153 Rankenornament immer noch mehr oder minder der pflanzlichen Er- scheinung im allgemeinen Rechnung getragen. ' Den entscheidenden Schritt aber nach der angedeuteten Richtung, den die Byzantiner zurückzulegen noch zögerten, haben jene Orientalen gethan, die infolge des Auftretens Muhammeds unter die Herrschaft des Islam gerathen sind. Wir pflegen alle diese weithin zerstreuten Völker verschiedenster Rasse, die ursprünglich nur durch das gemeinsame Band des religiösen Bekenntnisses, d. i. des Islam, zusammengehalten waren, als Sarazenen zu bezeichnen. Die Sarazenen nun haben das Bilder- verbot ausdrücklich in ihr Hauptgesetzbuch, den Koran, aufgenommen. Zwar bezog sich dieses Verbot ursprünglich blos auf Darstellungen, die mit dem Cult zusammenhingen, und wurde erst in weiteren Jahrhun- derten, namentlich seitdem das türkische Element die Oberhand gewonnen hatte, mehr in's Allgemeine ausgedehnt. Aber für die Ausbildung einer maßgebenden Profankunst war jene Zeit noch keineswegs entsprechend ausgestattet, und indem der figürlichen Darstellung in der religiösen Kunst kein Raum verblieb, wurde ihr damit zugleich der fruchtbarste Nährboden überhaupt entzogen. Wo aber keine auf die Schaffung von figürlichen Compositionen gegenständlichen Inhalts ausgehende Kunst, dort muss dagegen gerade die decorative Kunst die üppigste Entwicklung finden, denn das Streben nach Kunstschaifen, nach Umbildung der rohen Materie zu schönen augerfreuenden Formen ist ja dem Menschen unver- tilgbar eingeboren, und musste auf einer verhältnissmäßig so hohen Culturstufe, auf der sich die Sarazenen im Mittelalter befanden, unwider- stehlich nach Bethätigung drängen. Das wichtigste Element nun, das die Ornamentik dem Mittelalter überliefert hatte, war die Pflanzenranke. Diese Ranke übernahmen die Sarazenen und bildeten sie entschieden und consequent in dem specifischen Sinne ihrer ganzen Culturtendenz, d. h. gemäß einer nichtsinnlichen, übernatürlichen, also abstract-geometrischen Stilisirung aus. Das Product dieses Processes kennen wir in der Arabeske. Die Arabeske ist der directe Abkömmling des antiken Rankenomaments, und zwar sein vornehmster und rnaßgebendster Abkömmling. Niemals im bisherigen Verlaufe der Kunstgeschichte hat das Rankenornament eine so überwiegende, ja geradezu alleinherrschende Stellung und Bedeutung erlangt, wie in der sarazenischen, oder wie der gemeine Sprachgebrauch gewöhnlich zu sagen pflegt, der orientalischen Kunst, als Arabeslre. Auch auf die abendländische Kunst hat das arabeske Rankenornament wiederholt einen sehr beachtenswerthen Einfluss ausgeübt. 4 Eine so unumschränkte Herrschaft wie im Orient konnte das Ranken- ornament im Westen, bei den europäischen Kunstvölkern, niemals, weder im Mittelalter noch in der neueren Zeit gewinnen. Der abendländi- schen Kunst blieb die Darstellung der menschlichen Figur allezeit das zu erstrebende Höchste, sei es um ihrer selbst willen, sei es zur Ver- sinnlichnng göttlicher Macht und Größe. Aber im Ornamegt blieb der