DER BILDHAUER HANS REICHEL AUS BAYERN UND SEINE TATIGKEIT IN ITALIEN, DEUTSCHLAND UND TIROL 50' VON RUDOLF ARTUR PELTZER-MUNCHENEW- N der Schwelle des Barockzeitalters eröffnet Gio- vanni Bologna aus Douai die Reihe der großen niederländischen Künstler, die aus dem heißen Ringen mit der italienischen Kunst siegreich her- vorgegangen waren und nun ihrerseits auf den Süden befruchtend wirkten. Zum ersten Male tritt ein nordischer Bildhauer auf, dessen Wirken allgemein anerkannte Bedeutung innerhalb der damaligen europäischen Kulturwelt erlangte. Er schuf einen neuen Typus des Gekreuzigten, der lange Zeit dem Geschmack der gläubigen Menge entsprach, und befriedigte die Ruhmsucht der Fürsten durch seine bronzenen Reiterstandbilder. Seine Kleinbronzen waren in allen Kunstkammem zu finden und wirkten ebenso vorbildlich wie sein Reliefstil. Sein fliegender Merkur ist noch heute eine der populärsten Bronzen. Kaiser und Könige suchten ihn oder wenigstens einen seiner Schüler an ihren I-Iof zu ziehen. So gelangte auf des Meisters Empfehlung der Genter Hans Mont und später der Holländer Adrian de Vries an den Kaiserhof, Carlo de Cesare nach Sachsen, Pierre Franqueville aus Cambrai nach Paris. Kein Wunder, daß sich in seine Werkstätte zu Florenz Italiener und Niederländer drängten, um bei ihm zu lernen und Ruhm zu erwerben." Unter ihnen auch ein Deutscher, „Anzirevelle Tedesco", den Baldinucci, Bolognas Biograph, gleich hinter dem Lieblingsschüler Franque- ville und vor de Vries, Antonio Susini, den Brüdern della Bella und Pietro Tacca aufzähltfk" Wer mag der vergessene deutsche Bildhauer sein, der sich unter solch mysteriöser Namensform verbirgt? Wie diese Studie zeigen soll, nie- mand anders als der Bayer I-Ians Reichel, der als Schöpfer zweier großartiger Bronzegruppen in Augsburg, des Erzengels Michael an der Fassade des Holl- schen Zeughauses und des Kreuzaltars in der Ulrichskirche, bereits der Kunst- geschichte kein Fremder ist. Seine noch nicht untersuchte weitere Tätigkeit auf deutschem und österreichischem Boden soll hier auf Grund unbekannten oder noch nicht benutzten Materials in großen Zügen umrissen werdenf" ä Baldinucci, „Notizie de' professori del disegno", Classiei Ausgabe, Mailand, x81 1, vol. VIII, p. x16: „la sua stanza . . . in un subito erasi tutta piena di giovanni e Fiorentini, ed Oltramontani di piü nazioni, particolar- mente Fiarnminghi, i quali con istraordinaria osservanza il seguitavanu, ed ossequiavano, ajutandolo anche nel- 1' opere." Vgl. p. 127, 128, 349 und 448 sowie XI, 325. H „ma di questi il prima, e principale fu Pietro Francavilla Fiammingo, Anzirevelle Tedesco, Adriano Fiarnmingo, Antonio Susini, Franeesco della Bella e Guasparri suo fratello Fiorentini, e fmalmente Pietro Tacca da Carrara": Baldinucci, VIII, p. 448. H" Manche Fragen konnten freilich nur gestreift werden, wie denn überhaupt eine eingehendere Würdigung späterer Zeit vorbehalten bleiben muß. Der Direktor des Bayerischen National-Museums Professor Halm hat diese Arbeit durch sein lebhaftes Interesse gefördert und möchte ich nicht unterlassen, dies dankend hervorzuheben.