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GEGEBEH-VOM-OSTERREIC
SCHED-MUSEUM-FLER-KUD
UDD-JDDUSTRIE. vgzrczßwii;
VERLAG VON RRTARIA Co. VIER. XXII. JAHRGJQTQ. HEFT uno I.
KUNST UND KUNSTHANDWERK
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im Osterreichisehen Museum sow1e von der Verlags-
handlung Artaria Co., I., Kohlmarkt Nr. ubernommen
Inhalt
Seite
Dr. H. P. Berlage und
sein Werk von J. J.
P. Oud 18g
Der Bildhauer Thomas
Schwanthaier und
seine Zeit von Rudolf
Guby 228
Das Epitaph des Für-
sten Hartmann von
Liechtenstein zu Nie-
der-Absdorf und sein
Meister, der Bild-
hauer Pliemb von
E. W. Braun 26x
Johann Georg Loehnig,
ein Hauptmaler der
Meißner Porzellan-
fabrik von Gustav E.
Pazaurek .263
Aus dernWienerKunst-
leben von Hartwig
Fischel .277
Kleine Nachrichten 283
Mitteilungen aus dem
ÖsterreichischenMu-
seum 286
Literatur des Kunstge-
.287
DR. H. P. BERLAGE UND SEIN WERK so- VON
J. J. P. OUD-ROTTERDAM se-
IE Baukunst wird sich nach dem Kriege in der Rich-
tung der Sachlichkeit zu entwickeln haben, das
heißt, die ökonomischen Bedingungen werden aus-
schlaggebend sein, und in der neuen Baukunst
muß deswegen mehr das rein Tektonische als das
Dekorative in den Vordergrund treten. Das wird
für die Entwicklung der Baukunst keinVerlust sein.
Mit der Renaissance ging in der Baukunst
die organische Gestaltungsform verloren, das
heißt, die ästhetische Gestaltungsform entstand
nicht mehr in organischem Zusammenhang und
stetiger Wechselwirkung mit der praktischen und konstruktiven Gestaltungs-
form, sondern die ästhetische Gestaltungsform wurde mit der organischen,
konstruktiven nur äußerlich verbunden.
Durch diese grundsätzlich falsche Auffassung hat die Renaissance uns
die Baukunst ganz verdorben, insofern es von dieser Zeit an eine organi-
sche, innerlich lebende Baukunst nicht mehr gegeben hat, sondern nur eine
nichtsdestoweniger oft großzügige und geniale Scheinbaukunst, worin aber
das Wesentliche verloren gegangen ist, dem Kleide zuliebe.
Seitdem hat man immer das Kleid der Baukunst verwechselt mit der
Baukunst selber und hat man versucht, das Äußerliche zu ändern oder zu
erneuern, ohne sich von dem Innerlichen Rechenschaft zu geben.
Die äußere Erscheinung eines baukünstlerischen Werkes soll aber nicht
lose vom Ganzen betrachtet werden, sondern nur im Zusammenhang mit
der Gestaltung des ganzen Werkes und als deren Ergebnis. Diese Gestaltung
ist nicht bloß abhängig von dem zufälligen Gemütszustande des Künstlers,
sie soll in erster Linie praktischen Bedürfnissen dienen.
Es muß diesen Bedürfnissen gemäß eine ästhetische Raumgestaltung
geschaffen werden, und weil diese Bedürfnisse in unserer Zeit ganz andere
sind wie zum Beispiel in der Zeit der Gotik oder der Renaissance, muß
unsere traditionelle Baukunst in ihrem Kerne revidiert werden und nicht
nur in ihrer äußerlichen Erscheinung. Auch die Materialien haben ihre For-
derungen und weil unsere Materialien charakteristische Unterschiede zeigen
von den früheren, wird auch deswegen die Gestaltung in der neuen Baukunst
sich wesentlich ändern müssen.
In dieser Hinsicht ist bedeutungsvoll, daß die Baukunst der kommenden
Zeit keine Schmuckkunst sein kann.
Die Aufgabe wird nach dem Kriege sein im kleinsten Raum die größte
Bequemlichkeit in reinster ästhetischer Gestaltung zu schaffen. In der zukünf-
tigen Baukunst sollen die Proportionen und der Rhythmus vorherrschen
gegenüber dem Schmuck.
15
x90
Dies alles ist nichts Neues und nur wegen des Krieges rnuß die Lösung
dieses Problems beschleunigt werden und es ist ein Vorteil dieser Zeit, daß
der Widerstand gegen diese Auffassung abgenommen hat wegen der Not-
wendigkeit eines ökonomischen Materialgebrauches. Wir Jüngeren kennen
diesen Widerstand fast nicht mehr und uns scheint dies alles selbstverständ-
lich. Dem ist jedoch nicht so und ich möchte in Erinnerung bringen, welchen
Widerstand im Anfang der modernen Bewegung die führenden Architekten,
die diese Entwicklung geahnt und gefördert haben, zu besiegen hatten.
Besonders in den Jahren 1890 bis 1910 war Vieles umstritten, was jetzt,
in dieser Zeit der ökonomischen Not, von selbst zur Ausführung zu gelangen
Abb. 1. Konkurrenzemwurf für die Amsterdamer Börse, 1885
scheint. Das aufgeweckte Leben in der Baukunst war damals internationaler
Art und darauf gerichtet, die Kunst dem modernen Leben anzupassen. Sie
suchte dafür ihre Objekte speziell in modernen praktischen Aufgaben, welche
früher nicht existierten, wie zum Beispiel Maschinenhallen, Eisenbeton-
bauten, Eisenkonstruktionen usw. In der Lösung dieser Probleme gingen
voran Männer, wie in Österreich Otto Wagner, in Deutschland Peter Behrens,
in Amerika Sullivan und Frank Lloyd Wright und in meinem Vaterlande
Dr. H. P. Berlage, die alle eine moderne, reelle Auffassung in der Baukunst
verteidigten und nach diesem Grundsatz arbeiteten.
Die Resultate dieses Arbeitens der genannten Künstler haben ausge-
wiesen, daß im Rahmen dieser Auffassung eine große Freiheit der Gestaltung
gewährt ist. Man sieht das zum Beispiel, wenn man die Arbeiten Otto
Wagners mit den Arbeiten Berlages vergleicht. Der Unterschied ist charak-
teristisch und nicht nur Folge der persönlichen Gestaltungskraft, sondern
191
auch von lokalen Bedingungen, wie Klima, Lebensgewohnheiten usw. ab-
hängig. Man könnte daraus die Schlußfolgenmg ziehen, wie auch Scheffler
dies aus mehreren Gründen tut, daß vorläufig von einer internationalen
Kunst oder einem internationalen Stil nicht die Rede sein wird; doch ist es
Abb. 2. Fassadenentwurf für die Kathedrale in Mailand, 1887
auffallend, daß zum Beispiel gerade in den Nützlichkeitsbauten dieser ver-
schiedenen Architekten auch wieder gewisse Ähnlichkeiten zu bemerken
sind. Es fällt aber aus dem Rahmen dieses Aufsatzes, darauf weiter einzu-
gehen.
Obwohl es also, wie oben gesagt, aussieht, als ob in der Zukunft
die Entwicklung der modernen Baukunst regelmäßiger gehen und sie die
x92
Richtung einschlagen wird, welche die oben genannten Architekten ihr ge-
wiesen haben, so darf nicht vergessen werden, daß augenblicklich und zwar
nicht nur wegen des Krieges ein Stillstand und eine Reaktion eingetreten sind,
welche einen Rückfall bedeuten. Schon auf der Kölner Werkbundausstellung
1M; w.
Abb. 3. Fragment des Entwurfes für ein Mausoleum, 1889
war eine Rückkehr zum Klassizismus zu beobachten. In Holland hat diese
moderne Bewegung, die in gewissen Fällen zur Nüchternheit geführt hat,
eine Reaktion erweckt, welche ein Übermaß von Phantasie entfesselt hat
und zu verderben droht, was bisher gewonnen worden ist, speziell, weil die
vornehmsten Vertreter dieser phantastischen Richtung von außergewöhn-
licher Begabung sind und dadurch großen Einiluß bekommen; Diese Kunst
193
ist aber von einer romantischen, üppigen und sehr subjektiven Art und
bemüht sich nicht für eine ästhetische Formgebung für die modernen Auf-
gaben und Materialien. Sie hat sich darum nicht zu einer modernen ästhe-
tischen Gestaltungsform entwickelt, sondern nur zu einer Erneuerung der
Abb. 4. Kontorgebäude von De Niederlanden", Saphiaplein in Amsterdam, 1895
äußeren Schmuckforrn. Sie hat deshalb im wesentlichen keine Veränderungen
von kultureller Bedeutung für die Baukunst gebracht.
Bei diesen Strömungen in der Architektur ist es wegen obengenannter
Prinzipien doppelt nötig, sich von ihrer Bedeutung für das moderne Leben
Rechenschaft zu geben, und ich habe darum mit vielem Vergnügen der
Aufforderung der Redaktion dieser Zeitschrift Folge geleistet, einiges zu sagen
über die Arbeiten des Vorgängers der holländischen rationellen" Richtung
in der Baukunst, Dr. H. P. Berlage.
Dr. Berlage wurde am 21. Februar 1856 in Amsterdam geboren. Anfangs
soll er mehrlVorliebe zur Malerei gehabt haben, doch schon 1875 ging er
Abb. 5. Kontorgehäude von De Nederlanden", Kerkplein im Haag, 1895
als Student auf die Technische Hochschule in Zürich und studierte Archi-
tektur unter Larius und Stadler, welch letzterer ein Schüler und Anhänger
In diesem Aufsatze wird der Kürze wegen jene Auffassung in der Baukunst, welche von den sozialen
und praktischen Bedürfnissen und den technischen Fortschritten des modernen Lebens ausgeht und diese auf
organische Weise das heißt von innen nach außen, ohne Hineininterpretierung iiberlieferter Schmuckforrnen
ästhetisch zu lösen versucht, modern, sachlich oder rationell genannt. Es ist darunter also nicht rein Sachliches
oder Rationelles zu verstehen, welches außerhalb des Gebietes der Kunst fällt.
19b
Sernpers war. Bis 1878 einschließlich blieb er in Zürich, machte dann
während eines Jahres eine Studienreise in Italien und darauf kleinere Reisen
nach Deutschland, Österreich und Frankreich. Seine praktische Tätigkeit
begann er als Zeichner im Bureau Sanders in Amsterdam, worin er nach
.n
D.
6.
b.
einiger Zeit als Teilhaber aufgenommen wurde. Während dieser Zeit
beteiligte er sich an der internationalen Konkurrenz für ein Börsengebäude
für Amsterdam, worin er den vierten Preis erhielt für ein Projekt, welches
nicht zur Ausführung gelangte. Zur selben Zeit war er auch Lehrer an
der von Dr. Cuypers gegründeten Kunstgewerbeschule Quellinus" in
Amsterdam.
x96
Sein Zusammenarbeiten mit Sanders dauerte fünf Jahre, wonach er
sich selbständig als Architekt in Amsterdam niederließ. Von dieser Zeit
an tritt er immer mehr in den Vordergrund und gelangt mit dem Bau
der Amsterdamer Börse nach einem neuen Projekt, welches er später
selbständig ausführte zu seiner hervorragenden Stellung in der modernen
holländischen Baukunst, deren Vorkämpfer und Begründer er ist.
Abb. 7. Kontorgebäude von De Nederlanden", Kerkplein im Haag, nach dem Umbau, 1909
1914 wurde er von der Firma Wm. Müller en C0. nach Haag berufen als
Architekt ihrer Geschäfts- und Wohngebäude, womit er noch beschäftigt ist.
Als Dr. Berlage selbständig seine Tätigkeit als Architekt anfing, herrschte
in der holländischen Baukunst eine Verwirrung, wie dies auch in den Nach-
barländem der Fall war. Die Entwicklungsgeschichte der holländischen
Architektur seit dem Anfang des XIX. Jahrhunderts ist mit kurzen Worten
folgende Bis in die Mitte des XIX. Jahrhunderts war die Architektur
beherrscht vom französischen Klassizismus. Gewissermaßen als Reaktion
dagegen offenbarte sich im Anfang der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts
x97
eine Neigung zur Gotik und zur Renaissance, woraus sich allmählich zwei
Richtungen entwickelten die Romantik und der Eklektizismus. Die große
Baubetriebsamkeit, welche seit der Mitte dieses Jahrhunderts auf dem Ge-
biete des katholischen Kirchenbaues zur Äußerung gekommen war, bekam
dann teilweise auch Einfluß auf die profane" Baukunst. Anfangs streng
konventionell, entstand im Kirchenbau mit Dr. Cuypers dem Erbauer des
Amsterdamer Reichsmuseums und vieler Kirchen eine freiere Auffassung.
