gute Einzelarbeit finden, allein der Sinn für Geschmackswert sinkt und aus der ehemals reizvoll gestickten wird die gepreßte Blumenweste beim Herrn. Daß in der Zeit von 1870 bis 1900, die die Ausstellung beschließt, uns manches Kostüm mehr einem Lachkabinett zu entstammen scheint als einer Modekultur, mag wohl seinen rein psychologischen Grund darin haben, daß man gegen den Geschmack der Väter immer etwas ungerecht ist. Anderseits aber enthält dies Gefühl wieder den Kern, aus dem der „Wille zur Tat" gekommen ist, den der Verein des Modenmuseums in unseren schweren Zeiten gezeigt hat und der ihn besonders bei seinen künftigen Ausstellungen, in der er uns die Mode des Tages zeigen wird, beleben mag. W. Kurth EINRICH TESSENOW. HAUSBAU UND DERGLEICHENR" In der verlegenen Liebenswürdigkeit dieses Titels ist der ganze Charakter des Buches aus- gesprochen: seine systemlose Ungezwungenheit, sein Verzicht auf literarische Ausformung, seine taubengleiche Sanftmut, der doch ein entsprechender Zuschuß von Schlangenklugheit beigemengt ist. Diese zwanglose Ungebundenheit aber, die sich so gehen läßt und wie Freund zum Freunde, Mutter zum Kinde mit uns spricht, ist im tiefen Grunde sicherer Überzeugung und klarer Erkenntnis des Wesentlichen fest eingewurzelt. Daß „Hausbau und dergleichen" nicht eine Sache individueller Willkür, nicht einmal das Ergebnis künst- lerischer Begabung sein soll, sondern mit seinem Wohl und Wehe von der Einheit einer ihm zugrunde liegenden allgemeinen Kultur abhängt, wissen wir schließlich alle; aber wie Tessenow sagen würde, wir sagen es uns nur leise oder nur nebenbei und denken dann wieder an andere Dinge, er aber denkt an nichts anderes oder, besser ausgedrückt, wenn er an alles andere denkt, liegt dem doch die Gewißheit zugrunde, daß wir einfacher und klarer und ehrlicher werden müssen, um eine Bauweise zu bekommen, aus der einmal eine Architektur - mit aller diesem Namen innewohnenden hohen Würde - herauswachsen kann. Tessenows Bergpredigt des Bauwesens ist noch mehr eine sittliche Mahnung als ein künstlerisches Bekenntnis; gegen die einzelnen Lehrsätze des letzteren könnte die Kritik vielfach Einwände erheben - wer sollte denn mehr als die berufsmäßige Skepsis des Historikers immer wieder auch an „andere Dinge" denken -, der starken und doch zarten Eindringlichkeit der sittlichen Grundlegung möchte sie warm und unbedingt bei- pflichten. Wir fühlen uns am Wendepunkt der Zeiten und müssen von der Stufe kindischer Zerfahrenheit zur stärkeren Gebundenheit und Glaubensfähigkeit reifen Mannesalters emporsteigen, dessen Ernst sich in der mutigen Kraft der harten Gegenwart verheißungs- voll ankündigt; aber noch locken die zahllosen Wege und Abwege, auf denen wir unsere Kinderjahre verspielt haben, so daß wir nach jeder Führerhand greifen sollen, die uns ernst und bestimmt die Richtung weist, deren Notwendigkeit wir ja immerfort dumpf empfinden. Ein solcher Führer zu den Grundlagen künftigen Lebens ist Tessenow, in dem der neue Geist der Bejahung zu heiterer Selbstverständlichkeit lebendig geworden ist, um so mehr, als er nicht nur spricht, sondern auch handelt; sein Werk und seine Lehre sind eins. Die gewerbliche Tüchtigkeit, die Sachlichkeit und Sauberkeit machen seine Arbeiten zu naturgewachsenen Selbstverständlichkeiten; es sind Häuser und Möbel, wie von jedermann oder von niemand hergestellt, zeitlos und ortlos, alles Persönliche rein ausschaltend. Und doch ist wieder Tessenows ganze Persönlichkeit in der zwingenden Anmut dieser Zeichnungen deutlich erkennbar; aber nicht neben der Allgemeingültigkeit der Erzeugnisse und auch nicht über ihr, sondern durch und durch darinnen, etwa wie er es vom Ornamentalen so hübsch sagt, wie unser Pfeifen und Singen in der gesunden Arbeit oder wie im Kornfeld der Mohn. Hans Tietze k Berlin, Verlag Bruno Cassirer, 1916.