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.Wesentliche, Bleibende zu betonen. Hiemit steht im engsten Zusammenhange die mit
gutem Geschmack verbundene schöpferische Phantasie, welche alle Eindrücke dem
subjectiven künstlerischen Zwecke gemäß formt und neu Werthe sehaü. Diese Gabe, in
jedem Einzelnen ein Ganzes zu sehen, an jeden Eindruck eine Fülle heziehungsreicher
Associationen zu knüpfen, verleiht dem Künstler den Charakter des Unergründlichen,
Abnormalen, Wahnsinnähnlichen; nicht mit Bewusstsein, sondern kraft eines übermäch-
tigen lnstinctes scheint er zu schaffen. Dr. Leisching führte nun Beispiele an, welche dies
Unbewusste scheinbar beweisen (Goethe, L. Richter, O. Ludwig u. A.), er wies jedoch nach,
dass auch derNichtkünstler in beschranktem Maße schöpferische Phantasie besitze. Was das
Unbewusste betrifft, so ist dies eine Tluschung, hervorgerufen durch die Blitzesschnelle
des Gedankenverlaufs, der ldeenassociation, der Abstraction. Auch hier macht die Uebung
den Meister. Die Einbildungskraft setzt vor Allem auch Gedachtnlss voraus, welches das
Material für die Verarbeitung durch die Phantasie des Künstlers sammelt; das Gedacht-
niss des Künstlers spielt eine um so größere Rolle, je mehr sich bei ihm an jeden
Eindruck sofort suhjective Werthgefüble associiren. Der Künstler steht nach alldem nicht
außer, sondern über seinen Mitmenschen. Schon der Umstand, dass die Umgebung, Zeit,
Volk einen so großen Einfluß auf die Entwickelung seines Genies nehmen, beweist, dass
sein Geist nicht von anderer Art ist, sondern nur graduell verschieden von dem der
Nichtgenies. vJe mehr das Jahrhundert selbst Genie hat, desto mehr ist der Einzelne
geforderte (Goethe).
- nUeber das Technische in den Künsten- sprach am 23. Februar Architekt
Julius Leisching. - Der Vortragende knüpfte an den Ausspruch A. v. Humboldfs an:
i-Der Einfluss der physischen Welt auf die moralische, das geheimnissvolle ineinander-
wirken des Sioolichen und Außersinnlichen gibt dem Naturstudium, wenn man es zu
höheren Gesichtspunkten erhebt, einen eigenen, noch zu wenig erkannten Reize, und
fügte hinzu: nicht blos dem Naturstudium, auch dem Kunststudium. -
Wenn wir in die Anfange der Kunstentwicklung hinahsteigen, so bemerken wir,
wie langsam und tastend die Menschenhand im Kampfe mit den offen zu Tage liegenden
Kunstmaterialien jene allgemeingiltigen Formen, Ornamentmotive und Gesetze des
Schonen findet, die wir heute so oft - zu vergessen uns bemühen. Wir erkennen da, wenn
wir nur das Technische in den Künsten beobachten, eine Art Stufenfolge: zuerst und
gewiss am allerfrühesten das Kneten und Flechten; einen Fortschritt bedeutet schon das
Dehnen, Platthimmern und Ueberziehen eines Stoffes mit einem anderen (mit platt-
gehammertem Metall etwa, aber auch mit Farbe und Stuck, und auch die Glasur gehürt
in diese Linie); nun kommt bei wachsendem Muth das Treiben der Metalle und Nieten
zu Stande; es folgt das Graviren, das eine so große Zahl kunstgewerblicher und
künstlerischer Entdeckungen, wie z. B. das Einlegen, Niello und Tauschirarbeit, lntarsia
und Email herbeiführte und auf großen Umwegen bekanntlich auch auf die Schwarz-
künste hinleitete; den größten Umsturz aber bewirkt das Gießen des Metalles,es mag das
Lothen, dem bekanntlich die Nietung zuvorging, darauf geführt haben.
Nicht auf die historische Reihenfolge kommt es hiebei an, obwohl sie ähnlich
gewesen sein muss, sondern auf die Art, wie die Stoffe als: Thon, Holz, Stein und
Pflanzenfaser, Bronze und Eisen und die Edelmetalle und Edelsteine unter Geltendmachung
ihrer Eigenart in die Entwicklung des Kunstbetriebes eintreten, lehrend, anspornend,
fordernd und hemmend. Wir lernen daraus, ganz im Gegensatz zu landläufigen Anschau-
ungen, dass ohne Beherrschung des Technischen kein Kunstwerk denkbar ist, ja dass die
Künste aus dem Handwerk erwachsen sind, wie aus einem guten, tüchtig gepflügten
Boden die blühenden, fruchtreichen Aehren.
Wie die Wanderschaft der Ziermotive, die Nachbildung des Flechtwerkes in
Zickzack- und Bandlinien auf den ältesten Thongefißen und auch die nur dem Thon
eigenthümlichen concentrischen Kreise, wie sie der Finger in die weiche Masse drückt,
ebenso viele Hinweise auf das Mitsprechen des Kunststoffes enthalten, so ist es in
langst erkannt, dass eine der meist umstrittenen Fragen, die Polychromie, ihre natür-
lichste Beantwortung durch die technische Veranlassung der Bemalung findet. Die ältesten
Palast- und Tempelbauten der asiatischen wie der grIko-italischen Volker waren nicht
aus Marmor, sondern aus minderwerthigen, verganglicheren Stoffen: in Assyrien aus
ungebranntem Lehm mit Alabasterplatten belegt, in Griechenland und Rom aus grob-
kornigem oder porosem, den Witterungseinllüssen leicht unterliegendem Stein, aus Kalk-
stein, Tulf u. s. w. Was der lernende Künstler an seinen schlichten Thongeflßen sich
bewahren sah, die Farbe, übertrug er nun auch auf die grüüeren Flachen seiner Bau-
werke: er hüllte das schlechte Material in eine schützende, gllttende, verschonende
Haut, und mit der Farbe übersiedelten sozusagen auch die Ziermotive der Thonwaare,
die Bänder und die Zickzacklinien des Flechtwerkes, die Kreise und auch die spaterhin
aus orientalischem Kunstschatz übernommenen Thier-, Menschen- und Pfllnzenüguren
auf die Winde des geweihten Hauses.