D215 Die Hantirung rnit Zirkel und Richtscheit ist es, aus der hier die erste und beste Anleitung entspringt; Alles, was bei derlei Gebilden an Naturformen hineingeklligelt wird, hat nicht mehr zu bedeuten, als die Gesichter, die in einem Liniengeflechte ihren Spuk treiben. Zirkel und Richtscheit waren es auch, denen insbesondere der islamitische Orient den weitaus wichtigsten Tlieil seiner Ornamentik zu verdanken hat. Sowohl die agglutinirenden, als auch die der Flecht- technik entlehnten Formen der arabischen Kunst wären einfach unmöglich. sollten sie unter der Bedingung geschaffen werden, die Erscheinungen irgend welcher Naturerzeugnisse zur Grundlage ihrer Herstellung zu ver- wenden. Die Ursache, warum bei so vielen Zierformen, sowohl abendländischen als morgenländischen Ursprungs, die Vorbilder so vielfach als der Natur entnommen bezeichnet werden, liegt nur darin, dass man die Gebilde nicht in ihrer Totalität betrachtete, sondern nur auf ihre allerdings viel- deutigen Einzelheiten untersuchte, wobei mitunter wieder die Phantasie das Unglaublichste zu Tage fördern konnte. Um das Ornament zu verstehen, geht es eben nicht an, es in seine kleinsten Bestandtheile zu zerpflücken, denn allein in der Art, wie diese zusammengefügt sind, liegt ihr eigentliches Wesen, ja die Berechtigung ihrer Existenz. Auch das scheinbar freieste Zierwerk, wie es uns etwa in der Kunst der Japaner entgegentritt, entsteht nicht im Geringsten ohne Regel; aber die heutzutage zwar noch empfundene, doch äußerst selten begriffene regelrechte Einführung der zusammengesetzten Formen tritt hier so discret, so ganz und gar nicht lärmend auf, dass der unein- geweihte Beschauer an ein Spiel des Zufalls glaubt, wenngleich alle, auch die nebensächlichsten Formen, mit weiser Ueberlegung angeordnet und durchgebildet sind. Diese Thatsache ist um so leichter begreiflich, als das constructive Princip sehr oft selbst dann nur schwerfällig aufgefasst wird, wenn es, wie bei den meisten der europäischen Ornamentations- weisen, verhältnissmiißig stark betont erscheint. Es war schon früher von den sogenannten Empiindungslinien die Rede, den Resultanten, die nicht sichtbar dargestellt zu sein brauchen, aber als das Ergebniss der Gesammterscheinung einer Form vom Auge empfunden werden, als der Hauptrichtung und Wendung dieser Form (ihrem wZugea, wie man auch zu sagen pflegt) entsprechend. Versuchen wir es bei Bildern von Ornarnentformen verschiedenen Ursprungs, diese Linien mit einer deutlich sich abhebenden Farbe einzu- zeichnen, so erhalten wir eine Versinnlichung des nackten constructiven Principes, das dem betreffenden Ornamente zu Grunde liegt; die Con- struction dieser Linien bildet, wie schon gesagt, das Gerippe und Gerüste als Träger all" der dargestellten Dinge, die in mehr oder wenige: freier Wahl gefügt und geordnet eben das Ornament ausmachen.