Das sind jedoch Einzelheiten; was aber die Formensprache und Farben- gebung in der Hauptsache betrifft, darf man wohl die herrlichen Wand- bespannungen zum Vergleiche heranziehen, die in den Jahren 1811: und 1812 von dem Hause Bissardon, Bony 8x Cie. in Lyon nach den Ent- würfen eines Teilhabers dieser Unternehmung und eines der hervorragend- sten Zeichner jener Zeit, Jean Francois Bony, ausgeführt wurden. Diese Bespannungen, zu denen auch entsprechende Möbelüberzüge gehören, waren für den kleinen Empfangsraum der Kaiserin Marie Luise in Versailles bestimmt, kamen aber wie die meisten damals für dieses Schloß in Auftrag gegebenen Textilarbeiten nie wirklich in Gebrauch, sondern ruhten bis in die letzten Jahre hinein in den Speichern des „Mobilier National" (siehe Abb. 5).": Das Haus Bissardon, Bony 8: Cie. hatte, beiläufig bemerkt, für diese Arbeiten über 25.000 Franken erhalten. Wir konnten diese Stücke für Versailles jetzt selbstverständlich nicht besichtigen, um sie mit den in Wien neu aufgetauchten aus frischer Erinnerung zu vergleichen; soweit uns aber die farbigen Abbildungen und Beschreibungen bei Dumonthier erkennen lassen, handelt es sich auch bei den Arbeiten des Mobilier National um farbige Stickereien, die mindestens in verwandter Weise (in Seide, Chenille und Schniirchen, mit Verwendung von etwas Gold) ausgeführt sind; auch können wir einen ähnlichen Reichtum und eine ähnliche Verteilung der Farben bemerken, so zum Beispiel in den schillernden Akanthusranken. Ebenso bieten die Formen der Vasen, die Blumensträuße und Vögel sowie die merkwürdig offen gehaltenen Palmetten so viele Ähnlichkeiten dar, daß man wohl schon auf mehr als auf eine bloß allgemeine Zusammengehörigkeit durch die Zeit schließen möchte. Auf einige Jahre früher oder später kommt es dabei natürlich nicht an, besonders nicht für die Entwürfe selbst. (Nach unserer rein persönlichen Empfindung könnten die jetzt in Wien ausgestellten Stücke dem Konsulate näherliegen.) Jedenfalls widerspricht die ganze Erscheinung der nun in Wien aus- gestellten Werke keineswegs der Familienüberlieferung der heutigen gräflichen Besitzer, einer Überlieferung, die auch urkundlich gesichert sein soll, daß es sich nämlich um eine Schenkung Napoleons I. handle. Wir haben ja gesehen, daß die bloße Betrachtung des Werkes schon in den Kreis der für Napoleons l-Iof bestimmten Schöpfungen hinweist. Wir haben aber auch bereits erwähnt, daß eine nicht unbeträchtliche Anzahl von Werken jener unruhigen und raschlebigen Zeit nie zu der ursprünglich in Aussicht genommenen Verwendung gelangt ist. Und wer kann heute nachweisen, welche Launen hoher Besteller oder Bestellerinnen in dem einen oder anderen Augenblicke mitsprachen, bei der Bestellung oder Übernahme? Oder wer vermag heute zu entscheiden, ob in einem bestimmten Augenblicke eine Schenkung nicht politisch klüger erschien als die augenblickliche Befriedigung eines eigenen Wunsches? x Dumumhier, a. a. 0., Seite rg und 29, Tafel 20 bis 22.