Als Schüler und Bewunderer von Viollet-le-Duc studierte er gründlich die
mittelalterliche Bauklmst, deren logische und konstruktive Grundsätze ihn
zur allmählichen Befreiung vom Klassizismus führten, wodurch er bedeutend
Abb. 8. Erste Projekt für die Amsterdamer Börse, 1897
mitgearbeitet hat zur Klärung der Begriffe bezüglich einer rationellen Bau-
kunst. Nach 1870 kam dann eine Epoche, worin zunächst gotische Motive,
nach und nach auch Motive der nationalen Renaissance auftraten, indem
auch ausländische Vorbilder die durch die Kunstzeitschriften verbreitet
wurden nachgeahmt und umgearbeitet wurden, woraus dann obengenannte
Verwirrung entstand. Es ist das große Verdienst Berlages, in dieser Zeit
die Richtungslinie gezeigt zu haben zu einer Baukunst, welche nicht mehr
eine Zusammenstellung alter oder neuer Stilformen, sondern eine ästhetische
Gestaltungsform von sozialen Notwendigkeiten seiner Zeit war.
Nicht auf einmal ist Berlage zur organischen Auffassung der Architektur
gekommen, wie diese aus seinen späteren Werken spricht. Seine Entwick-
lung stimmt im allgemeinen überein mit der Entwicklung Otto Wagners und
könnte charakterisiert werden mit den Worten Lux' in seiner Biographie
Wagners, wo er spricht von einer Entwicklung von der Architektur zur
Baukunst".
26
Die ersten Entwürfe Berlages zeigen eine Stilarchitektur im Geiste der
Renaissance. Die Motive von dem Wettbewerbsentwurf für die Amsterdamer
Börse 1885 Abb. einer der ältesten Entwürfe Berlages, die ich
kenne sind hauptsächlich der nationalen Renaissance entnommen. Die
Gruppierung der Bauteile um zwei Achsen, welche senkrecht aufeinander
gestellt sind, deutet auf ein Streben nach Regelmäßigkeit und Monumen-
talität, doch ist dieses Projekt in seiner Massenwirkung und Silhouette
weniger monumental als malerisch zu nennen. Ein typischer Charakter
für ein Börsengebäude ist hier nicht gefunden man bemühte sich in den
Zeiten der Stilarchitektur auch weniger, dieses zum Ausdruck zu bringen;
die obengenannte Verwendung zweier Achsen hat zu etwas Zwitterhaftem
in der Komposition geführt, wodurch eine Gleichwertigkeit der Vorder- und
der Seitenfassade entstand, die in dem später ausgeführten Projekt von
1898 verschwunden ist. Aus dem ganzen Entwurf spricht jedoch eine große
Kenntnis alter Stilforrnen und Geschicklichkeit zum Anordnen derselben.
Merkwürdig ist, daß beim symmetrischen Aufbau der Seitenfassade die
Spitzen der beiden großen Türme verschieden sind. Dieses wird zu erklären
sein aus der Überle-
gung des Entwerfers,
daß die genaue Sym-
metrie eines Kunst-
werkes zur Erstarrung
führt, und der Künstler
wird deswegen ver-
sucht haben, nicht
symmetrische, son-
dern gleichwertige Mo-
mente neben- und ge-
geneinander zu stellen.
Gerade aber in der
Stilarchitektur ist diese
Schwierigkeit schwer
zu lösen, weil man
gebunden ist an be-
stehende Formen, wo-
mit nicht die Teile in
innerlichem Zusam-
menhang komponiert
werden können, son-
dem im besten Falle
nur eine äußerliche
Formenharmonie ent-
steht. Weil Berlage
Abb. g. Zweites Projekt für die Amsterdamer Börse, 1897 außerdem nicht kon-
...
sequent diese Auffas-
sung in den beiden
Fassadenteilen durch-
geführt hat, ist das
gewünschte Resultat
nicht erreicht und be-
kommt man den Ein-
druck von etwas auf
sich selbst Stehendem
und Gesuchtem.
In späteren Ar-
beiten hat Berlage
dieses in Einzelheiten
auch bei der rhyth-
mischen Wiederho-
lung einer Verzierung
sehr schön und charak-
teristisch zu lösen ge-
wußt; jedoch kenne
ich keine Fassade von
ihm, wo er sich diese
Aufgabe auch in den
Hauptmassen gestellt
hat. Der Lösung die-
ses Problems der un-
symmetrischen und Abb. xo. Drittes Projekt für die Amsterdamer Börse, 1897
gleichgewichtigen Ge-
Mluuvlrlil
staltung nicht durch Umbildung von Einzelheiten, sondern durch Umbildung
der Massen wenden unsere jüngeren besonders ihr Interesse zu.
Wie Berlage sich in das Wesen alter Stile einzuleben wußte, beweist
auch der Fassadenentwurf für die Kathedrale Mailands Abb. 2. Obwohl
diese Fassade im großen an die der Kathedrale zu Orvieto erinnert, sind
doch nirgends die Details ohne weiteres kopiert, doch ist in Verbindung mit
dem bestehenden Zustand eine einheitliche Umbildung entstanden, wobei
besonders der Turm sehr gelungen ist, weil er sich genau an die Formen
und das Wesen des Ganzen anschließt und doch in seiner Erscheinung zu
etwas sehr Originellem geworden ist.
Eine Apotheose der Stilarchitektur hat er dann in seinem Entwurf für
ein Mausoleum eingesandt zur internationalen Ausstellung in Paris 188g
gegeben Abb. 3. Wie weit seine Beherrschung historischer Formen ging,
sieht man erst recht an diesem Entwurf, wobei ungefähr alle bekannten
Stile auftreten, mit deren Motive ein Bauwerk komponiert worden ist, das
zwar nicht von einheitlicher baukünstlerischer Gestaltung ist, sondern
schon den Drang zum Monumentalen zeigt, welcher in den späteren
Abb. n. Die Börse in Amsterdam, 1897 bis 1903
Arbeiten Berlages so deutlich hervortritt. Obwohl dieses den Entwürfen
und ausgeführten Werken nach chronologisch nicht richtig ist, halte ich
dieses Projekt für den Wendepunkt in der Entwicklung Berlages, das.
heißt, ich glaube, daß Berlage in diesem Entwurf bewußt oder unbewußt
einen letzten Versuch gemacht hat, die Möglichkeit des Entwerfens im
Rahmen der Stilarchitektur zu erweitern. Es scheint mir der Anfang der
Einsicht, daß im allgemeinen mit den Motiven eines historischen Stils nur
reproduzierende oder zusammenstellende, keine wirklich bildende Arbeit
zu verrichten ist, welche Einsicht erst zu einer Zwischenstufe geführt hat
durch die Verwendung von Motiven verschiedener Stile. Die Möglichkeiten
des Komponierens im Rahmen der Stilarchitektur sind damit aber erschöpft
und ein weiterer Schritt mußte zum Verlassen dieses Weges führen, um
zur wirklich baukünstlerischen Gestaltung zu kommen. Dies geschah jedoch
nicht sofort, und zwischen dieser großartigen architektonischen Parade
und den ersten zögernden Versuchen auf dem neuen Wege, welche
am Gebäude für die Algemeene Maatschappij van Levensverzekering en
Lijfrente" in Amsterdam zum ersten Male deutlicher zutage treten, liegen
noch kleinere Entwürfe und ausgeführte Bauten und Innenräume im alten
Geist.
1885 hatte er das Ladenhaus für die Firma Focke en Meltzer in
Amsterdam ausgeführt. Die Fassaden zeigen eine feine italienische Renais-
sancearchitektur, welche in Unterteilen an die Florentiner Palazzi er-
innert, Die schwierige Aufgabe die auch in der modernen Baukunst selten
wirklich gelöst ist, die unteren Geschäftsräume mit ihren großen Schau-
fenstern in Übereinstimmung zu bringen mit den oberen Kontor- oder Wohn-
räumen mit ihren größeren MauerHächen und kleineren Fenstern, hat auch
in dieser Fassade zu einer Zwitterhaftigkeit geführt, welche vom Balkon
der rechten Seitenfassade nur unvollkommen verhüllt wird. Es ist übrigens
äußerst merkwürdig, eine Vergleichung zu machen zwischen diesem Gebäude
und dem Gebäude der Algemeene Maatschappij van- Levensverzekering en
Lijfrente". Der Aufbau der Fassade des letzteren weicht im wesentlichen
nur ganz wenig ab vom Aufbau der Fassade des ersteren. Man findet sogar
alle Elemente wieder, welche am Gebäude der Firma Focke en Meltzer auf-
treten die großen, durch Säulen getrennten Schaufenster des Erdgeschosses;
das Zwischenglied der Balkon; die beiden gleich hohen Stockwerke mit
den Kontorräumen und die oberen kleineren Fenstergruppen. Auch in der
Anordnung der verschiedenen Fenstergruppen Endet man vieles von der
anderen Fassade wieder und man könnte ungeachtet der selbstverständ-
lichen Abweichungen den lokalen Bedingungen gemäß beinahe die spätere
Fassade für eine Umarbeitung der früheren halten. Jedoch ist der Unter-
schied, welcher im 'Aufbau weniger auffällt, in der Ausarbeitung beider
Abb. n. Eingänge der Amsterdamer Börse
ZUZ
Fassaden sehr groß. In den Einzelheiten der späteren Fassade tritt die
neue Auffassung hervor, welche im Gegensatz zur früheren welche mehr
oder weniger klassisch war eine sehr persönliche genannt werden kann. Es
scheint dies in Widerspruch zu stehen mit den vorher genannten Prinzipien
Abb. x3. Großer Saal in der Amsterdamer Börse
Berlages, welche nicht das Besondere das Subjektive, sondern das All-
gemeine in der Kunst beabsichtigen, doch darf nicht vergessen werden, daß
genannte allgemeine Begriffe sich nicht in erster Linie auf die Form beziehen,
sondern innerlicher Art sind und in der äußerlichen Erscheinung bei den
großen Künstlern immer mehr oder weniger persönlich verkörpert werden.
203
Die Bedeutung großer Künstler liegt gerade auch darin, daß sie in ihrer
stark persönlichen Ausdrucksweise äußern, was unbewußt in der Menge
lebt. S0 liegt auch die Bedeutung Berlages nicht nur in seiner Verkündi-
gung gesunder, rationeller Ansichten bezüglich einer organischen Baukunst
Abb. 14. Einzelheit der Amsterdamer Börse
welche doch irn gewissen Sinne auch von Dr. Cuypers schon geschehen
war, sondern auch in der Verkörperung seiner Gedanken in seinen Werken,
womit er das Empfinden seiner Zeit gestaltete und die äußere Formensprache
einer ganzen Epoche schuf. Gerade dieses letztere ist der Unterschied
zwischen Cuypers und Berlage. Cuypers hat seine Prinzipien angewendet
Abb. 15. Haupnreppenhaus in der Amsterdamer Börse
Den ersten Schritt zur neuen Form in den Arbeiten Berlages zeigen die
Einzelheiten der obengenannten Fassade des Gebäudes für die Algemeene
Maatschappij van Levensverzekering en Lijfrente". Es ist hier, wie in vielen
Werken dieser Zeit, noch das Ringen nach Befreiung vom Traditionellen
205
der äußerlichen, historischen Detailform sichtbar, während man nachher in
den spätesten Arbeiten Berlages dieses Streben wieder Findet in bezug auf
die eigentlich baukünstlerische Form, das heißt, daß er dann auch anfängt,
die primären Elemente des baukünstlerischen Schaffens Raum, Masse,
Abb. 16. Halle im Wohnhause Henny im Haag, 1898
Fläche, zum Gegenstand moderner ästhetischer Gestaltung zu machen.
Von der Zeit an, wo er mit der Tradition gebrochen hat, ist das Arbeiten
des Künstlers nicht mehr ein freudenvolles, üppiges Schaffen, wie dieses
aus den früheren Entwürfen zu sprechen scheint, sondern ein mühsames
Kämpfen zur Überwindung des Konventionellen und Materiellen, wovon
viele Werke die Spuren zeigen, indem sie bisweilen ebensosehr die
17
206
menschliche Tragödie verraten als das ästhetische Empfinden. Berlage
gleicht nach dieser Zeit den tiefemsten Künstlern jener Gruppe, wozu
zum Beispiel auch Vincent van Gogh gehört welche Gruppe charakte-
Abb. 17. Gebäude vom Algemeene Nederlandsche Diamanlbewerkersbond"
in Amsterdam, 1899
ristisch für diese Zeit scheint, die mehr Schöpfer als Virtuosen sind, das
heißt, mehr mit geistigen als mit sinnlichen Mitteln arbeiten und die nie
zu einer toten künstlerischen Formel geraten, weil ihr Schaffen auf dem
Wissen beruht, daß die Kunst niemals ist, sondern immer wird. So hat
er sich nach jedem Erreichen von den Resultaten dieses Erreichens los-
207
gemacht und sich selber wieder befruchtet zur neuen Blüte, woraus sich
erklären läßt, daß in der Reihe seiner Arbeiten einige Bauten als Gipfel her-
vorragen, während andere deutlich die Geburtswehen verraten und bisweilen
selbst zu einer charakteristischen Häßlichkeit oder Neutralität herabsinken.
Abb. 1a. Halle im Kontorgebäude der "Algemeene Maatschappij van Lewlensxrerzekering
en Lijfrente" in Amsterdam, 1903
Nichtsdestoweniger hat er nie seine Zuflucht zum leichter erreichbaren
Mittelmaß genommen und zeigen seine Werke immer ein kräftiges, künst-
lerisches Wollen, dessen Bedeutung Ruskin festlegte in seiner Begriffs-
bestimmung, daß an einem Kunstwerk maßgebend ist die Kraft des mensch-
lichen Geistes, welche sichtbar im StoH abgedrückt sei".
