Vorlesungen im Museum. (Fortsetzung aus dem Jinner-Hefte.) (Vorlesungen des Custus Falke über die Entwickelung des modernen Geschmackes.) Dritte Vorlesung: Die deutsche Renaissance. Schon in der ersten Vorlesung über die Entwicklung des modernen Geschmackes, in der Schilderung der verworrenen Geschmackszustäude diesseits der Alpen am Ausgangs des Mittelalters, war darauf hingewiesen worden, dass bereits der Retter aus diesem Chaos erstanden war, jene italienische Renaissance, mit welcher sich der zweite Vortrag beschäftigte. Den Gegen- stand des dritten Vortrages bildete der Einfluss der neuen Bewegung auf Deutschland, wo die Entwicklung sich mannigfaltiger und interessanter darstellt als in anderen Ländern, deren Behacbtung der Zeit vorbehalten bleibt, welche sie in der Culturbewegung selbst- ständig auftreten liess. Einen so eigenthiimlichen Gang nahm in Deutschland die Um- bildung des Geschmackes, weil sie mit reformatorischen und revolutionären Bewegungen auf dem Gebiete der Küche wie des Staates, den socialen Wandlungen und der Pdege der Wissenschaft zusammeniiel. Die ernstere, nach Zucht und Einheit strebende Richtung der Geister prägt sich gleich in der Tracht aus, welche sittsamer, einfacher .und natürlicher wird als im fünfzehnten Jahrhundert, wenn auch die phantastische Wildheit des Lands- knechtsthums ihr noch manchen charakteristischen Zug beifügt. In der bildenden Kunst vollzog sich der Uebergang von dem alten zum neuen Styl so schnell, dass er sich an den Werken der meisten Künstler verfolgen liisst, welche aus dem fünfzehnten in das sechszehnte Jahrhundert herüherragsn. Der erste, welcher sich von dem derben Naturalismus des Mittelalters zu reineren und idealeren Formen durcharbeitete, Dürer, iiberragte zunächst alle seine deutschen Zeitgenossen und Vorgänger nicht durch Veredlung ihrer naturalistischen Kunst, sondern durch den Reichthum seiner Talents und die grosse Gewalt seines Genies, Wenn seine bereits vor dem Jahre 1500 geschaifenen Holzschnitte zurApokalypse durch Grösse der Composition und Kraft des Ausdruckes Zeugniss von einem neuen Geiste geben, so ist es der Geist Dürer's, nicht der Geist der Renaissance. In ihren Formen zeigen sich die Gestalten noch als Kinder Deutschlands und ihrer Zeit. Da ist kein Zug von Formenidealisirung, keine Spur von Veredlung des Fnltenwurfes, von dem Streben nach Schwung und Schönheit der Linien. Für alles das öffnete ihm erst der Aufenthalt in Venedig 1506 das Verstäudniss, aber zwanzig Jahre währte es, bis er, unter so viel kleinlicheren Verhältnissen lebend als die Italiener, die Freiheit der Kunst und die Grösse des Styles erreichte, welche ihn an die Seite der grossen Meister Italiens stellen sollten. Und eigentlich ist es nur ein einziges seiner griisseren Werke, die vier Apostel, welches als der vollgiltige Ausdruck der höchsten Stufe seiner Kunst betrachtet werden kann. Dieses Gemälde wurde 1526 vollendet und nicht viel mehr als ein Jahr später starb der Meister, aufgerieben von den kleinen Quälereien des Lebens. Wal Dürer so spät und schwer gelang, das wollte noch weniger seinen Zeit- genossen, Holbein ausgenommen, gelingen, und der Redner glaubte dies als ein Glück für sie bezeichnen zu müssen, da sie bei ihrer schwächeren Kraft die deutsche Eigen- thümlichkeit und Innigkeit fremden kalten Formen geopfert haben würden, ohne die Fähig- keit sie mit lebendiger Seele zu erfüllen. So ist uns Granacb, der bürgerlichste. unter den bürgerlichen deutschen Künstlern, in seiner deutschen Weise ein lieber Meister geblieben, während Georg Penz , ein Schüler Dürer's, in Italien ein seelenloser Künstler geworden ist. Die grössere Zahl der Schüler Dürer's und deren Schüler wieder blieben übrigens dem deutschen Geiste treu und lernten von der Renaissance nur die freie, lebensvolle, kriiüige Gestaltung ihrer heiligen und profanen Menschen, charaktervoller, kräftiger Ge- stalten, wie sie in eine Zeit des Kampfes und Sturmes gehören. Da der Protestantismus ihnen eine grosse Menge der religiösen Gegenstände entzogen hatte, die Heiligen für sie nicht mehr existirten, wandten sich die sogenannten Kleinmeister um so lebhafter den Erscheinungen der bewegten Gegenwart zu, den Bürgern, Bauern, Kriegsleuten, deren Leben und Treiben weniger in Gemälden als in Holzschnitten und Knpfersticben wieder- gegeben wurden, die ersteren durch kräftige, massige Behandlung, die letzteren durch Winzigkeit und Zierlichkeit sich auszeichnend (daher der Name ,Kleinmeister'). Dürer's Zeitgenossen waren noch wie er selbst und sein hoher Gönner, Kaiser Maximilian, dem Zuge zum Phautastischen unterworfen, so l-Iolhein in seinem auf kleinstem Raume grossartigen Todtentanz. In der Ornamentik stellt sich das phantastische Element als eine Art Uebergsngsstnfe von der Gotliik zu den antikisirenden Formen ein. Gleichzeitig verwandelt sich das gothisclie Stabwerk zuerst in stylisirte, dann in naturali- stisebausgeführtc Aeste und Laub; Rundbogen und Säulen treten an die Stelle der Spitz- bogen und Pfeiler. Die Kleinmeister, so realistisch in ihren figürlichen Darstellungen, geben sich in ihren ornamentalen Arbeiten geflissentlich Mühe, der Renaissance zur Herr-