- alle diese Factoren mehren und verzweigen sich ohne Rast und Aufenthalt. Vergleiche hinken. Dennoch möchte ich die unveränderlich giltigen Gesetze der Ornamentik mit den gleichfalls unveränderlichen, dabei aber sich stetig weiter entwickelnden und in neuer Form sich bethätigenden Gesetzen des musikalisch Schönen vergleichen. Haben wir einmal das Gesetzmäßige der ornamentalen Kunst in's Auge gefasst und uns von der Wichtigkeit desselben durchdringen lassen, so können wir uns auch der Einsicht nicht verschließen, dass es zu seiner Entwicklung der unausgesetzten eifrigen Pflege der Tradition bedarf, welcher allein wir die Summe von Erkenntniss verdanken, die aus jahrtausendelanger, schrittweise sich mehrender Erfahrung entspringt. Das Fallenlassen der Tradition würde einen Rückschlag bedeuten, ein Umkehren zum Stande der Unvollkommenheit. Doch nur das Fallen- lassen der Tradition als der Lehrmeisterin des allgemein Giltigen. Und diesem allgemein Giltigen unterordnen sich die Ausdrucks- mittel, welche dem Künstler zu Gebote stehen. - Der Formenschatz und die Formensprache aber haben in der Ornamentik seit uralten Zeiten gewechselt ohne Unterlass und sie werden es auch in Zukunft. Die unabsehbare Reihe von Stilgattungen und Stilvarianten zeigen uns, in wie mannigfaltiger Weise, beeinflusst von mancherlei Haupt- und Neben- umständen das Bedürfniss nach künstlerischer Formenschöpfung und nach ornamentaler Ausstattung bethätigt werden kann. Sollte auch der Gesammt- schatz an ornamentalen Ausdrucksmitteln mit einem Schlage getilgt und in Vergessenheit gebracht werden können, eine neue Fülle von Motiven würde sich sofort wieder erschließen und von dem Künstler benützt werden - nach Wahl und Anordnung, zu vollkommenster Wirkung. Und sollte er in der ihn umgebenden Erscheinungswelt nichts als Urbild ihm Zusagendes finden können, so wird seine unerschöpfliche Phantasie das vorhandene Geschaute umgestalten oder die tauglichen Gebilde neu- schaifen nach Lust und Liebe. Und Neues aus sich selbst heraus schuf und schafft er auf dem Gebiete des Schönen zu allen Zeiten, so viel auch: dagegen gesprochen werden mag. Lehrt ihn die Natur die ersten Gesetze der Statik und Dynamik und setzt ihn hiemit in den Stand, den Weg zu beschreiten, welcher ihn zu baulicher Thätigkeit führt, zur Ausübung der Tektonik, der textilen Kunst, der Metallbearbeitung u. s. w., so ist es die ihm innewohnende, physiologisch zu begründende Nöthigung, welche ihn allem Geschaffenen die schöne Forrn außer der nützlichen geben lässt. Sowie das einfachste Schmuckmittel aus den Ergebnissen der Technik allein schon entstehen kann, wird auch die Gestaltung eines jeglichen constructiven Productes der Menschenhand zunächst abhängig sein von den Fällen des technisch Erreichbaren, aus welchen mit Rück- sicht auf das praktisch Nothwendige und das sinnlich Geforderte die