RGESCHICHTE DER BILDENDEN KUNST. M. Hoernes hat mit seiner Urgeschichte der bildenden Kunst in Europa von den Anfängen bis um 500 vor Christi (dessen erste Auflage x8g8 erschien) eine Arbeit geleistet, die in mannigfaltiger Hinsicht fruchtbringend wurde. Man kann es nur lebhaft begrüßen, daß das seit längerer Zeit ver- griffene Buch nun in gänzlich umgearbeiteter und vielfach vermehrter Form vorliegt. Es sind dabei zahlreiche wichtige Forschungsergebnisse berücksichtigt worden, welche die Zwischenzeit zutage förderte, ohne daß grundlegende Meinungen und Gesichtspunkte des Verfassers eine Korrektur erfahren hätten. Er konnte sogar mit Stolz hervorheben, daß seine Arbeit seitdem durch keine andere ähnliche überholt oder überboten wurde und die einzige zusammenfassende Darstellung der gesamten vorgeschichtlichen Kunst Europas blieb. Zu dieser Konstatierung möchten wir nur noch die ergänzende Bemerkung Fugen, daß gerade diese auf Europa beschränkte Zusammenfassung erkennen läßt, wie wertvoll die Ausdehnung solcher Arbeit auf die ganze Leistung aller Kulturkreise werden könnte. Die herrschende Trennung zwischen Prähistorie, Kunstgeschichte und Völkerkunde ist mit der weitgehenden Spezialisierung unserer wissenschaftlichen Arbeit zwar erklärt, bildet aber nichtsdestoweniger eine für die Erfassung des Ganzen nachteilige Erscheinung. Wenn die Kunstgeschichte bisher mit einer überlegenen Miene über die primitiven Kunstäußerungen gerne leicht hinwegschritt und den komplizierten Erscheinungen höherer Entwicklungsstufen ihr besonderes Hauptaugenmerk zuwandte, so hat sie damit sehr oft gerade den Schlüssel für das Verstehen grundlegender Vorgänge mißachtet. Eine tief- greifende Würdigung der Kunst unserer Zeit kann ohne das Studium der primitiven Äußerungen, welches die Künstler selbst aus eigenem Antrieb verfolgten, nicht bestehen. Einerseits wird die Prähistorie, anderseits wird die Volkskunde, und beide werden über alle Weltteile ausgedehnt, das notwendige Material zusammentragen müssen, welches über die mannigfaltigen Formen Aufschluß gibt, unter welchen der menschliche Schaffens- drang bis zur künstlerischen Gestaltungsweise fortschritt; hier liegt der reichste Schatz von Anregungen, der den Künstlern und Kunstfreunden schon so wertvoll wurde, und der bisher vielfach noch ungehoben und zu wenig beachtet, von der vergleichenden Wissen- schaft zu gering eingeschätzt wurde. Hier liegt aber auch das wertvolle Arbeitsmaterial der Kunstforschung, welches entscheidende Antworten auf ästhetische Hauptfragen zu geben vermag. Hoernes hat solche auf dem von ihm selbst überschauten Gebiet in sehr verdienst- voller Weise beleuchtet. So hat er die Theorie der Entstehung der Kunstform aus Zweck und Material und die Erklärung eines freien Kunstwillens, wie sie einerseits Semper, anderseits Riegl vertreten, gegeneinander abgewogen. So hat er die Frage der gegenseitigen Beeinflussung ältester Kulturkreise und den Wert ursprünglicher Begabung, selbständiger Antriebe hervorgehoben. Diese und andere grundlegende Betrachtungen zeigen den weiten Horizont des Verfassers und die Bedeutung des gut illustrierten Buches für Künstler und Forscher. Und wenn er dabei zu Schlußsätzen gelangt, die eine unmittelbare Anwendung auf Erscheinungen unserer Zeit zulassen, so hat er damit die ewigen Gesetze und inneren Zusammenhänge berührt, die alles mensch- liche Schaffen in endloser Wiederholung verwandter Folgen von Erscheinungen und doch ewig neuer Gestaltungsweise durchziehen. Hierher gehört die so interessante Konstatie- rung, daB schon die primitiven Kunstäußerungen erkennen lassen, die Anknüpfung vor- herrschender neuer Kunst- und Geschmacksrichtungen erfolge nicht an den Höhepunkten oder Enden hochspezialisierter Entwicklungsrichtungen, sondern an tiefer liegenden, scheinbar überwundenen Stellen der letzteren, so daB nicht die leiblichen Erben, sondern zumeist andere Völker die Erneuerung des Kunstgeschmackes durchführen. An solchen Ausblicken ist die wertvolle Arbeit reich und vermag darum in Verbindung mit ihrem guten Anschauungsmaterial sehr eindringlich zu wirken. H. F. " Kunstverlag Anton Schroll E: Co.