168 unzerstürbaren Stempel des Vorzugs an sich tragen. Mögen iiussere Verhältnisse noch so ungünstig einwirken, mögen Kriege, Revolutionen verwüstend über die Bevölkerung und das Cspital dieser Länder hinziehen, kaum ist eine ruhige Periode eingetreten, so er'- wachen die alten Künste und Fertigkeiten wieder, und der menschliche Fleiss beginnt auf's Neue erfolgreich sein mühsames, aber auch den höchsten Lohn in sich selbst tragendes Werk. Zn diesen begünstigten Strichen unseres Welttheils gehört Belgien. Seine Lage zwischen England, Frankreich und Deutschland, sein Boden, welcher der Landwirthschaft viele Vortheile bietet und grosse Lager von Kohlen und Eisenerzen in seinem Schoosse triigt, eine Bevölkerung endlich, die aus zwei sehr verschiedenen, aber für die Arbeit gleich befähigten Stämmen zusammengesetzt, inr vlämischen Theil mit der niederdeutscheu Ausdauer noch rheinfränkisches Kunstgeschick, und im Südwesten mit wallonischer Willenskraß französische Gewandtheit verbindet, - das sind die Elemente, auf welche gestützt dieses merkwürdige Land regelmässig ein blühendes Erwerbsleben ent- wickelte, so oh es durch Glück oder eigene Thatkraft eine Verwaltung fand, die ihre erste Aufgabe in der Förderung des Volkswohles erblickte. Die Bliithezeit der Gane, die man jetzt unter dem Namen Belgien begreift, fällt in die Zeit vom 13. bis 16. Jahrhundert. Damals theilten sich diese niederländischen Theile des lockern deutschen Reichsverbandes mit den mächtigen Städten der Hanse in den Welt- handel, denn ein Gegensatz zwischen den Niederländern und den Hanseaten bildete sich erst gegen Ende des Mittelalters; in Bezug auf industrielle Production und Kunstfertigkeit standen jedoch die belgischen Niederlande vor den Hanseaten entschieden voraus. Aus jener Zeit stammen die herrlichen Dome, die stolzen Rathhiiuser und alle die berühmten Kunstschlitze, die wir noch heute als stumme Zeugen der Macht und des Beichthums der vldmischen Städte inAntwerpen, Gent, Brügge, Löwen n. a. Orten bewundern. In Brügge allein bestanden 15 grosse Handelsgesellschaften und 66 Zünüe, welche letztere weit rich- tiger mit grossen Productionsgenossenschaiten, als mit den später entarteten „Zü.utten" zu vergleichen sind. Ebenso war Brügge ein Weltmarkt wie damals nur noch Constantinopel; Antwerpen, zugleich das Liverpool und Manchester der damaligen Zeit, sah oft an einem Tage die Scheide von 500 Schiden befahren; darf man zeitgenössischen Nachrichten Glauben schenken, so wurden in dieser Stadt in einem einzigen Monat soviel Geschäfte abgeschlossen, als in dem damals gleichfalls hochberühmten Venedig in zwei Jahren. Namentlich war und sich von dort über Europa verbreiteten. Allein dieser glänzenden Entwickelung fehlte die Sicherheit. Das deutsche Reich, ein zwar schwer-fälliger, aber immerhin in seinen Theilen kraftvoller und durch alte Würde imposanter Körper, wurde in seinem Zusammenhang mehr und mehr gelockert, und da- durch verlor die städtische Freiheit und der städtische Wohlstand in ganz Mitteleuropa directen Schutz gewährt. Viele Jahrhunderte lang konnte es keinem auswärtigen Feind gelingen, sich auf deutschem Boden festzusetzen. und die Kriege trugen daher mehr den Charakter localer Fehden. Aber mit dem Zerfall des Reiches hörte dies auf, und aus- wärtige Einmischungen, Eroberungen und furchtbare innere Zerwiirfnisse brachen über die mitteleuropäischen Länder herein. _ Nicht ohne ein Unrecht gegen Deutschland trennte Karl V. die Niederlande vom Reiche ab und schlug sie zu einer spanischen Erbportion. Die nördlichen Provinzen (Hol- land) rissen sich später los; Belgien aber blieb 160 Jahre lang eine spanische Provinz. Erst im J. 1718, durch den Utrechter Frieden, fiel Belgien an Oesterreich zurück. Achtzig Jahre dauerte diese Verbindung, die im Ganzen liir beide Theile eine segensreiche war. Unter dem weisen Scepter Maria Theresiais trat für Belgien eine seit den glänzenden Tagen des Mittelalters unerreichte Bliithe ein. Wie Maria Thcresia überhaupt bestrebt war, die Sicherheit ihrer ziemlich zerstreuten Besitzungen auf die Zufriedenheit und den Wohlstand der Bewohner zu gründen, so rühren auch manche vortreffliche Ein- richtungen der belgischen Volkswirthschaftspfege, z.B. die ersten Zeichen- schulen, von dieser grossen Herrscherin her. Umgekehrt wusste Maria Theresia die Bildung und die Kenntnisse der Belgier zum Vortheil der Erhlande zu verwerthen. Es ist bekannt, dass eine Reihe bedeutender Männer und heute noch in Oesterreich blühender Familien aus den belgischen Niederlanden stammt; ebenso erzählt die Indnstriegeschichte, dass durch belgische Einwanderer zahlreiche neue Industriezweige oder Verbesserungen bestehender Gewerbe nach Oesterreich verpflanzt wurden. Aber diese Verbindung, schon vorher gelockert durch Missverständnisse , wurde durch die französischen Revolntionskriege zerrissen und auch im Jahre 1815 leider nicht wieder geknüptt.