bewährten Kunstgeschmack geltend machen konnte, wie das Fabriks-
personal von Jahr zu Jahr größer wurde, neben der künstlerischen auch
die technische Vervollkommnung immer weitere Fortschritte machte, und
auf solche Weise selbst die bösen Kriegsjahre ohne dauernden Schaden
für die Fabrik vorüberzogen.
Was man heute als wAlt-Wiener-Porzellanu schätzt, entstand in
dieser Zeit, unter der Direction Sorgenthal's und seines Nachfolgers
Niedermayr, etwa zwischen 1790 und 1818. Das Porzellan der There-
sianischen und Josephinischen Epoche mag künstlerisch mitunter höher
stehen, die originelleren Arbeiten sind die aus der Zeit des Kaisers Franz.
Die Wiener-Congress-Ausstellung hat, wenngleich auf beschränktem
Gebiete, eine Fülle vollendet schöner Arbeiten zusammengeführt, eine
Mannigfaltigkeit von Formen und Decorationsarten, wie wir sie nicht
leicht wieder an einem Orte vereinigt antreffen werden. Neben zahl-
reichen Kaffeetassen und Dejeuners ist besonders an prächtig decorirten
Tellern kein Mangel. Complete Tafelservice sind leider nicht zur Aus-
stellung gelangt, aber dafür eine Anzahl anderer seltener und origineller
Arbeiten. So mag es denn nicht überflüssig erscheinen, in das Gebotene
System und Ordnung zu bringen, besonders in Bezug auf Form und
Decor nach charakteristischen Typen zu suchen.
Das Empire hielt früh seinen Einzug in die Mal- und Modellirsäle
der Wiener Fabrik. Sorgenthal, ein geschulter Kaufmann und erfahrener
Fabriksherr, war in der Welt herumgekommen und besaß ein offenes
Auge für das Neue, für den kommenden Geschmack. Ebenso folgte
Grassi mit begeisterter Ueberzeugung den Spuren der Antike. Nicht
allein seine Modelle lassen das erkennen, auch die Berichte über seine
Reise nach Italien bestätigen es. Heiße Sehnsucht hatte ihn seit Jahren
dahin getrieben, 1792 kam die Erfüllung. Achtzehn Monate durfte er
dort verweilen, Zeichnungen anfertigen, nach der Antike modelliren, den
neuen Geist der Kunst einsaugen mit allen Organen seines empfänglichen
Wesens. Bereichert nach allen Richtungen kehrte er heim. Es wäre des
Versuches werth, einmal nachzuforschen, welche Modelle nach und welche
vor seiner italienischen Reise entstanden sind. Jene neuen Gefäßformen,
die zu Beginn der Aera Sorgenthal rnodellirt werden mussten als Ersatz
für die veraltete, in Auctionen veräußerte Waare, sind ohne Zweifel
bedeutend früher entstanden.
Aber auch auf diese Formen dürfte Grassi entscheidenden Einfluss
genommen haben, denn er wurde in demselben Jahre Modellmeister, in
dem Sorgenthal die Direction übernahm. Mit dem classischen Alterthurn"
haben diese Gefäße noch wenig gemein; vergeblich würde man unter den
antiken Vasen nach ihren Vorbildern suchen. Diese cylindrischeu, gerad-
linigen Becher, Tassen und Kannen knüpfen vielmehr in ihrer Form an
jene steifen, in langen Linien verlaufenden Gebilde an, die das immer
nüchterner werdende Louis XVI. im vorletzten Decenniurn des 18. Jahr-