Auch das Gebäude, wovon die Rede war, ist bedeutend durch die Kraft
des künstlerischen Wollens, wie dieses an jedem Teil der Fassade zur
Äußerung kommt. Durch diese Kraft hat Berlage die holländische Architektur
mit ihrem überlieferten Akademismus und mit den Verlockungen eines aus-
gebreiteten zur Verfügung stehenden Formenmaterials aus ihrer Passivität
wachgerüttelt und sie wieder zur Aktivität des elementären künstlerischen
Schaffens erweckt. Dies spricht anfangs aus seiner Detaillierung am deut-
lichsten.
Die Detaillierung eines baukünstlerischen Werkes erfüllt im allgemeinen
eine doppelte Funktion; vergleichenderweise könnte man sagen eine passive
und eine aktive. Die passive Funktion erfüllt sie als Licht, Schatten, Farbe,
Masse usw., kurz als allgemeines baukünstlerisches Mittel zur Gestaltung
des architektonischen Gesamtbildes. Die aktive Funktion erfüllt sie, insoweit
die Einzelheiten selbständig zu künstlerischen Organen ausgebildet sind.
Selbstverständlich konnte von diesem letzteren in der Stilarchitektur der
Architektur des Kopierens und Zusammenstellens fast gar nicht die Rede
sein. Auch in der klassischen Kunst waren. die Einzelheiten weniger aktiv,
weniger persönlich, doch die mittelalterliche Kunst und speziell die gotische
hat durch eine sehr aktive Detaillierung in ihren Monumentalbauten auch
einen persönlichen Reiz zu entfalten gewußt. Die Meisterschaft der Bau-
meister dieser Zeit offenbart sich ganz besonders in der Weise, wie diese
Detaillierung angebracht ist, wodurch nicht ihre passive Wirkung im Gesamt-
bild beeinträchtigt wurde, das heißt nicht der künstlerische Wert der Einzel-
heiten hervortrat, sondern erst bei genauerer Betrachtung der Unterteile
auffiel. Wie in seinen Prinzipien, welche dennoch für alle Zeiten gelten,
schließt Berlage sich auch in dieser Hinsicht der mittelalterlichen Kunst an.
Der Eindruck seiner Monumentalbauten und der Entwürfe dazu wird nie
von kleinlicher oder anspruchsvoller Detaillierung beeinträchtigt, doch
letztere entfaltet bei näherer Besichtigung einen großen lyrischen Reiz und
überrascht immer aufs neue durch Feinheiten, welche anfangs durch ihre
vorzügliche Einordnung ins Ganze übersehen werden.
Seine Einzelheiten entstehen organisch aus dem Wesen des Gebäudes,
wie die Äste eines Baumes aus dem Stamm sie sind nicht kopiert oder
zusammengestellt, sondern lebendige Organe des Kunstwerkes. So versteht
man, daß bei ihm diese Einzelheiten den höchsten Anforderungen genügen
müssen und er sie nicht selber entworfen oder ausgearbeitet hat, wenn er
meinte, daß sie außerhalb seines Gebietes der Baukunst fielen. Er hat in
solchen Fällen die besten Künstler seiner Zeit zur Mitarbeit berufen zur
lAusführung von Skulptur- oder Malerarbeiten usw. Am Gebäude für die
Algemeene Maatschappij van Levensverzekering en Lijfrente" sieht man
deswegen Skulpturarbeiten von Zijl und im Innern Wandmalereien von
Derkinderen.
Wo es die geeigneten Mitarbeiter nicht gab, wie zum Beispiel zum
Anfertigen von Möbeln und für Kunstgewerbliches, war er gezwungen, die
Entwürfe selber zu machen. Zur Ausführung dieser Entwürfe gründete er
in Verbindung mit dem Möbelkünstler Jac. van den Bosch die Werkstätten
Binnenhuis", welche anfangs in der neuen Bewegung eine hervorragende
Stellung einnahmen. Berlage hatte schon früher Möbel im Renaissancestil
Abb. 19. Eingang Börsenpassage in Amsterdam
entworfen, doch eine gleichartige Umwälzung wie in seiner Architektur
findet in seinen Möbeln dieser Zeit statt. Jedoch sind seine Prinzipien hier
sofort deutlicher verwirklicht als in seinen Bauten der Übergangszeit und
treten selbst zum Teil einseitig und aufdringlich propagandistisch hervor,
was aber im gegebenen Falle richtiger erscheint.
Wir sind zuviel belastet mit historischen Überlieferungen, um uns sofort
den neuen Aufgaben unbefangen gegenüberstellen zu können. Wie vorher
ZlU
gesagt, hat dies auch die ersten Bauten Berlages beeinflußt, wodurch sie
während der Übergangszeit viel mehr geistige Umbildungen und Abstra-
hierungen alter Vorbilder sind statt ästhetische Neugestaltungen auf der
Grundlage elementarer Prinzipien; es hat den Anschein, als ob er auf die
alten Vorbilder seine neuen Prinzipien geimpft habe.
Dies ist in seinen Möbeln dieser Zeit weniger der Fall, weil sie eine
Urform zeigen, welche den praktischen Bedürfnissen und konstruktiven
Forderungen der Zeit entspricht. Daß dennoch eine neue ästhetische Form-
gebung noch nicht erreicht wurde, ist Folge der einseitig tektonischen Auf-
fassung Material und Konstruktion sind ängstlich in Ehren gehalten, wodurch
Abb. 20. Perspektivische Ansicht des Entwurfes für den Friedenspalast im Haag, 1907
die Resultate einigermaßen roh und wenig zierlich, doch sehr überzeugend
wirken. So gibt es einen Stuhl dieser Zeit, wobei alle runden Formen, als
Verstoß gegen die Struktur des Holzes, umgangen und durch gerade Teile
ersetzt sind, wodurch nicht weniger als 36 Holzverbindungen entstanden,
welche alle mit peinlicher Genauigkeit sichtbar gelassen sind.
Diese anfängliche Prinzipienreiterei zeugt für das künstlerische Gewissen
Berlages, das kein Komprorniß wollte, aber sich auf die Dauer natürlich dem
Dualismus von Idee und Praxis, welcher das Wesen der Baukunst ist, hat
unterordnen müssen.
So stand er in dieser Zeit vor der ungeheuren Aufgabe, in seinen Werken
drei verschiedene, einander oft widersprechende Probleme, welche dennoch
nicht abgesondert zu betrachten sind, zu lösen und in einer ästhetischen
Gestaltung einheitlich zu verkörpern. Erstens rnußte er sich von der tradi-
tionellen Form losmachen; zweitens hatte er als Kompromiß zwischen prak-
a1;
tischen und konstruktiven Bedingungen die zeitgemäße Urform annähernd
zu bestimmen, welche letztere er, drittens, zu gleicher Zeit ästhetisch aus-
bilden mußte.
Zur Lösung dieser Aufgabe hat er Gewaltiges geleistet und man be-
trachtet mit Ehrfurcht die Bauten, worin sich die Entwicklung vollzieht und
Abb. 2x. Schnitt durch das Vestibül des Entwurfes für den Friedenspalast im Haag, 1907
die Eigenart des Künstlers sich allmählich zu offenbaren anfängt. Am deut-
lichsten fühlt man diesen Kampf nach in dem schon genannten Gebäude
für die Algemeene Maatschappij van Levensverzekering en Lijfrente", in
dem Wohnhause von Professor Heymans in Groningen 1894, in den
Kontorgebäuden für De Nederlandenf in Amsterdam Abb. und im
Haag 1895 Abb. 5.
212
Die Entwürfe für die Amsterdamer Börse sind in dieser Hinsicht aber
am merkwürdigsten, weil die ganze Entwicklung zusammengefaßt ist in der
Abb. 22. Entwurf für eine Suaßenüberbrückung, 1907
Reihe von Projekten, welche Berlage im Laufe der Zeit für dieses Gebäude
angefertigt hat. Der Entwurf von 1885 ist schonoben besprochen. Zwölf
Jahre später 1897 wurde Berlage mit dem Bau des! Börsengebäudes be-
Abb. 23. Perspektivische Ansicht des Beethovenhuisß 1908
auftragt, wonach er obengenannte Reihe von Entwürfen herstellte. Das erste
dieser Projekte Abb. ist dem alten Entwurf nur mehr wenig ähnlich,
23 amnzcubon-uom E0? näoißnu nun mcnnaumoN 6a A34
äilsiüwmmtllw. .4
.51... IIÜIEÜ
"Ilßllil."
.11! all.-- Illgix
11. ÜIIII! IIIIÜ.
doch enthält es schon die Elemente des ausgeführten Gebäudes. Traditio-
nelle Formen gibt es auch hier noch, und Unterteile verraten den EinHuß
von Dr. Cuypers, doch im Vergleich zu dem früheren Projekt ist die
Massenwirkung großzügiger geworden, der Konflikt zwischen Seiten- und
Abb. 25. Zeichnung der Halle im Beethovenhuisß xgoß
Vorderfassade ist teilweise aufgehoben und erstere zeigt eine ziemlich
geschlossene Front, welche sich in der Längsrichtung ausdehnt. Die große
Mauer-Fläche mit den Gruppen verhältnismäßig kleiner Fenster, welche
so kennzeichnend ist für die späteren Arbeiten Berlages, zeigt sich hier in
ihren Anfängen. Die Massenwirkung des Ganzen ist aber noch unsicher.
215
Jede folgende Stufe zeigt dann sprungweise Verbesserungen die Vorder-
fassade wird immer geschlossener und die einzelnen Teile des Gebäudes
Abb. 26. Entwurf für einen Ausstellungspark im Haag, 1908
zeichnen sich bestimmt ab, der Turm beherrscht jedesmal kräftiger den
Gesamteindruck, die Unterteile werden zusammengefaßt, abstrahiert und
an die richtigen Plätze dirigiert Abb. 10.
Die höchste Stufe der Entwicklung ist verkörpert in dem ausgeführten
Gebäude Abb. worin die Persönlichkeit Berlages sich zum ersten Male
Abb. 27. Perspeküvische Ansicht des Entwurfes für ein Rathaus im Haag, 1908
einheitlich äußext. Ein Resultat starken künstlerischen Wollens und fester
Überzeugung, beherrscht das Gebäude den Stadtteil nicht nur durch seine
kräftige und geschlossene Massen- und Flächenwirkung, sondern auch durch
seinen geistigen Wert, welcher ihm nach außen Autorität verleiht. Durch
die beschränkte Distanz der benachbarten Gebäude nimmt sich das Ganze
tatsächlich nur von einem Punkt gesehen richtig aus. Von diesem Punkt
aus gibt es ein Bild der Vorder- und verkürzten Seitenfassade, das im großen
in eine dreieckige Form zu fassen wäre. Daraus ergibt sich Stabilität im
Stadtbild, indem der Turm, als senkrechte Dominante, die Einfügung in das
Straßenbild fördert.
Das Ganze wird belebt durch eine bewegliche Silhouettierung und eine
pikante Stellung der Türen, Fenster und Einzelheiten.
Die mittleren Eingänge Abb. 12 und die obere Beendigung des Turmes
sind Schwerpunkte der Komposition, welche einzeln betrachtet zu den ge-
lungensten Teilen des Gebäudes gehören. Türen und Fenster sind, wo
möglich, in Gruppen vereint, wodurch die Wände durch die Durchbrechungen
Abb. 28. Perspektivische Ansicht des Entwurfes für ein Wagner-Theater im Haag, rgxo
keinen Schaden in ihrer Flächenausbildung erleiden. Die Wände hat der
Künstler hergestellt aus holländischem Backstein, welchen er damit wieder
zu Ehren gebracht hat. Die lebendige, bunte Farbe dieses Materials hat er
wohlerwogen der Atmosphäre des Amsterdamer Stadtbildes angepaßt; wo
überdies aus jedem Teil dieser Schöpfung die ungeheure Anstrengung und
pietätvolle Ergebenheit eines ernsten Künstlergeistes spricht, da versteht
man nicht recht die Schroffheit der Bemerkung Lux", wo er in seinem Eifer,
den Meister Wagner zu ehren, dieses Gebäude verurteilt als einen brutalen
Ziegelschuppen, der zuletzt doch durch seinen doktrinären Puritanismus
verstimmt".
Obwohl diese Verurteilung dem Wesen des Werkes begriffslos gegen-
übersteht, war anfangs die öffentliche Meinung der gleichen Ansicht. Es
kamen dabei aber noch andere Faktoren in Betracht.
Die Amsterdamer Börse war zur Zeit nicht nur eine Künstlertat ersten
Ranges, sondern ihre allgemeine Bedeutung ragte wegen der Grundsätze
ihres Entstehens über die künstlerische Bedeutung empor. Die Aufregung,
welche sie während des Baues und nachher in Künstler- und Laienkreisen
erweckt hat, muß teilweise auch den Prinzipien Berlages beigemessen
217
werden, weil man letztere, wegen ihrer reellen Grundlagen, für eine Gefahr
für die Kunst hielt. Man hat deswegen nicht nur das Bauwerk lächerlich
gemacht, sondern auch rücksichtslos den Baumeister beschimpft, verleumdet
und mit Hohn überladen. Es kam dazu nachher ein technisches Unglück,
welches Anlaß gab zu neuen Gehässigkeiten, und so wiederholte sich auch
I'll uwur'l
YIÜIEIIIIHBBÄÜWISIX
In, ..
