Der Einbruch der zentralasiatischen Eroberer zu Beginn des zweiten _]ahr- tausends dürfte dann die antike Tradition verschüttet und die heimischen Gewohnheiten mitgebracht haben. Bei dem berühmten Verkaufe der Teppichschätze der fatimidischen Kalifen im Jahre 1067 hören wir noch nur von Wirkarbeitenf damals waren also mindestens die Prunkstücke noch in dieser Technik gearbeitet. Allerdings tritt der Erkenntnis des geschichtlichen Ablaufes schon der ältesten Zeit die gleiche Schwierigkeit entgegen, die noch die systematische Gliederung des erhaltenen Bestandes an Orientteppichen erschwert. Unsere Kenntnis ist nicht nur an sich lückenhaft, sondern umfaßt auch ein Material, das zum Teil ganz verschiedenen Kulturschichten seine Entstehung verdankt. Man muß Kulturschichten sagen, denn der Hauptunterschied etwa zwischen einem Perserjagdteppich und einem Kaukasusteppich entstammt nicht der Zeitdifferenz, die ihre Entstehungsdaten bedingen, sondern er liegt darin begründet, daß stilistisch der eine ein Erzeugnis des Kunstgewerbes ist, der andere dem Bereiche der Volkskunst" angehört. Es bedürfte also der Durch- arbeitung des gesamten Ornamentschatzes der Teppiche unter diesem Ge- sichtspunkte daraufhin, was er über den Gang der Entwicklung aussagen kann. Wir fanden die frühesten Teppiche der Art, die wir als orientalische im besonderen zu bezeichnen pflegen, in Zentralasien. Da nun heute noch dort Teppiche mit sehr primitiven Mustern gefertigt werden, so könnte der alte Streit, ob es sich bei ihnen um Atavismen handelt oder ob die Formen- sprache der Verkümmemng einer höherstehenden ihre Entstehung verdankt, ein neues Interesse gewinnen. Ich halte allerdings die Fragestellung mit ihrer Alternative für falsch. Denn es kann ja auch: sowohl - als auch heißen müssen, also es könnten in den sogenannten Nomadenteppichen Misch- produkte einer Volkskunst vorliegen. Und meines Dafürhaltens ist es so. Abbildung 2 zeigt einen modernen Turkmenenteppichfhk" Ich bitte, zunächst die Elemente der Ornamentik ins Auge zu fassen. Als Hauptmotiv läßt sich ein Zacken herausschälen, der an der Spitze umbiegt oder wenigstens zu- gespitzt ist, und der mit einem Gefährten symmetrisch zusammengestellt wird. Es kann kein Zufall sein, daß das Hauptmotiv an den Konturen liegt, denn wie stark zeichnerisch das Muster empfunden ist, lehrt die eckig gebrochene Linie, lehrt das Stufenmotiv, zeigen endlich die Rhomben. Sind in der eigentlich islamischen Kunst die Konturen für das Konturierte im wesentlichen bedeutungslos - sie sind entweder bis zum Unfaßbaren ver- unklärt oder sind ganz primitiv, eigentlich negativ gegeben -, so soll hier durchaus der Kontur das Motiv zusammenhalten und zur Einheit schließen. Die Eingeborenen gehen bei ihren Benennungen der Teppiche auch von 4' Karabacek, a. a. 0., Seite x95 f. '" Ich habe eine Charakteristik der Volkskunst im allgemeinen in dieser Zeitschrift, XXIII, Seite 60, zu geben versucht. "h" Nach „Tapis de PAsie Centrale etc. par A. Bogolubow" (St. Petersburg-Leipzig 1908), Tafel XVI. - Es besteht Veranlassung, darauf hinzuweisen, daß Marco Polo in seiner bekannten oft zitierten Stelle des ersten Buches nicht von turkmenischen, sondern von türkischen Teppichen spricht.