Verbreitung des einstigen Erzeugungsgebietes des Kilims in der jensei- tigen Reichshälfte glaubte die ungarische Regierung dem zunehmenden Verschwindungsprocesse desselben nicht müßig zusehen zu dürfen. Man griff der Production erstlich mit Subventionen unter die Arme, um ihr einen momentanen Halt zu gewähren, und suchte dieselbe ferner auch für die Zukunft lebensfähig zu machen, was nur auf dem Wege geschehen konnte, dass man die der Zerstörung Vorschub leistenden Umstände nach Möglichkeit entfernte oder paralysirte. Waren die bisherigen technischen und Betriebsverhältnisse zu primitiv, so suchte man dem durch einige Verbesserungen an den Webstlihlen und durch eine Organisirung der ganzen Production zu einer Industrie abzuhelfen. Hatte ferner das Land- volk den Affectionswerth für Kilims zum Theile aufgegeben, so suchte man dafür die städtische Bevölkerung zu interessiren und dadurch ein neues lohnendes Absatzgebiet zu erschließen. lnwieferne man nun auf diesem Wege das angestrebte Ziel erreicht hat, dasselbe überhaupt zu erreichen vermag, soll hier nicht näher erörtert werden. Es wurde das eben über die südungarische Kilimproduction Gesagte nur deshalb voran- geschickt, um daran die Stellung und Bedeutung der einzigen cisleitha- nischen, d. i. der ruthenischen, die uns hier ausschließlich beschäftigen soll, richtig bemessen zu können. Diese Bedeutung wird sich aus einer kurzen Charakteristik der ruthenischen Kilimerzeugung im Allgemeinen von selbst ergeben. Dieselbe hat nämlich bisher niemals eine Subvention vom Staate bezogen oder auch nur beansprucht, sie stützt sich auf keine gewerblichen Fachschulen, ist noch heute nicht als Industrie, also auch nicht als Haus- industrie, sondern als ein viel niedrigeres Betriebssystem organisirt, und endlich - was vielleicht das Allerwichtigste ist - sie arbeitet auch heute noch wie in den früheren Jahrhunderten hauptsächlich für Bauern; was auf den Stühlen der heutigen Kilimwirker in Galizien gearbeitet wird, ist von Bauern zum eigenen Gebrauche bestellt, und daneben .kommt das, was etwa von Angehörigen der oberen Stände, Gutsbesitzern, städti- schen Kunstliebhabern u. dgl. in Auftrag gegeben wird, kaum in Betracht. Indem ich nun auf die Erörterung der ruthenischen Kilims im Be- sonderen eingehe, muss ich noch eine weitere Beschränkung des Stoffes vornehmen. Man hat längst erkannt, dass die über ein außerordentlich weites geographisches Gebiet zerstreut sitzenden Ruthenen ethnographisch keineswegs eine so homogene Masse ausmachen, als welche sie sich äußerlich in Folge des ihnen allen gemeinsamen sprachlichen ldioms darstellen. Sehen wir ganz ab von denjenigen Theilen dieses Volks- stammes, die außerhalb der Grenzen unserer Monarchie angesiedelt sind, und fassen wir blos die ruthenische Bevölkerung von Galizien und der Bukowina in's Auge. Hier spricht im Wesentlichen alles Landvolk östlich vom San die ruthenische Sprache. Wer aber von Norden, etwa von Lemberg kommend, den Dniestr passirt, und für die ihn umgebenden Dinge ein wachsames Auge hat, dem wird es bald klar, dass er damit 6.