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Litteratur-Bericht.
Russian Pictures, drawn with pen ancl pencil. By Thomas Mich ell.
London, 1889. '4". 223 S. Mit 3 Karten und x24 lllustrat. M. 9.60-
Dieses Buch tragt den Charakter eines Reiseberichtes, der im Westen Russlands
beginnt, dann nach Petersburg gelangt, durch die nördlichen Provinzen streicht, von
Moskau ausführlich zu erzählen weiß, die Wolga hinabgeht, durch Südrussland nach der
Krimm und zum Kaukasus kommt, dann Sibirien und Centralasien beschreibt, und
endlich, rücltkehrend, Polen und Finnland bespricht. Die Abbildungen geben Porträts,
nationale, aus ethnographischem Standpunkt interessirende, charakteristische Menschen-
gestalten und Llostüme, Landschaften, Stadtebilder, Architekturen und Ornamente. Letztere
sind es, Architekturen und Ornamente, welche uns von unserem Standpunkte interessiren.
Alle einzelnen Capitel sind mit Kopfleisten oder breiteren Ornamentstreifen versehen,
welche Manuscripten entnommen sind und Beispiele aus der russischen Manuscript- und
Buchillustration verschiedener Zeiten bilden. Sie reichen bis in das m. Jahrhundert
zurück und geben nicht unwichtige Beitrage zur Geschichte des Ornaments. J. v. F.
Die Münchener Kunstgewerbe-Ausstellung in Bezug auf Stil und Zeichen-
unterricht. Von Robert Mielke. Berlin, 1889. Ch. Claesen dt Co. 8'.
57 S. M. V60.
Die letzte große Schaustellung zu München, durch welche die deutsche Nation
Zeugniss gab von der Entwickelung ihres Kunstgewerbes während eines Zeitraumes von
mehr als zehn Jahren, bietet dem Verfasser die Grundlage zu seinen sehr bemerkens-
werthen Auseinandersetzungen, welche sich im YVesentlichen mit der Stilfrage und den
Mitteln zur Regelung derselben beschäftigen. Einige allgemeine Betrachtungen über Stil
und Stilentwickclung überhaupt und die Slilveränderungen der Jetztzeit insbesondere
werden vorausgeschickt und damit der Standpunkt für die sich anschließenden positiven
Erörterungen genauer pracisirt.
Von den Stilarten, deren Einfluss sich in der Münchener Ausstellung bemerkbar
machte, werden angeführt und naher besprochen: Die Gothik; die Kunstweisen des
Orients; die Renaissance und das Rococo. Die Gothik, hauptsächlich im Dienste
der Kirche stehend, und die orientalische Kunst, in erster Linie befruchtend auf dem
Gebiete der Textilarbeit, werden nach der Anschauung des Verfassers uaul dem deutschen
Kunstmarkt nur Episoden bilden.a Weitaus mehr Wichtigkeit wird der Renaissance und
dem Rococo zugeschrieben. Der Barockstil wird nur nebenbei erwahnt; offenbar wird
er mit dem Rocoeo zusammengethan, wie aus der Anführung hervorgeht, dieses letztere
sei uvcn dem Wirken Ludwigs XlV. unzertrennlich. Die vNeurenaissanceu und das
heutige Rococo werden eingehend gewürdigt und charakteristische Merkmale derselben
im Gegensatze zu jenen der vorbildlichen Kunstweisen der abgelaufenen Jahrhunderte
hervorgehoben. (Beim Rococo zumal die Ersetzung des Anmuthigen und Lieblichen der
älteren Werke durch formale Linienschonheit und durch das heute tiefer gegründete,
auf die Durchbildung der Ornamentation einwirkende Naturstudium der Pßanzenformen.)
Was als das Gesammtergebnias der Stilwandlungen der Neuzeit zu betrachten ist,
muss nach der Summe der vorliegenden Ausführungen offenbar als ein gesunder Eklekti-
cismus bezeichnet werden. Diesen noch zu lautem und zu klaren und ihn hauptsächlich
vor den Ausartungen einer wildnaturalistischen Richtung zu schützen, empfiehlt der Ver-
fasser vor Allem auf das Eindringlichste ein geregeltes, ernstes Studium der Natur und
ihrer Schönheiten, ohne dabei die ästhetischen Betrachtungen der guten alten Stilformen
außer Acht zu lassen. Diese Postulate sind an sich nun freilich keine neuen mehr, doch
erscheinen sie unseres Wissens hier zum eraten Male in neuer Form angebracht, und
in dieser Form, welche die Grundzüge eines einheitlichen und stufen-
weise gegliederten Unterrichts im Zeichenfache von den Anfangsgründen
in der Volksschule bis zur ltochsten Ausbildung in sich schließt, liegt die
Bedeutung der Mielke'schen Abhandlung.
Nicht unerwähnt kann die Thatsache bleiben, dass diese Vorschlage nur in lockerem
Zusammenhange mit den durch die Münchener Ausstellung zu Tage getretenen kunat-
gewerblichen Verhältnissen der Gegenwart stehen. Das aufgestellte Programm könnte
um ein Menscbenalter zurüek- und wahrscheinlich auch um ebeusoviel vorausdatirt
werden, ohne an Berechtigung zu verlieren. Viele der angeführten erklärenden Axiome
werden auch wohl kaum vollinhaltlich Geltung finden können. Die Sicherheit, mit
welcher z. B. darauf hingewiesen wird, ndass die Formensprache eines Volkes oder einer
Zeit immer zuerst an den Werken der Kleinkunst auftritt, kann nur in besonderen Fallen