Abb. zg. Grundriß des Entwurfes für ein Wagner-Theater im Haag, 19m
hier die alte Geschichte von Verspottung und Feindseligkeit, welche anfangs
so oft bedeutenden Kunstwerken zuteil wird. Zwar hat die damals geführte
Hetze die Schöpferkraft des Künstlers nicht beeinträchtigt, doch hat sie ihm
viel Lebensglück geraubt.
Das Börsengebäude war der Anfang einer Blüteperiode des Künstlers
und die Eigentümlichkeiten der Formgebung dieses Gebäudes Findet man
in den vornehmsten Bauten dieser Zeit wieder. Es gehören dazu unter
Abbfgo. Ladenhaus der Firma Meddens im Haag, 1914
anderem das Wohnhaus von Herrn Carel Henny im Haag 1898 von
charakteristischer Massenwirkung; das Gebäude vom Algemeene Neder-
landsche Diamantbewerkersbond" in Amsterdam 1899 mit einer Lösung
des Problems des flachen Daches; das Wohnhaus Parkwijck" in Amster-
dam 190o von malerischer Wirkung und harmonischer Ausarbeitung
leider vor einigen Jahren abgebrochen jetzt ist es von einem Kunst-
freund in de Bildt aus den Fragmenten wieder aufgebaut, wenn auch
in veränderter Form; das Wechselkontorgebäude für die Amsterdamsche
Bank" in Amsterdam 1901; das Kontorgebäude für die Algemeene" in
Leipzig 1902; das Landhaus von Herrn R. N. Roland Holst in Laren 1902;
Ladenhäuser in der Hobbemastraat in Amsterdam 1904; Häuserblock in
der Linnaeusstraat in Amsterdam 1905; das Gebäude des Arbeiter-
konsumvereins De Voorwaarts" in Rotterdam 1906; das Wohnhaus von
Fr. A. Hingst in Amsterdam 1907; der Entwurf für den Friedenspalast im
Haag 1907; der Entwurf für die Stadterweiterung vom Haag 1908; die
Kunstgewerbeschule für Mädchen in Amsterdam 1908; der Entwurf für
ein Beethovenhuis" in Bloemendaal 1908; das Kontorgebäude von De
Nederlanden" in Rotterdam 1910; der Entwurf für ein Wagner-Theater im
Haag 1910; der Entwurf für ein Künstlerhaus in Amsterdam 1912; das
Wohnhaus von Herrn L. Simons im Haag 1913; das Kontorgebäude von
..-
De Nederlanden" in Batavia 1913; der Entwurf für ein Landhaus für
die Familie Kröller in Wassenaar 1913.
Ich werde nicht jedes der obgenannten Gebäude einzeln besprechen,
sondern versuchen, die hervorragenden Kennzeichen der Arbeiten aus dieser
Zeit im allgemeinen zu bestimmen.
Wie schon bei einem der Börsenprojekte nebenbei bemerkt wurde,
ist für die Werke aus dieser Periode des Künstlers kennzeichnend die groß-
zügige Massenwirkung. Innerhalb der Komposition dieser Massen sind die
Raumkörper so durchgebildet, claß ihre ästhetischen Beziehungen unter-
einander ihren praktischen Beziehungen entsprechen, das heißt, daß auf
rationelle Weise die praktisch bedeutendsten Teile des Gebäudes auch
ästhetisch zu Schwer-
punkten der Gestal-
tung gemacht sind.
Die einzelnen Bau-
körper sind zurück-
gebracht zu einfachen
I-Iauptformen, welche
durch geschlossene
Mauerflächen gebildet
werden. Letztere sind
so sparsam wie nur
möglich von Öffnun-
gen durchbrochen und
meistens aufgebaut aus
Backstein mit Anwen-
dung von Haustein für
Teile, welche eine kon-
struktive Funktion er-
füllen, indem sie als
Träger oder zur Ab-
wässerung usw. oder
zur Detaillierung die-
nen. Dem Ganzen wird
dadurch eine leben-
dige malerische Wir-
kung verliehen.
Die Mauertlächen
sind von den schon
erwähnten Gruppen-
fenstern durchbrochen.
Die Einzelfenster dieser
Gruppen sind gegen-
seitig getrennt dUTCh Abb. 3x. Kontorgebäude der Finna Wm. Müller Co. in London, xgr4
backsteinerne Zwischenglieder, welche unten und oben von hausteinernen
Blöckchen beendet werden. Zur Abdeckung dieser Fenster sind hausteineme
Tragebälkchen angewendet, die an der Schneide charakteristische ein-
gehauene Verzierungen oder Profile bisweilen eine Zusammenstellung
beider zeigen. Die Verzierungen bestehen aus rhythmisch wiederkehrenden
Motiven, welche für jedes Gebäude oder für jedes Stockwerk im Rahmen
einer Hauptform unendlich variiert sind.
Diese Verzierungsart ist sehr kennzeichnend für das Werk Berlages
und man findet sie an vielen Einzelheiten, welche sich in einer Längs-
richtung ausdehnen, sowie an Bändern u'm Pfeiler usw. An Möbel- und
Zimmerarbeiten trifft man sie als Holzschnitzarbeit wieder.
Auch beim Entwerfen von Beendigungen und Einzelteilen, welche
Nachdruck haben müssen, entwickelt er auf derartige Weise eine Fülle von
Phantasie.
Die Motive der letzteren und der obengenannten Verzierungen sind
meistens einfache Gestaltungen abstrakter oder abstrahierter Vorstellungen,
sicher und eckig eingehauen, wodurch sie eine pikante Wirkung ausüben.
Außerdem gibt es noch eine Art Verzierungen in seinen Werken, welche
von freier, naturalistischer Auffassung und weniger konstruktiv mit der
Architektur verbunden sind. Sie stellen meistens Naturobjekte vor, bis-
Abb. 32. Bauernhof ,.De Schipborg", Blick in den Hof. 1914
Abb. 33. Bauernhof "De Schipborg", Pferdeschwemme, 1914
weilen von symbolischer Bedeutung, und beleben oder betonen bestimmte
Bauteile. In den ersten Werken nach der Übergangszeit begegnet man noch
Säulen mit Kapitälen und Basamenten, welche freie Umarbeitungen des
traditionellen klassischen Typs darstellen. Die Trennung in drei Teile ver-
schwindet jedoch allmählich, bis zuletzt nur die funktionellen Teile der Säule
durch irgendeine Verzierung betont werden, wie dieses auch in der mittel-
alterlichen Kunst der Fall war.
Metallarbeiten, wie Lampen, Gitter usw. sind anfangs von einer freien
und launischen Auffassung, werden jedoch immer mehr konstruktiv und
eckig.
Zur Bedeckung der Dächer sind gewöhnlich rote Ziegel angewendet;
für Türmchen bisweilen hausteinerne Platten. Auch die flache Bedeckung
tritt auf.
Nebst den unaufdringlichen Farben des natürlichen Steinmaterials
welches bisweilen von farbigen, glasierten Steinen belebt ist wendet er zur
Bemalung des Holzes, des Eisens usw. ziemlich helle, oft primäre Farben an.
Wenn wir das sämtliche Schaffen Berlages dieser Periode betrachten
und uns im Gedanken vorstellen, wie die allgemeineAuffassung der Architektur
in der Zeit des Entstehens dieser Werke war, verstehen wir die Erregung
der Gegner und die Bewunderung der Jünger um so besser. Indem er darauf
verzichtet, mittels der äußerlichen Schmuckformen einer überliefertenFormen-
welt Erfolg zu erreichen, sondern letztere abstrahiert, verinnerlicht oder
neubildet und in einer einfachen Formengestaltung zusammenfaßt, müssen
seine Bauten auf ihre damalige Umgebung eine fast asketische Wirkung
ausgeübt haben. Der Einfluß Berlages tritt jetzt allenthalben im Kleinwoh-
nungsbau sowie im Bau größerer Gebäude und im Kunstgewerbe zu deutlich
29
hervor, um dieses im gleichen Maße noch empfinden zu können. Ich erinnere
mich aber, wie ich selbst damals beim ersten Anschauen des Börsengebäudes
den künstlerischen Wert ahnte, aber doch einen nüchternen Eindruck von
dem Ganzen erhielt. Nachher wurde mir klar, daß dem sogenannten Puri-
tanismus dieses Gebäudes ein leidenschaftlicher Künstlergeist innewohnt, der
sich nicht aus Mangel an Vorstellungsfähigkeit oder Schöpfungskraft derartig
mitteilt, welcher aber durch die absichtliche Zurückhaltung einer ernsten
Künstlerüberzeugung beschränkt wurde.
Denn Berlage ist im Grunde nicht eine harmonische, gleichgewichtige
Künstlematur, wie sie die Verwirklichung seiner Prinzipien fordert, sondern
eine reizbare, temperamentvolle Persönlichkeit, welche sich selber gewalt-
sam eine straffe Beherrschung auferlegt. Seine Kunst entwickelt sich in
fortwährender Beschränkung durch Vereinfachung und Verallgemeinerung
erstrebt er das Monumentale und Erhabene.
In den obengenannten Werken ist dieses nur teilweise erreicht. Un-
geachtet der großzügigen Massen- und Flächenwirkung und der Syntheti-
sierung des Details entfaltet sich hier noch eine Vorliebe für lyrische Ergüsse
in den vorher genannten kennzeichnenden Verzierungen und eine Vorliebe
zu malerischen Anordnungen in der Gruppierung von Baukörpern und der
Gestaltung von Grundrissen. Letzteres ist teilweise auch Folge einer natür-
lich-organischen Auffassung des Rationalismus, welche die ästhetische Ge-
staltungsform der Zufälligkeit praktischer Bedingungen unterordnet." Die
Unzulänglichkeit dieser Auffassung in ästhetischer Hinsicht einsehend, hat
der Künstler sie allmählich modifiziert im Sinne einer Auffassung, welche
zwar die natürlichen Bedürfnisse anerkennt, sie jedoch rationell auf ästhe-
tisch-konstruktive Weise zu lösen versucht. Von dieser Auffassung zeugen
schon einige Werke dieser ersten Periode, doch hauptsächlich tritt sie zu-
tage in den folgenden Werken Berlages, welche auch wegen der Umwälzung
in seinen Anschauungen in anderer Hinsicht zu einer neuen Periode in
seinem Schaffen gerechnet werden können.
Man muß gestehen, daß die Mischung von Monumentalität und Lyrik
den ersten modernen Werken einen besonderen Reiz verleiht; jedoch sie ist
im allgemeinen der Einheitlichkeit eines Kunstwerkes nicht günstig. Überdies
ist sie im Grunde mittelalterlicher Art und entspricht in der großen Variation
der Einzelheiten dem Wesen des Handwerks.
In unserer Zeit fordern kulturelle und ökonomische Notwendigkeiten eine
möglichst große Benutzung der Maschine. Die sich aus dem Gebrauch der
Maschine ergebende veränderte Produktionsweise und durchgeführte Typi-
sierung wird in Verbindung mit der Anwendung von neuen Materialien von
Diese Auffassung ist von Ruskin gefördert worden und hat die Entwicklung der modernen Baukunst
bedeutend aufgehalten wegen der Hervorhebung sentimentale und romantischer Werte. Treßlich spricht sie
aus der Tatsache, daß Berlage im Laufe der Zeit Anbauten an einige seiner Gebäude veranstaltete, wenn diese den
Bedürfnissen der Bewohner entsprachen. Einer rein ästhetischen Auffassung ist dieses aber nicht gemäß, denn in
einer ästhetischen Gestaltung ist jeder Teil mit den anderen eng verknüpft und die kleinste Zufügung oder Ab.
nehrnung würde das Gleichgewicht der ganzen Komposition zerstören.
223
weitgehendem Einiluß auf die äußere Erscheinungsform der neuen Baukunst
sein. Berlage hat dies in seinen Schriften oft dargelegt und neulich in bezug
auf die herrschende Wohnungsnot das Typisieren von I-Iäusern aus bau-
künstlerischen Gründen verteidigt.
