Diese Fähigkeit, den lnhalt unserer Zeit mit der Kunst in lebendige
Beziehung zu bringen, diese poetische Kraft, das Alltägliche im Lichte
der Schönheit zu erblicken, ist in erster Linie von den großen Malern
ausgegangen. Leighton, Moore, Alma Tadema, die unentwegten Classi-
cisten, Rossetti, Burne Jones, Madox Brown, die begeisterten Prärafaeliten,
Millais, der, als Prärafaelit beginnend, den Uebergang zum Naturalismus
gefunden, so verschiedenartig ihr Werk auch sein mag, sie Alle begegnen
sich in dem einen Punkte, das, was sie schaffen, mit modernem Geiste
zu durchdringen, von moderner Empfindung ausgehend, künstlerisch zu
beleben. Zu welchen Absonderlichkeiten das revolutionäre Streben der
Prärafaeliten mitunter auch geführt hat, ihr unvergängliches Verdienst
liegt darin, dass sie muthig die Fesseln gesprengt, in die ein c0nven-
tioneller Absolutismus die moderne Malerei geschlagen hatte. - Das ist
ihr Ruhm, ihre Bedeutung, ihre Größe. - Tieferblickende haben ihren
Werth bald erkannt und sich eifrig um den Besitz ihrer Werke beworben,
allmälig sind aber auch weitere Kreise zur Einsicht gekommen, dass
nicht die Vertreter des alten, unfruchtbar gewordenen Eklekticismus es
sind, die die Zauberkraft besitzen, der Welt ihr eigenes Sein im Spiegel
künstlerischer Verklärung vorzuhalten, sondern diese von tiefstem Kunst-
empfinden erfüllten Männer, deren Erstlingswerke verspottet und ver-
höhnt wurden, und die in ununterbrochenem Ringen, in unaufhörliehem
Kampfe, sich im Laufe von vierzig Jahren endlich verdiente Anerkennung l
erworben haben.
Aber diese Kunst wäre ohne Zweifel nur von Wenigen verstanden
und kaum über die Grenzen Britanniens hinaus geschätzt worden, wenn
ihr zur Seite nicht allmälig eine andere groß geworden wäre, beschei-
dener in ihren Mitteln, aber weitaus mächtiger durch ihren Einfluss auf
die Massen: die Illustration. Eine Illustration, die nicht blos Wieder-
gabe bereits bestehender Kunstwerke ist, sondern die als selbständige,
originelle Kunst in frischer Unmittelbarkeit zum Beschauer spricht. Eine
Kunst in Schwarz und Weiß, die ihr Evangelium der Freude und Schön-
heit eindringlicher, vielzüngiger, deutlicher und unermüdlicher verkündet,
wie jene einsamen Bilder in ihren goldenen Rahmen an den Wänden
der Salons und Galerien. Eine Illustration, die durch ihre Wochen- und
Vierteljahrshefte, ihre Märchenbücher, Prachtwerke, Reisebeschreibungen
und Classikerausgahen in jedes Haus, in jeden Herrensitz eindringt, die
Alt und Jung, den Städter und den Landbewohner, den Reichen und
den Unbemittelten, den Einsamen und den Weltmann in ihre Kreise
bannt
Die Illustration im weitesten Sinne hat das Verständniss für jene
großen, aber zum Theil schwer verständlichen Meister in so weite Kreise
getragen, dass man thatsächlich behaupten kann, die gesammte civilisirte
Welt Englands fange an theilzunehmen an ihrer Kunst, es sei wenigstens
an einem Punkte der Culturwelt jene lebhafte Wechselbeziehung zwi-