Einheit zusammenschweißen als die - relativ - vielheitliche klassische Kunst, die dem künstlerischen Einzelgebilde immer noch ein gewisses Maß von Sonderexistenz zubilligen zu müssen glaubt. Ob nun Wölfflin, wie er selbst in seiner Schlußbetrachtung dahingestellt sein lassen will, mit diesen fünf Kategorien all e Möglichkeiten der künstlerischenAnschauungsänderung charakterisiert hat, ist der Natur der Sache nach fraglich: es gibt keine zahlenmäßig bestimmte Beschränkung wissenschaftlicher Fragestellung der unerschöpflichen und unend- lichen Wirklichkeit gegenüber. Meiner persönlichen Meinung nach wäre vielleicht noch eine Gegenüberstellung des „Tektonischen" und des „Atektonischen" fruchtbar gewesen, vor allem für die in vorliegendem Buch im Verhältnis zu den Schwesterkünsten etwas zu kurz gekommene Architektur, über die gerade Wölfflin uns sonst soviel Tiefes und Feines und in letztem Sinn Aufschlußreiches zu sagen weiß. Gewiß ist aber auch dieser Gegensatz des Tektonischen und des Atektonischen schon in den übrigen Stilvergleichen, vor allem in dem Abschnitt über „Klarheit und Unklarheit", implizite erörtert, wenn ihm auch keine Sonderbetrachtung zuteil wurde. Wie alle Wölfflinschen Bücher besitzt auch dieses wieder seine hervorragende kunst- pädagogische Bedeutung, das will sagen, daß es in eminentem Sinn in das Wesen des Kunstwerks einführt. Dem Laien, der auch jetzt immer noch in den Bildkünsten nur die nämliche Nachahmung einer außerkünstlerischen Wirklichkeit sehen will, darüber aber ihre „dekorative", eigenste Wirkungsabsicht verkennt, sei nur der Satz auf Seite 237 vor- gehalten: „Der Inhalt der Welt kristallisiert sich für die Anschauung nicht in einer gleich- bleibenden Form. Die Anschauung ist eben nicht ein Spiegel, der immer derselbe bleibt, sondern eine lebendige Auffassungskraft, die ihre eigene innere Geschichte hat und durch viele Stufen durchgegangen ist.""' Es ist die Frage aufgeworfen worden, ob nicht die hier von Wöliflin mit soviel intel- lektueller Willenskraft aufgestellten „Grundformen der Kunstanschauung" dazu angetan wären, die konkrete Lebendigkeit der in reichem Entwicklungsstrom dahiniiießenden Kunst- geschichte doktrinär unwirklich zu schematisieren, besonders da die aus einem begrenzten Forschungsgebiet, der Renaissance und dem Barock, gewonnenen ästhetischen Gegensatz- paare in einer Art von Periodizität auch in andern Kunstperioden, wenn auch nicht mit dieser vorbildlichen Schärfe, neue Wirksamkeit gewinnen." Aber aus Wölfflins Außerungen selbst klingen deutlich warnende Stimmen vor einer mechanischen Übertragung der in Renaissance und Barock sich mit besonderer Klarheit ausprägenden Grundbegriffe; auch er sieht die historische Wirklichkeit als Komplex sich mannigfaltig verflechtender, generell überhaupt nicht von vornherein zu bestimmender Tendenzen allerverschiedenster Art, wie denn auch Wölfflin sich den fundamentalen Umschwung von der Renaissance zum Barock im XVI. Jahrhundert und dann wieder von dem Barock zu dem neuen Klassizismus um 1800 keineswegs rein ästhetisch als „Aktion" und „Reaktiorw zurechtlegt, sondern eine durchgreifende Änderung in der Gesinnung, in der Weltanschauung annimmt, die weit über den bloß künstlerischen Menschen hinausgreift. So ist wohl auch für Wölfflins große Schülerzahl zu hoffen, daß sie den lebendigen Reichtum kunstgeschichtlicher Erfahrungen nicht einem theoretischen Schema gedankenlos opfert, das in solchem Sinn der Meister sicher nicht gemeint hat, sondern vielmehr die bunte, stets neue Individualität künstlerischer f Vgl. den Schlußsatz des genannten Aufsatzes im „Logos": Wir stoßen hier auf die Zusammenhänge zwischen Schönheit und Weltanschauung, und für die Geschichtsphilosophie tut sich die Frage auf, wie weit das bestimmte dekorative Gefühl einer Zeit die Erkenntnis bedingt, und wie weit es von dern Inhalt der Erkenntnis bedingt wird: Nicht alles ist zu allen Zeiten möglich in den Künsten der Anschauung. Nicht alle Gedanken können zu allen Zeiten gedacht werden. au: VgL auch die Warnung bei Hans Tietze, Die Methode der Kunstgeschichte (Leipzig 1913), I. Kapitel: Begriff und Wesen der Kunstgeschichte, Seite 1B: Die Gefahr wächst ins Ungeheure, sobald der Versuch gemacht wird, die ganze Kunstgeschichte mit Rücksicht auf bestimmte Probleme durchzuwerten; jeder solche Versuch muß dem Reichtum des kunsthistorischen Tatsachenmaterials in harter Weise Gewalt antun und es in eine bloße Verkettung drahtgezogener Paradigmen umwandeln.