Obengenannte Faktoren werden nicht nur beim Massenbau in Betracht
kommen, sondern auch beim Bau von besseren Einzelhäusem und von
öffentlichen Gebäuden von überwiegendem Einfluß auf die Herstellung sein
müssen, damit die Vorteile technischer Fortschritte nicht wegen sentimen-
Abb. 34. Pzrspektivische Ansicht des Entwurfes für ein Jagdhau in Hoenderloo, 195
taler und romantischer Erinnerungen dem Baufach vorenthalten werden und
die Baukunst der Zeit nachhinkt. Es hat im Gegenteil die moderne Baukunst
die Aufgabe, sofort die technischen Verbesserungen heranzuziehen und sie
auf ästhetische Weise zu benutzen. Wie schon im Anfang dieses Aufsatzes
gesagt wurde, berührt dies den Kern der Sache, weil neue konstruktive und
technische Probleme den Bau beherrschen in dem Maße, daß gar nicht mehr
von Umbildung, sondern nur von Neugestaltung die Rede sein kann. Aus
den Möglichkeiten der Herstellung großer, nahtloser Flächen auf jedem
Gebiet der Bautechnik, sowie der Notwendigkeit des massenhaften Produ-
zierens einförmiger Bauteile ergibt sich die Forderung einer baukünstlerischen
Formgebung, welche sich weniger der ausführlichen Detaillierung als der
Gesamtkomposition zuwendet, das heißt, die künstlerische Individualität
Abb. 35. Vnrderfassade des Entwurfes für ein Pantheon der Menschheid", 1915
wird dazu mehr im Organis-
mus als in den Organen zu-
tage treten. Plastische Mas-
sen- und Flächenwirkung,
Proportion und Rhythmus
werden die Mittel der neuen
Baukunst sein.
Es ist dies eine Weiter-
führung der Prinzipien Ber-
lages, welche in seinen bisher
ausgeführten Werken nicht
völlig verwirklicht ist. Die
Vereinfachung seines spä-
teren Schaffens ist die Folge
seines früher genannten Stre-
bens nach Monumentalität
und Erhabenheit, doch nicht
Resultat einer Umwälzung
nach obengenannten Fak-
toren. Berlage hat im Laufe
seiner Entwicklung unter
dem Einiiuß der historischen
Stile gestanden; dadurch ist
seiner Kunst auch in ihrer
einfachsten Formgestaltung
eine Erudition eigen, wo-
durch sie von reichem Gehalt
und großer Vergeistigung ist,
welche jedoch eine unbe-
fangene Stellungnahme den
neuen Aufgaben gegenüber
verhindert. Intellektuell ak-
zeptiert Berlage sie und
seine späteren Werke sind
in ihrer Erscheinung davon
bestimmt beeiniiußt; seine
künstlerische Ausbildung hat
sich immer mehr vergeistigt
und vervollkommnet, doch
im Wesen nicht geändert.
Daß seine Bauten nichts-
destoweniger vom Erwähn-
ten bedeutend beeinfiußt
wurden, bezeugen die Werke
der neuen Periode deutlich. Es wirken darin die obengenannten Faktoren
weiter, indem auch ausländische Einflüsse auftreten deutsche und amerika-
nische letztere nach einer Amerikareise, bei der die Werke Wrights auf den
Künstler besonders Eindruck machten. Es ist schwer, jetzt, während der
Künstler noch im vollen Schaffen steht, einiges bezüglich des endgültigen
Resultats dieser Entwicklung zu prophezeien. Dies wird der Zeit überlassen
werden müssen; doch möchte ich noch auf zwei Bauten dieser neuen
Abb. 36. Grundriß des Entwurfes für ein Pantheon der Menschheid", 1915
Periode hinweisen, welche zu den gelungensten Werken Berlages gehören.
Der erstere ist der Bauernhof De Schipborg" rgr4 Abb. 32 und 33,
worin auf saubere und monumentale Weise die Bedürfnisse des Bauern-
lebens baukörperlich gestaltet sind. Der zweite ist ein Kontorgebäude, für
die Firma Wm. Müller Co. in London errichtet 1914 Abb. 3x. Es wird
kein Zufall sein, daß gerade die Lösung dieser letzteren Aufgabe zu einem
Werk von großer Monumentalität geführt hat. Denn Berlage hat oft die
Bedeutung der Geschäftsgebäude für die Baukunst unserer Zeit verglichen
mit der Bedeutung von Kirchen und Palästen für die Baukunst früherer
Zeiten. Die Eisenkonstruktion welche wegen der Witterungseinflüsse durch
226
eine Bekleidung geschützt ist und die geschäftlichen Bedürfnisse veran-
laßten eine Lösung, deren einfache Gestaltung hauptsächlich aus einer
rhythmischen Aneinanderreihung weißer Pfeiler besteht; es ergibt sich
füorrufiämif Die.
Abb. 37. Entwurf für ein Monument im Pamheon der
Menschheid", Ig x5
daraus in der engen Straße
doch eine großartige architek-
tonische Wirkung.
Weiter hat er in dieser
Zeit ein Ladenhaus für die
Firma Meddens im Haag ge-
baut 1914 Abb. 30 und einen
während einer Krankheit ent-
standenen Entwurf zu "einem
der Völkerbrüderschaft gewid-
meten Denkmal das Pantheon
der Menschheid" ausgearbeitet
Abb. 35, 36, 37. Von den
großen Plänen, welche jetzt in
Ausführung oder Vorbereitung
sind, ist zu wenig veröffentlicht,
um hier darauf einzugehen.
Ich will diesen Aufsatz
nicht beenden, ohne darauf hin-
gewiesen zu haben, daß der
Künstler auch später Entwürfe
"für Möbel und für Kunstgewerb-
liches anfertigte, welche eine
seinen Bauten ähnliche Ent-
Wicklung durchgemacht haben.
Auch hat er Buchumschläge
usw. entworfen und eine Serie
Entwürfe gemacht nach Mo-
tiven der von Häckel veröffent-
lichten Kunstfonnen der Na-
tur". In den späteren Jahren
hat er sich mit den Problemen
des Städtebaues beschäftigt und
Stadterweiterungsprojekte für
den Haag und Amsterdam ge-
macht. Seine Prinzipien und Ansichten hat er wiederholt in Schriften und
durch Vorträge erläutert. In dieser Hinsicht ist erwähnenswert, daß sich
seine Prinzipien nicht nur auf die rationelle Auffassung der Architektur
beziehen, wie dies schon besprochen wurde, sondern daß er in Verbindung
damit ein geistiges Ideal für notwendig hält. Seiner Meinung nach wird
dies dem Sozialismus und einer höheren Auffassung des Geschäftslebens
m.m.
vnmibuukuwmn-G
uoäuqohamunioumoäuääm
32.3.5 dm
Ab
226
entsprechen. Zum Schlusse möchte ich bemerken, daß ich in diesem Auf-
satz nur einige persönliche Eindrücke von Berlages Schaffen gegeben habe.
Es treten im stetigen Entwicklungsgang der Kunst wechselnde Begriffe in
den Vordergrund und es kommen zeitliche Faktoren in Betracht, wodurch
eine objektive Wertschätzung seiner Werke natürlich der Zukunft über-
lassen werden muß.
Die Persönlichkeit Berlages und seine Bedeutung für die Entwicklung
der modernen holländischen Baukunst ist jedoch von den Zeitgenossen, die
seinen Kampf zum Teil mitgemacht haben, richtiger zu beurteilen als von der
Nachwelt, die die Schwierigkeiten, welche zu überwinden waren, weniger
beachtet und im allgemeinen dem Streben gleichgültiger gegenübersteht als
den Resultaten.
Ich betone hier deswegen nochmals mit großer Ehrfurcht die ungeheure
Energie, Anstrengung und Ausdauer Berlages, welche die holländische Bau-
kunst aus einer toten Überlieferung wieder zum künstlerischen Abglanz des
sozialen Lebens der Zeit gemacht hat; und füge den Wunsch bei, daß seine
Schöpferkraft noch lange zugunsten der Baukunst angewendet werden
moge.
DER BILDHAUER THOMAS SCHWANTHALER
UND SEINE ZEIT 50 VON RUDOLF GUBY-
WIEN St.
IE Renaissanceperiode der volkstümlichen deutschen
Plastik, als deren typischen Vertreter einen ich in
diesen Blättern vor kurzem den Salzburger Bild-
schnitzer Hans Waldburger publizierte," hatte in
den ersten Jahrzehnten des XVII. Jahrhunderts
ihren Höhe- und zugleich Kulminationspunkt
erreicht. In einer unmittelbar aus der deutschen
Spätgotik herauswachsenden Entwicklung hatten
die deutschen Künstler den menschlichen Körper
in seiner natürlichen Gegenständlichkeit erfaßt; sie
hatten gelernt, wie jedes Glied zu bilden, wie es zu
bewegen ist, sie kannten den natürlichen Faltenfall des Gewandes. In dieser
hundertjährigen Entwicklungsperiode suchte nun auch der deutsche Plastiker
für seine neuen Figuren, die im Gegensatz zu den gotischen erdenschwer
und fest am Boden standen, eine neue Rahmung. Der gotische Schrein, der
Kunst und Kunsthandwerk". 1913, H95! 1x12, Seite 373 bis 394. NachErscheinen desAufsatzea stellte ich
noch eine im Besitze des Professors Brentano in Schönhühel befindliche Dreifaltigkeitsgruppe abgebildet Öster-
reichische Kunsttopographie", 111, Fig. 445 als Werk Wsldburgers fest. Außerdem konnte Herr Direktor Dr. Martin
Haberditzl an Hand der in dem zitierten Aufsatz publizierten gesicherten Werke des Meisten eine iiberlebens-
große Figur Mariens aus einer Verkündigungsgruppe, die sich irn Besitze der Österreichischen Staatsgalerie
befindet, als Waldburgersche Arbeit bester Qualität bestimmen.
in seiner Luftig-
keit und Bewegt-
heit, in seiner ab-
soluten Unkörper-
lichkeit eine Kunst
repräsentierte, die
nicht das Natür-
liche, das Irdische,
sondern eben das
Übersinnliche
darstellen woll-
te, konnte nicht
mehr passen und
da entlehnte der
deutsche Dekora-
tionskünstler der
italienischen Re-
naissance die tek-
tonischen Bau-
glieder, die tra-
gende Säule, das
lastende Gebälk
und alle ihre Zu-
taten die Nische,
den Giebel, die
antikisierenden
Dekorations-
formen des Eier-
stabes, der Perl-
schnur, des Zahn-
schnittes, der
Mäanderlinie usf.
Aber ebenso wie
der deutsche Pla-
stiker in seinem
Figurenstil unverkennbar aus der gotischen Tradition schöpfte die
Figuren Hans Waldburgers sind uns ein zwingender Beleg dafür? so
stand er auch bei der Verwendung der Dekorationsformen noch immer im
Banne des gotischen Geistes. Der Vertikalismus des Gotikers, der schranken-
lose Bewegungsdrang nach der Höhe, beherrschte auch den deutschen
Dekorationskünstler der Renaissance, er ließ ihn bei seinen Altarbauten die
Grundform des gotischen Flügelaltars beibehalten, ließ ihn Etage auf Etage
türmen, ließ ihn die schlanken Figuren auf dem Gebälk und die bewegten
Vgl. Abbildungen a. a. O.
Abb. x. Gurk, Dom, Hochaltar
'10
Engelskinder auf den Giebeln genau in dem gleichen Sinne verwenden, wie
einst der gotische Meister seine Fialen aufsetzte. Der 1626 geschaffene Hoch-
altar zu Mondsee" ist ein Schulbeispiel dieser Entwicklung, ein abschließen-
des reifes Werk der volkstümlichen deutschen Renaissance.
Gerade in die Zeit, da Werke der Skulptur wie der Mondseer Altar
entstanden sind, fallen die Anfänge der katholischen Gegenreformation in
unserer Heimat. Den Lehren Luthers von der intellektuellen Rechtfertigung
durch den Glauben setzte die katholische Kirche die Vertiefung des Gefühls-
lebens gegenüber. Der Gottgläubige sollte Tag für Tag in einen Zustand
andächtiger Versenkung, tiefen seelischen Erlebens versetzt werden. Damit
war auch der Kunst ein neues geistiges Programm gesetzt. Wie in der Gotik
sollte die Kunst wieder einer übermateriellen, übersinnlichen Idee dienst-
bar werden. Was Wunder daher, daß der, wie die Entwicklung zeigt, nie
ganz erstorbene gotische Bewegungsdrang Bewegung war in der Gotik
der Ausdruck des Übematürlichen sich in den Werken der heimischen
Plastik der Gegenreformationszeit neu verstärkte. Ein überaus interessantes
Beispiel für diese Verstärkung, für die sinnfällige Verlebendigung des Ver-
tikalismus, des Bewegungsdranges in die Höhe, bildet der Hochaltar im Dom
zu Gurk Abb. welchen der Gurker Bildhauer Michael Hoenell in den
Jahren 1626 bis 1631 schuf." Schon die gewundenen oder, wie es im
Vertrag heißt, die gefiammten Säulen verkörpern sinnfällig das Aufwärts-
streben. Der I-Iöhendrang wird durch die geschwungenen, ausbauchenden
Gebälke aufgenommen und schließlich durch die Voluten des Aufsatz-
geschosses zur Spitze geführt. Es ist außerordentlich interessant zu sehen,
wie eigenwillig der deutsche Meister in seinem Vertikalismus mit den
erborgten Renaissanceforrnen verfährt. Er läßt das Abschlußgebälk des
zweiten Geschosses in einer Volute sich einrollen, um sich eine stürmische
Bewegungslinie zu schaffen, die er im Aufzug nochmals aufnimmt und mit
elementarer Wucht nach der bekrönenden Spitze hin ausschnellen läßtf
Das köstlichste Produkt des stürmischen Bewegungsdranges des Meisters
ist aber das gesprengte Muschelwerk, eine ureigene Erfindung des Meisters,
um in einer züngelnden, aufflammenden Linienführung die bewegte figuren-
reiche Darstellung der Himmelfahrt Mariens, welche den ganzen Altar-
aufbau sprengt, nach oben abzuschließen. In der Steigerung des aus der
Gotik überkommenen, auf die Betonung des Übersinnlichen gerichteten
Bewegungsdranges liegt die weitere Entwicklung der heimischen Plastik.
