher Vollendung ist Gustav jagerspachers „Schlafendes Mädchen": ein großer Akt von atrnendem seidig-gelben Fleischton, mit schwarzwusch- ligem Haar auf matt seladongrüner Decke. Ein paar Nelken sind darüber gestreut. Im Hintergrund lüftet sich aufgerafft ein dunkler Vorhang und zeigt eine Wiesenlandschaft mit Gewässer. Die Ahnen dieses Bildes wären leicht zu nennen. Die Anordnung, dieser Zusarnmenklang des in den Interieurfarben geborgenen Aktes mit der wie ein Traumausblick gegebenen Landschaft deutet auf Italien, auf Tizian. Der Akt hingegen weiß von Manet, vielleicht mehr noch von Courbet. Doch die Hauptsache bleibt, daß man über diese Zusammenhänge hinaus das Reif-Erlebnisvolle des Schaffenden durchaus wirksam spürt. Stilgebändigt stellen sich die Gestalten der „Mädchen am Brunnen" von Karl Caspar dar. Aus ihrem Neigen, Beugen, Schreiten, Schöpfen empfängt das Auge Bewegungs- harmonien. Erdgewachsen wirkt das, und in dem schwelenden heißen Licht ver- schmelzen dazu die Farbentöne der übertlackerten halbbekleideten Leiber mit denen der steinigen Gebirgshalden. Maria Caspar-Filsers Feigenbaum im Artischockenfeld schreit in diesem PHanzen- lebensbild eine Inbrunst aus, die an die fast schmerzlichen Naturextasen van Goghs gemahnt; zersprenkelt halmiges, scharfstachliges Blattgewirr und -geschwirr von beißender Farbe, daraus aufragend die krampfigen Verrenkungen des Feigenbaumes, der von allen Bäumen die qual- und drangvollste, affektzerrissenste Glieder- und Gebärdensprache offenbart. Van Goghs Briefe sprechen voll Einfühlung von diesem Seelenausdruck in der Vegetation. Aber auch ein gelassener und gar nicht nervös empfindlicher Geist wie Wilhelm von Humboldt wurde davon betroEen. In seinen jetzt durch die Insel-Ausgabe hergestellten „Briefen an eine Freundin" sagt er, ein Weiser und Eremit im Tegeler Park: „Überhaupt liegt in den Bäumen ein unglaublicher Charakter der Sehnsucht." Weniger auf solchen Gefühlsrhythmus als auf das motorische Spannungsspiel der Linien in der Natur geht Franz I-Ieckendorf aus. Sehr bezeichnend dafür scheint sein „Wintertag im Vorort" mit der Kurve der schneeüberwehten Dorfstraße. Diese um die Ecke herumkreisende Krümmung, am Rand mit gelben I-Iäusern bestanden, hat einen dahinfegenden Schwung. Feinste graphische Kammermusik klingt aus Schinnerers Radierungen. Das Schwarz- Weiß der abgewogenen Fläche gestaltet sich mit sparsamsten, nur andeutenden Mitteln zum bewegten lebendurchpulsten Gebilde. Mit einem Birrenden Pizzicato dahinhuschender Striche bannt der Künstler das Menschengekribbel eines Bergfestes, wirkungsvoll gehoben durch die lichten freien Schrägflächen links und rechts der dunkleren wallenden Masse auf dem erhöhten Grat. Weiße italienische Mauern mit den vorüberrollenden Schatten zweiräderiger Karren stehen wie Landschafts-Scheiden da, über sie hinaus weht die Weite. Auch volle saftige Akkorde schlägt Schinnerer in seiner Schwarzkunst an. Die Heu- ernte mit aufgetürmten ballengeschwellten Wagen und breiten strotzenden Kühen atmet satte Erdfiille.