1'! "l houette -4,' sei es nun die eines menschlichen Körpers oder irgend eines anderen Lebewesens, oder einer Pflanze oder eines Productes der menschlichen Arbeit. Und mit der klaren Anordnung der Silhouette, mit den Mitteln, welche jegliche gegenseitige Beirrung der Formen vermeiden lassen, rechnet die Kunst zu allen Zeiten, welchen wir Stil zu- schreiben. Zur Erreichung der klaren, jegliche Formverwirrung ver- meidenden Anordnung der Gebilde folgt der Schaffende einer Reihe von nothwendig sich ergebenden Gesetzen, welche sich im Wesentlichen auf die Vertheilung der Massen und auf die Linienführung beziehen. Wenn diesen Gesetzen zunächst unbewusst nachgekommen wird, so muss anderen, im Gefolge der Wissenschaft zu Tage tretenden gehorcht werden, sobald auch hinsichtlich der bildmäßigen Darstellungen auf der Fläche die nimmer verstummende Frage nach dem Warum der Dinge lebendig, wird. Das Wesen der graphischen Projection zu erforschen und dessen Lehrsätze zu tixiren; den Gesetzen der Proportion des mensch- lichen Körpers auf die Spur zu kommen und ihre Anwendung zu ermög- lichen; die Mathematik zu Hilfe zu nehmen, um das empirisch Erworbene der Kunst auch logisch zu begründen, wird bei hochgebildeten Völkern als ernste Aufgabe betrachtet. Von dem aus Macedonien gebürtigen Maler Pamphilos, zu Sikyon thätig, dem Lehrer des Apelles, berichtet Plinius im ro. Capitel des XXXV. Buches seiner Historia naturalis die Behauptung, dass ohne Arithmetik und Geometrie die Kunst nicht zur Vollendung gelangen könne. Leider ist uns von dem Inhalt der von Apelles über die Zeichen- kunst geschriebenen Bücher keine Ueberlieferung erhalten geblieben. - Welche bewundernswürdige Kenntniss der menschlichen Körperformen oft die einfachsten griechischen Vasenbilder verrathen, braucht nicht erst betont zu werden. Wir können uns nicht verhehlen, dass auch hier nur ein abgeschlossenes bedeutendes theoretisches Wissen solche Leistungen ermöglichen konnte, wenngleich von demselben keinerlei Nachricht auf uns gekommen ist. Was die classischen Autoren, Galen an der Spitze, über das Studium der Anatomie bei den Alten berichten, ist nicht dar- nach angethan, darauf schließen zu lassen, dass die Zeichenkunst der Hellenen aus einer vorhandenen, von der Anatomie der menschlichen Bewegungsorgane handelnden Lehre hätte Nutzen ziehen können. - Was die griechische Kunst aber ganz sicher besessen haben muss, ist eine auf das sorgfältigste Studium der Muskelreliefveränderungen gegründete Kenntniss aller charakteristischen Formeneigenthümlichkeiten der mensch- lichen Gestalt, einer Lehre, die in ihrem Gesammtumfange etwa als künstlerische Somatologie zu bezeichnen wäre. Eine solche konnte be- greiflicherweise nicht der Einzelne für sich durch Naturbeobachtung erringen, sie konnte und musste vielmehr einzig und allein das Ergebniss jahrhundertelanger, traditionell erhalten gebliebener Erfahrung sein. (Fortsetzung folgt.)