Ein recht charakteristisches Beispiel für die Fortbildung des Stiles scheint
mir der schöne Altar in der Stiftskirche zu Hohenfurt in Deutschböhmen
zu sein Abb. welchen der Maler Frater Georgius und der Bildhauer
Frater Leonhardus Wulliman, beide aus dem Zisterzienserkloster Salem in
A. a. 0., Seite 380, Abb. 7.
F. G. Hann, Beiträge zur neueren Kunstgeschichte des Gurker Domes nach archivalischen Auf-
zeichnungen im Archive des Domkapitels zu Gurk" in Carimhir, 86. Jahrgang, I. Band 1896, Seite x52 iT., und
Alfred Schnerich, Die Kunst der Gegenreformation im Dcmsüfte Gurk" im "Jahrbuch der Lenz-Gesellschaft",
1899. Seite m4 B".
Baden, in den ahren
1644 bis 1646 schu-
fenfk Der Altar be-
hält im allgemeinen
den nachgotischen
Aufbau bei, wie wir
ihn vom Mondseer
Altar kennen, aber
die Säulen und Po-
stamente, die Ge-
bälke und Giebel
sind, im Gegensatz
zu Mondsee durch
eine überreiche De-
koration in ihren
tektonischen Funk-
tionen verhüllt. Das
I-Iinaufwachsen die-
ses Altars erscheint
nicht so sehr natür-
lichen Kräften, den
tragenden Säulen
und den lastenden
Balken, zu entsprin-
gen, als vielmehr von
geheimen, unsicht-
baren Kräften aus-
zugehen. In der Fort-
setzung wird die De-
koration der Altäre
und des sonstigen
Rahmens bildlicher
Werke immer rei-
cher, phantastisch
bewegter; immer
deutlicher wird das
Streben, an Stelle
natürlicher materiel-
ler Kräfte das Wir-
ken geheimnisvoller
antimaterieller Kräfte vorzutäuschen. jeder der heimischen Meister findet
neue Formen und Arten, um den mystischen Bewegungsdrang und damit
Abb. 2. Hohenfurt, Stiftskirche, Hochaltar
Ilg und List, Altäre und andere kirchliche Einrichtungsstücke in Österreich", Wien xgoz, x. Ergänzungs-
band, Text zu Nr. 71 73.
das Übersinnliche, das Unmaterielle in seinem Werk
zu steigern.
Die neue Geistigkeit der volkstümlichen deutschen
Kunst, welche in den Dekorationsformen so deutlich
zum Ausdruck kam, entwickelte sich in ganz analoger
Weise auch in den figürlichen Darstellungen. Wie in
der Gotik ist auch in dieser Periode des Wieder-
auflebens eines von der Gegenreformation genährten
religiösen Mystizismus die Bewegungslinie der Figuren
die Interpretin des Übernatürlichen, des Übersinn-
lichen. Aber während in der Gotik das Geistige das
Primäre war, das zu seinem Ausdruck sich notgedrun-
gen menschlicher Formen bediente, war in der neuen
Kunst des XVII. Jahrhunderts, dank der dazwischen-
liegenden Renais-
sanceperiode, das
heißt der Periode des
künstlerischen Stu-
diums der mensch-
liehen Figur, nun-
mehr das Mensch-
liche, das Sinnliche
Abb. 3. Grünau im Almtal,
Oberösterreich, Hochaltar der das Pnmare. UITI das
Pfankirche, Melchisedech Wunderbare auszu
drücken, wird das
Menschliche zum übersinnlichen Affekt ge-
steigert. Die dem natürlichen Menschen
nachgebildete Figur wird zum Träger
menschlicher Empfindungen und Leiden-
schaften, menschlicher Affekte und Eigen-
heiten. Die Menschlichkeit dieser Figuren
wird aber, ebenso wie ihre tektonische Um-
rahmung, durch eine gesteigerte Bewegung
der pompös rauschenden Gewänder, durch
Standmotive, die im Gegensatz zu den Ge-
setzen natürlicher Bewegung stehen, mit
einem Schein der Übernatürlichkeit um-
geben. Schon in den Figuren des zweiten
Jahrzehnts des XVII. jahrhunderts, wie
etwa in den Figuren des im Jahre 1618 ent-
standenen I-Iochaltars in der Pfarrkirche
zu Grünau in Oberösterreich Abb.
sehen wir den Künstler bestrebt, durch
Ehemals in der Stiftskirche zu Kremsmünster.
Abb. 4. Allhansberg, Pfarrkirche, St. Paulus
der Wetterpazron
die wuchtige Drapierung und Bauschung des Gewandes, durch die bewegte,
energische Herausmodellierung des Bartes, durch das Zurückbiegen und
Drehen des Körpers den Ausdruck der Figur zu steigern. Die fortschreitende
Steigerung der Situation der dargestellten Personen durch rauschende
Gewänder und lebhaftere Bewegung läßt sich von da an von Jahr zu Jahr
an der bodenständigen heimatlichen Plastik weiterverfolgen. Als Glied in
der Entwicklungslinie sei unter den unge-
zählten Beispielen die im Jahre 1643 ent-
standene Figur St. Pauli vom Hochaltar
in Allhartsberg bei Seitenstetten angeführt
Abb. 4. Diese Entwicklung bedeutet aber
nichts anderes als den Anfang des Barocks
in unserer Heimat, wobei wir nach allem,
was bisher über die süddeutsche Plastik
dieser Zeit geschrieben wurde, ehrlich er-
staunt sind, daß wir in diesem Werdegang
unserer I-Ieimatkunst keinerlei stilbildende
Einflüsse Italiens anzunehmen gezwungen
oder auch nur berechtigt sind.
Eine der interessantesten Erscheinun-
gen in dieser Periode des Werdens der bo-
denständigenösterreichischenBarockplastik
ist der Bildhauer Thomas Schwanthaler zu
Ried im Innkreis. Er wurde als ältester
Sohn des Bildhauers Hans Schwanthaler zu
Ried geboren und am 5. Juni 1634 getauft
Taufbuch Ried, Band II, Fol. 235. Einige biogra-V
phische Daten über die Mitglieder der Bildhauerfamilie Schwan-
thaler sind bereits enthalten bei Lipowsky, Bayrisches Künst-
lerlexikon", XI. Band rBro, Seite B7; Nagler, Neues all-
gemeines Künstlerlexikon", XVI. Band 1839, Seite 96; Traut-
mann, Ludwig Schwanthalers Reliquien", München 1858;
Müller-Klunzinger, Die Künstler aller Zeiten und Völker", Abb, Ried im lnnkreis, Stadrpfan-kirche,
III. Band 1860, Seite 503; Wurzbaeh, Biographisches Lexi- Hochajlar, Sh Georg
kon", 32. Band 1876, Seite 280 bis 284; Melnitzky, Die
Schwanthaler. Ein Rieder Künstlergeschlecht" 1880, Sonderabdruck aus der Linzer Zeitung". Die wertvollsten
biographischen Nachrichten über die Schwanthaler verdanken wir aber den urn die oberösterreichische Heimat-
kunde hoehverdienten Forschern Dr. Franz Berger und Dr. Wilhelm Gärtner, welche mit der Veranstaltung der
Schwanthaler-Ausstellung in Ried im Jahre rgro zurn erstenmal einen Überblick über das huchbedeutsame
Schatten des Künstlergeschlechts gaben. Ausstellungsbericht und Katalog in Heimatkundeß Veröffentlichungen
der Gesellschaft zur Ptiege der Rieder Heimatkunde, Heft Ried rgr 1. In einer Reihe von Publikationen. so
Dr. Franz Berger, Zur Geschichte der Rieder Künstlerfatnilie der Schwanthaler", Heimatkundw, 4. Heft, Ried
rgu, Dr. W. Gärtner, Notizen zur Geschichte der Schwanthaler", Heimatkunde", 8. Heft, Ried xgr5, Dr.
Gärtner, Schwanthaler-Arbeiten für die Kirche in Lohnsburg", Heimatkundeü 5. Heft, Ried 19m, Dr.
Gärtner, Die Rieder Künstlerfamilie der Schwanthaler", Beilage der Linzer Tagespost" rgro, Nr. 49, 5a etc.,
brachten die beiden Forscher neues wichtiges archivalisches Material zutage. Ihnen gebührt das Verdienst, die
Wiederentdecker der Schwanthaler zu sein. An und für sich hätte ich es vorgezogen, in dieser Arbeit, die sich mit
Fragen der Stilentwicklung befassen will, nur auf die zitierten ausgezeichneten Arbeiten zu verweisen. Der Umstand
aber, daß die genannten Publikationen vergriffen sind, verpliichtet mich, wenigstens die wichtigsten und interes-
santesten biographischen Daten in meiner Arbeit zu wiederholen. Archivalische Daten, bei welchen keine andere
Quelle angegeben ist, haben daher als den genannten Arbeiten Dr. Bergers und Dr. Gärtners entnommen zu gelten.
Vater Hans Schwanthaler dürfte um 1632, als die Schweden nach dem
Siege bei Rain plündernd und sengend Südbayem durchzogen, aus seiner
schwäbischen Heimat nach Ried geflohen sein, wo er sich als Biltschnizler"
niederließ und am 24. Oktober 1633 die Junckhfrau Catharina, des erbaren
Christoph Oeberls, hofvischers zu Troschburg eheliche Tochter" heiratete.
Hans Schwanthaler übte seinen Beruf in Ried 24 Jahre lang aus. Arbeiten
von ihm sind nur archivalisch feststellbar; nichts hat sich erhalten. Als
Hans Schwanthaler Schwabenthaler am 20. November 1656 starb, hinter-
ließ er eine Witwe und vier Kinder Thomas geboren 1634, Rosina
geboren 1636, Johann geboren 1637, Maria geboren 1639.
Abb. 6. Ried im Innkreis, Stadtpfarrkirche, Floriani-Altar
Thomas übernahm als 22 jähriger
Jüngling die väterliche Werkstätte.
Es mag für den jungen Meister nicht
allzu leicht gewesen sein, sich sein
tägliches Brot zu verdienen. Wir
erfahren zunächst nur von kleinen
unbedeutenden Aufträgen für die
Kirchein Eitzing, so 1657 eine Krippe
für 71,1, Gulden und 1660 Bildhauer-
arbeiten zu dem neuen Annenaltar
für 24 Gulden. Im Jahre 1661 endlich
fiel ihm ein großer Auftrag zu. Den
17. Novembris ist in der Ratssession
der Marktgerneinde Ried wegen vor-
habender Machung des neuen Chor-
altars deliberiert und geschlossen
worden daß erstlich, soviel die Bild-
hauerarbeit belangt, selbige der
Thoman Schwabenthaler, lnwohner
und Bildhauer allhie, machen soll,
doch mit dieser Kondition, daß, wenn
er ein groß oder kleines Bild machen,
welches tadelhaft wäre, er selbiges
verbessern oder ein anders Bild von
neuem machen sollte. Daß man nun
aber dessenthalb der Notdurft nach
versichert sein möge, haben ihr wohl-
erwürdigen Herr Pfarrherr Johann
Jakob Haurapp für ihn Schwaben-
thaler hierum gutgesprochen und
sich schriftlich zu verobligieren er-
klärt". Es bedurfte also der weit-
gehenden persönlichen Fürsprache
und Bürgschaft des Pfarrherrn, um
dem 27 jährigen Meister das Werk zu verschaffen. Die vorsichtigen Vertrags-
bestimmungen lassen erkennen, daß man zu dem jungen Bildschnitzer kein
allzu großes Vertrauen hatte. Der Hochaltar steht heute noch in der Pfarr-
kirche zu Ried. Mit diesem Werk wird uns zum erstenmal die künstlerische
Persönlichkeit Schwanthalers faßbar. Der Altar zeigt die konventionellen
Formen der Altarwerke aus der Mitte des Jahrhunderts; es ist der aus der
Form des gotischen Schreines herausgewachsene Aufbau der deutschen
Renaissance; nur die kräftigeren Profilierungen der Gesimse, die über-
quellenderen Ausbauchungen der das Gebälke stützenden Konsolen, die
kraftstrotzenderen Segmentgiebel an Stelle der leichteleganten Flachgiebel
und schließlich das schwerflüssig in die Höhe kriechende Rollwerk, welches
den seitlichen Abschluß bildet, verraten die Anfänge des Barockstils, der im
Altarbau an Stelle
des tektonisch kla-
ren Aufeinander-
schichtens von
Bauteilen, wie es
die Renaissance
übte, ein Wuch-
ten und Wachsen
von Kräften vor-
täuscht, die den
natürlichen Bau
des Werkes ver-
gessen lassen sol-
len. Die seitlichen
Figuren St. Mi-
chael und St. Ge-
org Abb. er-
innern an die üb-
lichen gotischen
Schreinwächter,
als deren Nach-
kommen wir
schon die ähn-
lichen Figuren des
Mondseer Altars
kennen lernten.
