Auch für das Schachbrettmuster dürfte kaum Jemand den kosmischen Ursprung in Anspruch nehmen u. s. w. Wir wissen ferner, dass bei den einfachsten Bethätigungen des Nachbildungstriebes das vorhandene Urbild nur im Ganzen und Großen aufgefasst wird; dass die Fähigkeit der in's Einzelne gehenden Betrachtung sich bei den Völkern sowohl als bei den lndividuen nur allmälig und langsam entwickelt. Auch dieser Umstand spricht dafür, dass wir es nur als Zufälligkeit zu betrachten haben, wenn einzelne der primitiven Ornamentmotive mitunter eine entfernte Aehn- lichkeit mit den feinen Detailformen gewisser Naturproducte aufweisen. Hingegen finden wir manches einfache, von der Natur geborene, in den Zeiten späterer Kunstentwicklung von den Ornamentikern oft angewendete Motiv bei uralten Beispielen der Kunstbethätigung nicht vor, wie z. B. das so dankbare, aus regulären Sechsecken zusammengesetzte Bienen- zellenmuster. Was geht aus alledem hervor? Die Frage zu beantworten bietet keine Schwierigkeit. Dass den einfachsten Kundgebungen des Schönheitssinnes der Contact mit dem in der Natur Gebotenen fehlt; dass der auf primitiver Stufe stehende Bildner anderen Impulsen folgt als dem Triebe, die Er- scheinungen wiederzugeben, welche die Natur hervorbringt. An ihm bewahrheitet sich schon, was Goethe den Kunstschüler empfinden lässt: -Die Blätter sind zu colossal, Und ihre Schrift gar seltsam abbreviru Zwei Arten der Bethätigung menschlichen Intellects sind es. von denen jeder Versuch einer Kunstübung ausgeht. Diese beiden Arten der Bethätigung, deren allgemeine Bedeutung hier nicht näher betrachtet werden soll, heißen Auswahl und Anordnung. Wir sehen sie schon zum Ausdruck gebracht, wenn der prähistorische Mensch nur eine Anzahl ziemlich gleich großer Steine auf dem Erdboden aneinander reiht, um etwa auf diese Weise den Umkreis eines besonders wichtigen Ortes zu bezeichnen. Sie entspringen keineswegs der Willkür. Abgesehen von den Forderungen der Zweckmäßigkeit existiren noch andere zwingende Ur- sachen, welche das Zustandekommen jedweder menschlichen schöpfe- rischen Thätigkeit beeinflussen und regeln. Jede Thätigkeit, deren Zweck und Ziel dahin geht, Form und Farbe bildnerisch zu verwerthen, ist zunächst geregelt durch die Forderungen der Sinnesorgane, welche die Empfindungen alles Sichtbaren dem Bewusstsein übermitteln. Die Natur dieser Forderungen zu ergründen und festzustellen ist die Aufgabe einer, bei allem mächtigen Vordringen noch keineswegs im letzten Stadium der Entwicklung befindlichen Wissenschaft: der Physiologie in Bezug auf das sichtbare, durch menschliche Thätigkeit hervorgebrachte Schöne, oder mit einem kürzeren Ausdruck, der Kunstphysiologie. Das was nun bei den primitiven Ornamenten ausgewählt und ge- ordnet erscheint, zeigt sich zunächst unmittelbar den Ergebnissen ein-