ZOQ daillons der anderen Seite zeigen Scenen aus der Leidensgeschichte Christi und zwar zulbeidenfSeiten der Kreuzigungsgruppe links die Kreuztragung, rechts Christus, nicht, wie Kraus berichtet, mit ausgebreiteten Armen betend oder segnend auf dem Rande seines Grabes sitzend, sondern dem Grabe entsteigend. Darüber links die GeiBelung, rechts Christus und die Magdalena im Garten. Während die Medaillons der vier Evangelisten und ein Theil der quadratischen Füllungen glatten Grund zeigen, ist der Grund bei der Darstellung der Auferstehung mit leichtem Rankenwerke gefüllt, dem sich bei der Kreuzigungsgruppe noch Sonne und Mond, letzterer in der ganzen Scheibe und im letzten Viertel, zugesellen. Der Grund der Medaillons der zweiten Seite ist gleichmäßig ornamentirt. Was nun die Stilistik der Figuren anbelangt, so erinnern dieselben an den Marcusschrein, und theilen mit demselben den Charakter des Unbehol- fenen in der Ausbildung des Details, z. B. der Füße des Salvator mundi. Am besten gelungen sind noch die Darstellungen der vier Evangelisten; sie zeigen eine ruhige, momumentale Haltung bei schlichtem, den Körper- formen sich anschließenden Wurf des Gewandes, der jedenfalls noch nicht die eigenthümliche Knitterung der späteren gothischen Periode zeigt. Auch die Ausbildung der Stütze des Lesepultes der Evangelisten deutet noch auf eine gute Zeit hin. Ich kann deshalb Kraus nicht beipflichten, wenn er das schöne Reliquiar der spätgothischen Zeit zuweist. Jedenfalls ist es eines der hervorragenderen Stücke in dem ganzen Kloslerschatze. Derselbe bietet noch eine ganze Reihe anderer interessanter Stücke, auf die einzugehen ich mir leider hier versagen muss. Der köstliche Schatz der Insel Reichenau ist für die mittelalterliche Goldschmiedekuust ein bedeutendes Denkmal. Er zeigt, was die Altmeister der Goldschmiedekunst, die opifex, magister argentarius, leisten konnten, er zeigt die nbevorzugte Lieblingstochter der Kirchen schon in der frü- hesten Zeit auf großer Höhe. Er zeigt aber auch in den verschiedenen Zeiten, denen seine Stücke entstammen, die Wandlung der Formengebung des Kleingeräths mit dem Uebergange aus dem romanischen in den gothischen Stil. Während diese in der Architektur bereits im 15. Jahr- hunderte vor sicb ging, blieb die kunstgewerbliche Production und ins- besondere die Goldschmiedekunst länger in den alten Bahnen, so dass die Kunstwerke aus dem Schlusse des 13. und dem Anfange des 14. Jahrhunderts noch durchaus die freie, wenn auch strenge Composition der byzantinischen Zeit und der folgenden romanischen Epoche in ihren Hauptzügen tragen. Erst dann trat die gbthische Starre ein, welche sämmt- lichen Denkmälern der Kleinkunst die architektonische Formengebung aufzwang, und auch hier ihre eigentliche Formenarrnuth so deutlich zum Ausdrucke brachte, dass der magister argentarius sich der kommenden Renaissance und ihrem bezaubernden Formenreichthume berauscht in die Arme warf.