Entwicklungs-
geschichtlich ha-
ben sich diese
Figuren Schwan-
thalers, ebenso-
wenig wie die am Abb. 7. Ried im Innkreis, Stadtpfarrkirche, Floriani-Altar, Detail
Aufsatzgebälk aufgestellten Sta-
tuen der Heiligen Stephan und
Laurenz, kaum wesentlich von
der Figur St. Pauli in Allhartsberg
Abb. entfernt, nur daß die
Gestalten gedrungener, die Be-
wegungen bombastischer, die Ge-
wanddrapierungen schwerflüssiger
erscheinen. In der starken Falten-
häufung des Mantels, in der ver-
suchten Aufkräuselung der Man-
telränder, in der spiraligen Dre-
hung der über den Hamisch ge-
bundenen Schärpe siebt man die
Symptome des in diesen Figuren
zum Durchbruch ringenden Be-
wegungsdranges Abb. 5. Quali-
tativ erheben sich die Figuren nicht
über die Leistungen eines ge-
schickten Handwerkers. Im Jahre
1665 war der Altar, wie eine In-
schrift besagt, vollendet. Während
seiner Arbeiten am Hochaltar
lieferte Schwanthaler für die
Abb. 8. Ried im Innkreis, Stadlpfarrkirche, Floriani-Allar, Peter und Pau1sKi1-che in
St. Joachim
verschiedene Arbeiten, so eine
Kripperldarstellung der Flucht nach Ägypten für Gulden 30 Kreuzer und
einen Heiligen Geist auf das heilige Fest Pfingsten für Gulden.
In den folgenden Jahren hatte der zyjährige Meister schwere Kämpfe zu
bestehen. In Ried entstand ihm in dem um einige Jahre jüngeren Bildhauer
Veit Adam Vogl eine gefährliche Konkurrenz. Vogl war der Sohn des Rieder
Bildhauers Ludwig Vogl; er war erbeingesessen in Ried, Bildhauer und
wohlbestallter Weinwirt zugleich, während Schwanthaler eben nur die un-
angesessene Person" war. Vogl erhielt daher auch den bedeutendsten Kunst-
auftrag, den der Rieder Rat damals, 1665, zu vergeben hatte, nämlich die
Herstellung des Dietmair Anhanger-Bildnuss" für den Brunnen am Markt-
platz,"' eine nüchterne Arbeit, stilistisch und qualitativ den Schwanthaler-
schen Ritterheiligen des Hochaltars nahe verwandt. Schwanthaler wehrte
sich mit aller Energie gegen den unbequemen Nebenbuhler. Am 3. Jänner
I668 brachte er sogar beim Rate des Marktes Ried eine Klage gegen Vogl
ein. Er erklärte die Tätigkeit Vogls als einen Eingriff in seinen Beruf, wo-
durch er ihm seine Nahrung merklich entziehe". Schwanthaler verlangte,
der Rat möge dem Vogl das Bildhauergeschäft aberkennen, denn Vogl sei
Photographie Reißenstein Nr. 5237.
alleinig auf die Wirtschaft hin Bürger geworden, und daher möge man ihm
auferladen, daß er sich seiner Profession, der Weinwirtschaft, alleinig zu
bedienen schuldig sein soll". Vogl wieder erklärte auf die Klage protzig,
Schwanthaler möge als unangesessene Person? erst einen Bürgen stellen",
dann erst brauche er zu antworten. Doch wolle er mit Vorbehalt seines
Rechtes vorbringen, daß sein Vater Ludwig Vogl sel. über seine erlernte
Kunst einen authentischen Lehrbrief gehabt habe, den er jederzeit vorzeigen
könne. Er selbst habe ebenfalls seine Kunst redlich erlernt. Es sei aber gar
nicht bekannt, wo und von wem Schwanthalers Vater die Kunst gelernt, ob
der oder Thomas Schwanthaler jemals einen Lehrbrief gehabt. Man solle
dem Kläger auftragen, seinen und seines Vaters Lehrbrief in authentica
forma vorzuzeigen." Über den Ausgang des Prozesses ist nichts weiter
bekannt. Vogl übte jedenfalls weiter seinen Bildhauerberuf aus. Die zwei
Konkurrenten wurden zu grimmigen Feinden. Schwanthaler ließ sich sogar
zu Tätlichkeiten gegen den Gesellen Vogls hinreißen, er beschimpfte seinen
Konkurrenten und nannte ihn Frötter und schlimmen Schelmen". Es kam
zu wiederholten Klagen und sogar die Gesellen übertrugen die Streitigkeiten
ihrer Meister aufeinander. Gar manche compromotierliche Personen" ver-
mittelten zwischen beiden, aber heute versöhnten sich die beiden und
schlossen zu Erhaltung guter Nachbarschaft, auch künftiger Fried- und
Einigkeit einen Vergleich"; man erklärte
sogar, man könne voneinander nichts anders
als Ehr, Liebes und Gutes sagen", und bei
nächster Gelegenheit gab es wieder Klagen,
exekutive Pfändungen usf. Nach allem scheint
von beiden Gegnern Schwanthaler der tempe-
ramentvollere Kampfhahn gewesen zu sein,
der sich, wie er selbst gestand, aus vor-
eilendem Zorn und Hitzigkeit" zu Angriffen
verleiten ließ. Er war eben eine impulsive
Künstlematur.
In dieser bewegten Zeit seiner ersten er-
bitterten Konkurrenzkämpfe hat sich Schwan-
thaler, der in seinem I-Iochaltar noch ganz
in handwerklichen Traditionen steckte, künst-
lerisch zur Individualität durchgerungen. Im
Jahre 166g arbeitete er an dem Floriani-Altar
der Pfarrkirche in Ried, den die Brauerzeche
gestiftet hatte Abb. bis 8. Mit diesem
Werk tritt der Rieder Bildhauer als ein Künst-
ler von Rang und Können in die heimatliche
Nach dem Rieder Ratsprotokolle vom r. Oktober 1667,
Fol. xoo, war an diesem Tage bereits an Thomas Schwanthaler
und seine Frau Eva Vorburger das Bürgerrecht verliehen worden. Abb. Mattighofen, Oberösterreich, ehe-
Vgl. Dr. Gärtner in I-Ieirnatkunde", 8. Heft, Seite m6. rnalige Stiftskirche, Hochaltar, St. Paulus
31
Kunstgeschichte ein. Im Aufbau des Altars hält er sich im wesentlichen an
das Schema des Hochaltars, doch die Maße sind proportionierter, die Pro-
file eleganter, die Dekorationsforrnen reicher. Während am Hochaltar die
architektonischen Teile des Altars in der Gesamtwirkung noch vorherrschen,
erscheint dieser Altar nur mehr als ein prächtiges Schaugerüst für die reichen
iiguralen Darstellungen ersonnen. Im Mittelstück des Altars erblicken wir in
dem für Schwanthaler später geradezu charakteristisch werdenden Rahmen
die Darstellung des Marktes Ried im Hochrelief, darüber erscheint auf
Wolken, aus denen Engelsköpfchen lugen, die freiplastisch gebildete Halb-
iigur St. Florians, der Wasser auf den brennenden Pulverturm gießt Abb. 7,.
Schalchen, Oberösterreich, jakobskirche, Die Enthauptung der heiligen
Barbara
Zu Seiten dieses
Reliefs stehen un-
ter Muschelbal-
dachinen St. Jo-
sef und St. Joa-
chim Abb. in
die Nische des
Aufsatzes ist das
Figürchen eines
heiligen Bischofs
eingestellt, den
obersten Ab-
schluß bildet eine
Figur des Schutz-
engels. Diese Fi-
guren bedeuten
nun gegenüber
den Figuren des
Hochaltars und
gegenüber der
Plastik der gan-
zen vorangehen-
den Periode einen
ungeheuren Fort-
schritt. Betrach-
ten wir zunächst
die Mittelgruppe!
Die Darstellung
einer großen pla-
stischen Gruppe
im Mittelfeld hät-
te an und für sich
nichts zu bedeu-
ten. Die soge-
nannte deutsche Renais-
sance hatte ja die Entwick-
lung der großen freiplasti-
schen Gruppendarstellung
ausgebildet, wir brauchen
uns nur etwa an die mäch-
tigen Mittelgruppen der Al-
täre der Ulrichskirche in
Augsburg oder an den
uns schon wohlbekannten
Mondseer Altar zu erinnern.
Aber in solchen Darstel-
lungen wie in Augsburg
und Mondsee schufen die
Künstler doch nur wohlstu-
dierte menschliche Figuren,
die in der Rolle von Heiligen
aufzutreten hatten. Das
Packende lag in der Präch-
tigkeit, in der ebenmäßigen
Schönheit ihrer Erschei-
nung. In dem Mittelfeld des
Floriani-Altars ist aber nicht
mehr die Figur und Hand-
lung des Heiligen an sich
der Gegenstand derDal-Stel- Abb 1x Schalchen Oberösterreich jakobslriirche Die Enthau tun
lungv Sondern das Wunder" der heiligen BzIliaraDetail
bare. Der Pulverturm der
Stadt brennt, die Stadt steht wenige Minuten vor der Zerstörung und da
bricht der Heilige mit Wucht förmlich aus dem Bildgrunde hervor, er
sprengt in der elementaren Urplötzlichkeit seiner Erscheinung den Rah-
men der Bildnische, das Gewand flattert vom Sturm gepeitscht, als hätte
ein Orkan eben den wundertätigen Feuerpatron auf Wolken zur Rettung
herangetragen Abb. 7. Auch die übrigen Heiligenfiguren des Altars
zeigen dieses Streben des Künstlers, das Ungewöhnliche der Erscheinung
zu betonen. Besonders St. Joachim, der Schutzengel und die Bischofsfigur
Abb. und sind in dieser Beziehung sehr gute plastische Leistungen,
während die Figur St. Josefs in Haltung und Gewandbehandlung weniger
befriedigt. Das Übermenschliche, Übermaterielle in der Erscheinung dieser
Figuren wird, wie es in der allgemeinen Kunstentwicklung dieser Periode lag,
durch gesteigerte Bewegung ausgedrückt. Die Figur St. Joachims repräsen-
tiert am besten die Entwicklung Abb. 8. Sie ist in einem leichten Kontra-
post komponiert, die Geste ist bombastisch posiert, das Gewand, das in
schweren Faltenziigen fällt, ist" reich bewegt, der Gewandsaum kräuselt
240
sich auf, zwischen den Beinen häufen sich Falten, um in einer Zickzacklinie
niederzurieseln, die Zipfel des Mantels Hattern heraus, spiralig sich drehend.
Abb. 12. Maria Plain, Wallfahnskirche, JoseFi-Ahar
In den folgen-
den Jahren ist
Schwanthaler im
Mattigtalebeschäf-
tigt. In den Jahren
1670 bis 1676 ar-
beitete er für die
Stiftskirche in Mat-
tighofen. Er liefer-
te die Bildhauer-
arbeiten für den
I-Iochaltar um
6o5Gulden,fürden
Floriani-Altar um
x20 Gulden, für
den Sebastiani-
Altar um 140 Gul-
den und für den
Antoni-Altar um
160 Gulden. Im
Jahre 1676 verfer-
tigte er den Altar
für die neugebaute
Joseü-Kapelle für
200 Gulden. Alle
diese Altäre sind
längst verschwun-
den. Der Hoch-
altar mußte 1780
einem neuen Al-
tar, dessen Gemäl-
de der Münchner
Hofmaler Ignaz
Öfele schuf, wei-
chen. Nur die
Schwanthaler-
schen Figuren der
beiden Apostelfürsten Petrus und Paulus Abb. fanden auch auf dem
neuen Altar, allerdings neu gefaßt und leise überarbeitet, Platz. Sie sind
nach ihrer Verwandtschaft mit den ganz ähnlichen Figuren St. Josefs und
St. Joachims in Ried sofort als Schwanthalersche Arbeiten wiederzu-
kennen. Wir finden an der Figur Pauli Abb. den nämlichen wallenden
Bart, die gleichen sich aufkräuselnden und dre-
henden Gewandränder und Gewandzipfel, die
ähnlichen in Zickzacklinien auslaufenden Falten-
züge zwischen den Beinen, überhaupt die über-
einstimmende Gewandbehandlung wie an der
Figur St. Joachims in Ried Abb. 8. Nur der
Kontrapost der Mattighofener Figur ist freier
und daher wirkungsvoller herausgearbeitet. In-
sofern bedeutet sie einen Fortschritt gegenüber
der Rieder Skulptur. Während seiner Arbeiten
für die Stiftskirche in Mattighofen schloß
Schwanthaler am 25. August 1672 auch den
Vertrag über die Errichtung des I2 Meter hohen
und Meter breiten Hauptaltars für die Barbara-
Kirche in dem benachbarten Schalchen ab. Der
kunstreiche Herr Thoman Schwanthaler, Bür-
ger und Bildhauer zu Ried" verpflichtet sich,
das Bildnis der heiligen Barbara, wie sie von
dem Henker enthauptet wird, samt allen Seiten-
bildnissen, Engeln, Engelsköpfen, Früchten,
Zieraten, Kapitellen, Laubwerk und anderes
aus Lindenholz zierlich zu schnitzen. Die Ent-
Abb. 13. Stift Reichersberg, Grabstein
des Propstes Adam Picbler
Abb. 14. Stift Reichersberg, Grabstein
des Propstes Anton Ernst
lohnung hiefür betrug 350 Gulden. Als man
im Jahre 1804 die St. Barbara-Kirche abtrug,
wurde auch der I-lochaltar niedergerissen und
nur die Figuren der Hauptgruppe fanden im
Vorraum der St. Jakobs-Kirche in Schalchen
klägliche Unterkunft Abb. 10 und n. Dort
können wir heute die ausgezeichneten Figuren
Schwanthalers bewundern. Sie zeigen den
Künstler bereits als Virtuosen des ausdrucks-
vollen barocken Bewegungsstils. Wie von einem
Orkan gepeitscht flattert der Bart des Henkers
zur Seite. In einer mächtigen S-Linie holt der
Körper zum mordenden Schlage aus. Dieser
Linie folgen die schweren zügigen Falten. Die
Ränder des Gewandes aber kräuseln sich wie
von einem Wirbelwind bewegt auf, die Schärpe
dreht sich spiralig in ekstatischen Windungen
und die Enden wirbeln in einem tollen, aus-
gelassenen Faltenstrudel in die Luft. Nicht
besser konnte je von einer auf Übersinn-
liches gerichteten Kunst das Brutale, das Rohe
im Rahmen einer heiligen Szene denn
das Marty-
rium war ja
Gegenstand
der Darstel-
lung-zum
Ausdruck
gebracht
werden. Die
kniende St.
