125 Nachtheil setzen müssen. Die Kunstgeschichte weiß hiefür zahlreiche Bei- spiele zu nennen: vielleicht das lehrreichste darunter bietet die griechische Vasenmalerei. Zwischen diesen beiden Extremen nun - dem allzu leb- losen des mineralisch-geometrischen, dem allzu lebhaften des animalischen Bereiches - steht das pflanzliche mitten inne. Die Erscheinung, welche die Pflanze dem Auge darbietet, ist keine starre und unabänderliche wie diejenige des Krystalls, denn in der That wohnt der Pflanze ein orga- nisches Leben inne, entfaltet dieselbe Wachsthum und Bewegung. Aber diese Bewegung ist doch wiederum keine so energische, dass sie dem Beschauer in wenigen Augenblicken wahrnehmbar würde. Unser Auge ist vielmehr gewöhnt, die Erscheinung der Plianze als eine unveränder- liche und unbewegliche aufzufassen, und darum stößt es sich auch nicht an der Unveränderlichkeit, die der künstlerischen Nachbildung einer Pflanze in leblosem Material nothwendigermaßen anhaften muss. Ander- seits verräth aber die Pflanze die ihr innewohnende Bewegungstähigkeit durch die individuelle Entwicklung ihrer einzelnen Theile, und damit ist der künstlerischen Phantasie die erwünschte Handhabe geboten, um aus dem Nachbilde einer Pflanze ein nicht blos schönes, sondern auch Leben athmendes Ornament zu gestalten. Ein zweiter, nicht minder triftiger Erklärungsgrund für den Um- stand, dass die decorative Kunst immer und immer wieder zum Pflanzen- ornament zurückkehrt, liegt in der Verwendungsfähigkeit desselben zu regelmäßigen, symmetrischen Compositionen. Die decorative Kunst hat es in der Regel mit der Verzierung eines Untergrundes, einer bereits gegebenen Kunstform zu thun, die um irgend eines praktischen Zweckes willen aus dem Rohstoff bereitet werden ist. Der Rohstoff als solcher unterliegt wiederum in den häufigsten Fällen den Gesetzen der mine- ralischen Masse und erfordert daher eine Behandlung in mineralisch- geometrischen Formen, deren oberstes Gesetz die Symmetrie ist. So wird die decorative Kunst vor Allem herangezogen zur Ausschmückung von Werken der Architektur: der Rohstoff, d. i. der Stern, aus welchem das Bauwerk errichtet wird, ist selbst von mineralischer Beschaffenheit und die einzelnen Theile des Bauwerks müssen daher in symmetrischer Responsion zu einander stehen. Das oberste Gesetz, nach welchem ein nach künstlerischen Grundsätzen aufzuführendes Bauwerk behandelt werden muss, ist also dasjenige der symmetrischen Vertheilung der Massen und Formen. Dem gleichen Gesetze werden sich im Allgemeinen auch alle übrigen Werke zu fügen haben, die zu irgend einem praktischen Zwecke durch die Kunst aus der rohen Masse gebildet werden, also insbesondere die Erzeugnisse der sogenannten Kunstgewerbe. So erklärt sich das Ver- hältniss der Abhängigkeit, in welcher anerkunntermaßen die Kunstgewerbe zu der Architektur stehen, und auf die Erkenntniss dieser Abhängigkeit ist bekanntlich unser ganzes modernes kunstgewerbliches Unterrichts- wesen aufgebaut.