44 kann. Wir bemerken dieses nicht ohne Absicht. Seit einigen Jahrzehnten wurde nämlich besonders in Deutschland die Anschauung beliebt: das eigentliche für die kirchliche Tradition maßgebende Alterthum sei das Mittelalter. Es wird mittelalterliche Kunst mit kirchlicher Kunst vQllig identisch gebraucht. Allerdings die bequemste Lösung unseres Problems, von welchem Versuche wir freilich glauben, dass hiedurch die künstle- rische Freiheit in Einseitigkeit verwandelt und ihre Gesetzmäßigkeit auf Willkür gegründet werde. Letzteres deshalb, da sich die erwähnte schrolfe Stilwahl auf keine geschriebene oder ungeschriebene kirchliche Entschei- dung stützen kann. Auch das Mittelalter hat in seinen, durchaus nicht zufälligen Formen seine Traditionen beachtet und hat diese selbstver- ständlich aus einer vorausgegangenen Zeit als deren ehrwürdige Reliquien überkomrnen. Nach einem richtigen Worte Springers war das Mittelalter antiker als die Renaissance. Und so wie wir durchaus nicht jede Cultur- form des Mittelalters für eine ideale oder allgemein berechtigte halten können, wüssten wir auch keinen Grund, die mittelalterliche Kunstform schon an sich über jede andere zu setzen. Bei aller Anerkennung ihres individuellen Schönheitsgehaltes kann sie einer Praxis von anderthalb- tausend Jahren gegenüber doch nicht als ausschließlich kirchliche und einzig berechtigte Kunst gelten! Wir sehen allerdings gleich hier, dass der Begriff der Tradition an sich zu schwankend wäre, wenn wir allein auf diesen uns angewiesen fänden. Doch sind auch schriftlich fixirte Gesetze für die liturgische Kunst vorhanden. Sie finden sich zum großen Theile in den mehr systematisch angelegten Ritualbüchern der Kirche in Missale Romanum, im Pontißcale, Caeremoniale episcoporum und in den betreffenden Ritualien der römischen wie der außerrömischen Diöcesen. Verstreut in diesen Büchern vorzu- finden, folgen sie oft weniger zahlreich als wünschenswerth der An- ordnung nach Materien oder gottesdienstlichen Functionen. Eine andere Gruppe dieser Codificationen sind die Concilsbeschlüsse für die Gesammt- kirche oder für kirchliche Provinzen. Ich nenne für uns besonders das Provincialconcil von Wien und Prag, sowie das zu hoher Autorität ge- langte 4.. Mailänder Concil des hl. Karl Borromäus mit dessen lnstructio fabricae et supellectilis ecclesiae, oder es sind Entscheidungen der Con- gregatio Rituum in Rom. Durch diese eigens für solche Zwecke eingesetzte Ritencongregation spricht die päpstliche Autorität, also die des obersten liturgischen Gesetzgebers für die Gesammtkirche. In den einzelnen Diö- cesen haben die Bischöfe das liturgische Recht zu vertreten, soweit da- durch die Allgemeinbestimmungen nicht beeinträchtigt werden. Sonstige von Privaten, von Gelehrten wie Künstlern, auch einzelnen Geistlichen ausgesprochene Ansichten oder Forderungen wollen freilich oft als all- gemein kirchliche Norm gelten, haben aber nur den Werth der betref- fenden Autorität oder der dafür erbrachten Beweise und genau citirbaren Belege.