227 Kopfes, eines Armes etc. Auf der Reichenau nun herrscht unter den be- deutenderen Stücken des Schatzes die Sargforrn vor'). Heute besteht nur mehr ein Theil der ehemaligen reichen Schätze, aber man darf wohl sagen, glücklicher Weise der Hanpttheil mit den besten und interessantesten Stücken. Vielleicht das interessanteste Stück des Reichenauer Schatzes ist das im Pfarrhause in Oberzell aufbewahrte Reliquiar aus der romanischen Zeit. Dasselbe hat verhältnissmäßig sehr kleine Dimensionen: seine Länge beträgt o'i4, seine Breite o'o7 und seine Höhe bis zum beginnenden Satteldache o'o7 Meter. Das Satteldach bildetbei mittelmäßigem Anstieg den oberen Abschluss. Es ist die in der frühchristlichen, byzantinischen und frühromanischen Zeit mit Vorliebe verwendete Form, die bis zur karo- lingischen Epoche mit den Bezeichnungen arca, capsa belegt wurde. Diese Behälter wurden in der ersten Zeit der christlichen Zeitrechnung benützt, um theure Andenken aus den Ueberresten eines Verstorbenen einzuschließen. Gregor von Tours berichtet im vierten Buche, dass der Nachfolger des Kaisers Justinian, Justinus, einen solch' übertriebenen Geiz besass, uCLll tanta fuit cupiditas, ut arcas juberet fieri ferreas, in quas numismatis aurei talenta congereretu. Dieser weltliche Gebrauch ging dann auch in den kirchlichen über. So berichtet Gregor aus der Zeit, da er noch Bischof von Tonrs war, und die Kirche St. Martin recon- struirte, dass er in einem Steine eine silberne Cassette gefunden habe, welche Märtyrerreliquien enthielt. . . nEt inveni in hoc capsulam ar- genteam, in qua . . . (lib. X)". Die Form der gedachten Kästchen ist die gebräuchlichste Form für Reliquiare geworden; auch die meisten des Schatzes der Reichenau zeigen diese Grundform. In den Frlihzeiten des jungen Christenthums barg man die ganzen Leichname der Märtyrer in ähnlich geformten Särgen. Wann dies aber zuerst geschah, ist nicht festgestellt. Von den Römern war das Bergen der Märtyrerleichen in Sarkophagen überkommen, vor welchen sich dann in christlichen Zeiten der Altar erhob. Mit wenigen Ausnahmen jedoch, und besonders seit der karolingiscben Zeit schritt man dazu, die heiligen Leichen aus den festen Gräbern zu entnehmen und sie in leicht bewegliche Behälter zu bergen, welche bei der Ausbreitung des Christen- thums in den Wildnissen noch unerforschter und von der christlichen Cultur unbetretenen Gegenden die besten Dienste leisteten, und auch, da sie an Kostbarkeit beständig zunahmen und zu den vornehmsten Schätzen der Kirche gezählt wurden, leichter vor den kriegerischen Ein- fällen der Normannen geschützt werden konnten. Man darf also annehmen, ') Ein ausführliches Verzeichniss des Schatzes von Reichenau aus dem 6. Jahr- hundert gibt Mone in der Zeitschrift für Geschichte des Oberrheins, lV, 2,50 f. Dasselbe entstammt der St. Pauier Handschrift aus der Reichenau, nach Mone aus dem 9., nach Kraus aus dem io. Jahrhundert. Ein späteres Verzeichniss von Wolfgang Amboss besitzt das General-Landesarchiv in Karlsruhe. s 17