charakterisieren. Darin aber Gründe des Tadels zu finden - wie dies gewöhnlich geschieht -, entspricht nur einer auf florentinischer Renaissance- auffassung beruhenden Kritik, die wohl überholt sein dürfte. Die malerischen Tendenzen Tullios sind durch die Entwicklung der venezianischen Kunst zu Anfang des Cinquecento bedingt: Skulptur und Malerei hatten einen gemeinschaftlichen Ausgangspunkt, gemeinschaftliche Wege und Ziele. Und eben aus der Betonung dieser malerischen Note kann die Annäherung an jene Phase der antiken Kunst erklärt werden, die ebenfalls ihr Streben dahin setzte, malerisch zu wirken. s - „, ä: In der Rumpelkammer der Estensischen Kunstsammlung befand sich ein I-Iolzrelief ohne Grund, auf einer gerahmten I-Iolzplatte befestigt, das, befreit von einem dicken, nachträglichen Goldanstrich, jetzt einen Ehren- platz unter den venezianischen Holzskulpturen der Sammlung einnimmt. Es stellt die Pietät-Gruppe mit Oranten dar und gehört allen Anzeichen nach in den Anfang des Cinquecento, stilistisch zu den Werken der Lombardi- Werkstatt, entbehrt aber jene prägnanten Charakteristika, die ermöglichen könnten, es einem bestimmten Meister zuzuschreiben (Abb. I0). " Maria sitzt in der Mitte, den Leichnam Christi, der links vom heiligen Johannes unter den Achseln gestützt wird, auf dem Schoße haltend; von rechts her nähert sich die heilige Magdalena, gebeugt, die Rechte an die Brust legend; zu äußerst links ein heiliger Franziskaner mit über der Brust gekreuzten Händen, rechts eine heilige Nonne, ein Skapulier tragend. Komposition und einzelne Figuren erinnern an die Reliefs Tullios im Santo." Die schreitende Bewegung des Johannes kehrt an der Gestalt des Thaumaturgs wieder. Auch die kulissenartigen Figuren, welche rechts und links die eigentliche Handlung flankieren, haben ein Analogon in den Paduanischen Reliefs. Unser heiliger Franziskaner entspricht dem Begleiter des Antonius auf der Darstellung des Wunders an dem Geizhals. Auch die Typen der Frauen stimmen miteinander überein: die jugendlichen mit der Magdalena, die, gleich den Gestalten Tullios, den Mund halboffen hält, wogegen Maria und die heilige Nonne zu jener älteren Frauw" gereiht werden können, die Tullio ganz im Flachrelief an der Szene mit dem Wunder an dem Jüngling neben dem Wundertäter angebracht hat. Der Stil Tullios hat hier auf einen Holzschnitzer gewirkt, der sich aber in vielen Einzelheiten von dem quattrocentesken Naturalismus - man betrachte die noch gotisch gebogenen Falten an dem Gewande Mariä - nicht ganz befreit hat. Tullios Christus und Apostel an dem Relief der Krönung Mariä in S. Giovanni Crisostomo sind durch die Antike " Höhe: 018 Meter, Breite: 0-44 Meter. f" Vgl. auch mit dem Relief der Grablegung in der Sakristei der Salute-Kirche zu Venedig, ebenfalls der Werkstatt Tullios zugehörig. (Paoletti, a. a. 0., 11., Seite x46 und Seite x94.) "'" Der Einliuß spätantiker Sarkophage ist evident und die Parallelerscheinung zu jener Frauengestalt Nicolö Pisanos, die auch Sansovino in einem späteren Santa-Relief von demselben Dugento-Meister bewußt entlehnte, höchst bemerkenswert.