92 höheren Stände, nicht um eine Bauernkunst. Warum soll der ruthenische Bauer plötzlich im 16. oder 17. Jahrhundert gefunden haben, dass die tatarischen Kilims für ihn ein geeigneter Bettüberwurf wären? Eher ließe sich denken, dass die Schlossherren sich die exotische Kunstfertigkeit ihrer untergebenen Gefangenen zu Nutze machten, aber darüber liegt auch nicht der Schatten eines Beweises vor. Die primitive Kilimproduction Galiziens und der Bukowina wurzelt im ruthenischen Landvolke, und solche Volksklinste pflegen viel tiefer liegende Wurzeln zu haben, als eine gelegentliche Anlernung in neuerer Zeit. Was endlich das Wort Kilim betrifft, das man in der That für solche gewirkte Teppiche überall vom Ostrand der Alpen an bis Persien gebraucht, wo dieselben überhaupt vorgefunden werden, so habe ich schon an anderer Stelle darauf hingewiesen, dass ein der Beschreibung nach mit dem Kilim (serbo-croatisch äilim) nächstverwandtes Zeug von den Römern der ausgehenden Kaiserzeit cilicia oder kilikia genannt wurde. lst ein etymologischer Zusammenhang zwischen beiden Bezeichnungen, wie es den Anschein hat, in der That 'vorhanden, so kämen wir damit in Bezug auf die Entstehung und Verbreitung des Wortes rkilima in eine Zeit, die für die Künste und ihre Benennungen im Norden von 'der Mittelmeercultur nachweislich von xso vielfachem und bedeutungsvollem Einflusse gewesen ist. . Interessant und für das hohe Alter der ruthenischen Teppichpro- duction rnitbeweisend ist auch das wirthschaftliche System, nach welchem diese Production von den Bauern noch heute betrieben wird. Dieses System ist nämlich zwar nicht mehr das allerprimitivste, der sogenannte HausHeiB, wo jede Familie alle ihre Bedürfnisse aus den eigenen Bodenerzeugnissen selbst bestreitet, aber es ist auch noch nicht Handwerk, welches bereits das Vorhandensein eines gewerblichen Be- triebscapitals zur Voraussetzung hat. Die Herstellung der ruthenischen Kilims, von wirthschaftlichem Gesichtspunkte aus betrachtet, geschieht nämlich folgendermaßen: Wer einen Kilim haben will, erzeugt das hiezu nöthige Leinengarn (für die Kette) und die Wolle im Hause selbst; als halbfertiges Product geht die Wolle zum Färber, kömmt dann wieder in's Haus zurück auf einer vorgeschritteneren Stufe der Vollendung und geht endlich mit dem Leinengarn an den Teppichwirker, der gegen Lohn das Werk fertig macht. Auf dem ganzen langen Wege vom Hanf- oder Flachsacker und vom Schafe bis zum endlichen Gebrauch hat das Gut nie den Eigenthümer gewechselt. Das dem geschilderten wirth- schaftlichen Processe zu Grunde liegende Betriebssystem, bei welchem der Gewerbetreibende, also im vorliegenden Falle der Färber und der Teppichwirker, wohl das stehende Capital (das Werkzeug) selbst besitzt, den Rohstoff aber vom unmittelbaren Consumenten seines Productes zur Bearbeitung empfängt, nennt Prof. Bücher in Karlsruhe, die namhafteste Autorität auf diesem Gebiete der Volkswirthschaft, das Lohnwerk.