Barbara ist
in starken
Gegensatz
zudemHen-
ker gestellt.
Während
wir in einer
Bewegungs-
orgie von
Raserei das
mordende
Schwert
schon auf-
blitzen se-
hen, sehen
wir in der
Heiligen,
deren Ober-
körper zum
Teil ent-
blößt ist, ein
lebens-
strotzendes,
pralles We-
sen, kernig
Abb. 15. St. Wolfgang am Abersee, Pfarrkirche, Doppelaltar und robust
wiedieMäd-
chen aus der bäuerlichen Heimat des Künstlers. Wo der Mord so nahe ist,
wirkt dieses Wesen doppelt lebensstark. Während die Figur des Henkers
voll Bewegung ist, ist in der Figur Barbaras die Ruhe, die Gottergebenheit
verkörpert. In einem schweren gewundenen Wulst ist das Hemd umgestülpt,
schwerflüssig, aber ohne Pathos, rieselt Barbaras Gewand zu Boden, nur
zwischen den Beinen knicken sich die bei Schwanthaler an dieser Stelle
beliebten Zickzackfalten und nach den Rändern beginnt sich das Gewand
in kleinen Bewegungen zu kräuseln. Es ist nicht der Sturm, der die Gestalt
des I-Ienkers durchtobt, es ist,
als ob ein leises Zittern durch die
Gestalt der Heiligen ginge.
Im Jahre 1674 begann
Schwanthaler die Reihe der
Altararbeiten, die er im Auftrage
verschiedener Benediktinerstifte
für die Wallfahrtskirche in Maria
Plain zu fertigen hatte. Zunächst
schuf er den Engel- oder Josefi-
Altar Abb. 12 im Auftrage des
Stiftes St. Peter. Er erhielt für
die Tischler- und Bildhauerarbeit
laut Quittung vom 21. August
1674 200 Gulden?" Die Statuetten
der Apostelfürsten am Taber-
nakel und die Englein des Auf-
satzes schuf der Salzburger Bild-
hauer Wolf Weißenkhircher der
Jüngere ganz in der Art Schwan-
thalers. Die Hauptiiguren des
Altars, die das Altarbild halten-
den großen Engel, sind gute
Arbeiten Schwanthalers in der
für ihn typischen Art. Wir sehen
wieder die schwer herabi-ließen-
den, an die Körperform sich
schmiegenden, langzügigen Ge-
wänder, die gegen die Ränder
zu sich erregt kräuseln und teil-
weise, in spiraligen Windungen
hinausflattemd, sich von der
Figur lösen. Auch hier wird
durch die Bewegung die Gesamt-
erscheinung in ihrer Wirkung
gesteigert.
243
Abb. 16. St. Wolfgang am Abersee, Pfaxrkirche, Doppelaltar
Detail
In das Jahr 1675 fällt dann die Schaffung des Grabsteines für Propst
Adam Pichler von Reichersberg Abb. 13. Hier wollte der Künstler nur die
lebendige Erinnerung an den Kirchenfürsten festhalten. Transzendentale
Gedanken sollten dieser Grabsteinschöpfung nicht zugrunde liegen, daher
fehlt auch das auffallende Bewegungsmotiv in der Behandlung des Gewandes.
Der Propst sollte so, wie er lebte, dargestellt werden, als ein Mann, der
schwere Zeiten sah, der aber entschieden und entschlossen zu handeln wußte.
Österreichische Kunsttopographie", Band XI Seite 346 47, 358, Fig. 31g,
Abb. 17. St. Wolfgang am Abersee, Pfarrkirche,
Doppelaltar Detail
Energisch sind seine Züge, fest sein
Blick. In der einen mageren, stark
geäderten Hand hält er die Bulle, in
der die Rechte des Stiftes verbrieft
sind, die andere Hand Weist gegen
die Brust; aus der Geste spricht ein
kraftvolles Ich. Zu der energischen Er-
scheinung passen die harten, scharfen
Falten in ihrem geraden, eckigen Ver-
lauf. An dieser Stelle muß auch der
zweite Grabstein besprochen werden,
den Schwanthaler 1685 für Propst
Anton Ernst von Reichersberg schuf
Abb. I4, denn der Stein hängt kom-
positionell enge mit dem ersten zu-
sammen und beide können in ihrer
trefflichen Charakterisierungskunst nur
bei einer Gegenüberstellung verstan-
den werden. Propst Anton war im
Leben ein Mann voll Frömmigkeit,
dessen Wirken sich ganz auf reli-
giöses Gebiet erstreckte. In einer sanft-
mütigen, leidenschaftslosen Haltung
läßt ihn der Künstler sich gegen ein
Tischchen lehnen. Sein Blick träumt
in überirdischen Regionen. Weich und
voll ist das Gesicht, weich die polstrige
Hand, die das Gebetbuch hält. Die
Falten verschwimmen in Reiiex-
lichtern und gleiten in sanften, leich-
ten Bogenlinien ab. Die Grabsteine
zeigen Schwanthaler als einen Künst-
ler von hohem Können; sie sind ein
Schulbeispiel für die Funktion des
barocken Faltenstils als Charakterisie-
rungsmittel.
Das Jahr 1675 brachte dem Meister den Auftrag zu dem bedeutendsten
Werke seines Lebens, dem herrlichen Doppelaltar in der Kirche zu St. Wolf-
garig am Abersee Abb. I5 bis xg. Der Direktor des oberösterreichischen
Landesarchivs in Linz, Dr. J. Zibermayr, entdeckte im oberösterreichischen
Landesarchiv den wichtigen Vertrag und überließ mir denselben zur erst-
maligen Veröffentlichung. Der Vertrag lautet Wir Coelestinus Von Gottes
Genaden Abbte zu Monnsee ect. Bekhennen hiemit, dass heindt zu Endt-
gesetzten dato Wür mit Maister Thoma Schwantaller Bürger und Bilthauer
"TJ
zu Riedt in Bayrn dahin geschlossen, dass derselbe Uns solle ainen Altar in
Unser Gottshaus und Khürchen St Wolfgang nach formb der vorgewissenen
Visier Schniezen und aufrichten, Solcher Gestalten dass gemelter Altar
Schöne Sauber Schwarzgepaist, die Bilder und wass sonnsten von dem
Mahler zu fassen, von Gueten Augspurgerischen fein Goldt gefast und dieser
Anno 1676 in der Fassten Verförttiget und noch vor Ostern selbigen Jahrs
völlig aufgericht werde; Hingegen Wollen wür Ime Schwantaller für seine
Arbeith gedingtermassen bezahlen Sibenhundert und fünffzig Gulden, dem
Schreiner Maister Marthin Wöber zwayhundert und Achtzig Gulden, dem
Maller aber Francisco Gaman Sibenhundert Gulden, Alles zusamben Siben-
zechenhundert und dreissig Gulden, daran sie alberaits neben dess Leykhauff
Vermög aines Quittungs Scheindl empfanngen haben Ainhundert Gulden.
Zu Urkundt dessen seindt zway gleichlautende Spaltzötln aufgericht, Von
baiden thaillen undterschriben und geförttiget worden. Actum Monnsee, den
17. Februar Anno 1675. Coelestinus Abbt zu Monsee. Thomas Schwantaller
Bilthauer zu Riedt. Franciscus Gamann Maller zu Riedt. Martthin Weber
Dischler zu Riedt." Der Doppelaltar zu St. Wolfgang trägt nun tatsächlich
die Jahreszahl 1676 und läßt, wie wir
noch sehen werden, in den Einzelheiten
seiner Ausführung keinen Zweifel be-
stehen, daß wir es mit einem Werk und
zwar mit demHauptwerkThomasSchwan-
thalers zu tun haben. Der Aufbau des
Altars als Doppelaltar ist äußerst originell
Abb. 15. Die Altarmensa ist durch einen
breiten Pfeilersockel zweigeteilt. Auf drei
Postamenten ruhen mächtige gewundene
Säulen, welche die prächtigen Reliefdar-
Stellungen des Schreins fiankieren. Ebenso
wie bei seinem Floriani-Altar in Ried wählt
Schwanthaler medaillonartig gerahmte
Bildnischen, aus welchen die freiplastisch
gearbeiteten Figuren, den Rahmen spren-
gend, hervortreten. Im linken Medaillon
erblicken wir die Heilige Familie Abb. 16,
im rechten den heiligen Wolfgang, umge-
ben von Englein, die seine Symbole tragen
Abb. 7. Über denReliefmedaillons schwe-
ben Engelskinder, welche Kartuschen
halten, in welchen die Jahreszahl der
Erbauung des Altarwerkes verzeichnet ist.
Den seitlichen Abschluß des Altars bilden
die auf mächtig ausbauchenden, in goti-
Abb. 18. St. Wolfgang am Abersee, Pfarrkirche,
scher Art sich aus der Predella heraus- Doppelaltar,Snscholastika
32
schwingenden Konsolen stehenden Figuren St. Benedikts und St. Schola-
stikas Abb. I8, über ihnen schließen schönlinige Baldachine ab. Der zwei-
geteilte Schrein wird durch die reiche Aufsatzkomposition zusammen-
gefaßt Abb. Ig. In der Mitte, von zwei gewundenen Säulen flankiert,
erblicken wir, wieder in einem Medaillonrahmen, die Gruppe der Krönung
Mariens, zu beiden Seiten stehen unter Baldachinen St. Johann Baptist und
St. Christoph, seitlich sitzen auf kräftig geschwungenen Voluten große Engels-
figuren. Das Mit-
telfeld des Auf-
satzes ist von den
Wappen des Stif-
tes und des Abtes
bekrönt und dar-
übersehenwirden
heiligen Michael,
der den Teufel in
den Abgrund der
Hölle stürzt. Im
Aufbau sind die
gotischen Remi-
niszenzen noch
unverkennbar; es
ist die Grundform
des goüschen Al-
tarsmitseinemBe-
wegungsschwung
nach oben,
welcher in den
Engelstiguren, die
auf den Giebeln
sitzemundschließ-
lich in der jäh
Abb. xg. st. Wolfgang am Abersee, Pfarrkirche, Doppelaltar Detail aufschnenenden
Figur St. Michaels
ausklingt. Diese Steigerung nach oben läßt sich in den figürlichen Dar-
stellungen des Altars weiterverfolgen. Die Figuren der Medaillonreliefs des
Schreines sprengen zwar den Rahmen und drängen aus dem Bildfeld, aber
doch nicht mit solcher Wucht wie die Figuren des Aufsatzreliefs. Auch in
der Gewandbehandlung ist das Bewegungsmotiv in den Reliefs des Schreines
noch mit Maß verwendet; nur für den Christusknaben und für St. Wolfgang
sind kräftigere Akzente benützt. In der Darstellung der Krönung Mariens
aber im Aufsatz und in der Gruppe des teufelüberwindenden heiligen
Michael findet der Künstler in der Bewegungsdarstellung ein nicht mehr zu
überbietendes Fortefortissimo. In kaum einem zweiten Werk deutscher Kunst
"'11
wird die transzendentale Funktion
der Bewegungsmotive deutlicher
als gerade an diesem Altar.
Der Doppelaltar zu St. Wolf-
gang bedeutet den Höhepunkt der
künstlerischen Entwicklung des Mei-
sters. In ihm erschließen sich uns
die Quellen zur Erkenntnis seiner
Kunst. Über die Quellen seiner
Dekorationskunst, seiner Beherr-
schung der menschlichen Figur in
allen Stellungen, Posen und Gesten
kann keine Unklarheit bestehen. Er
ist darin der allgemeine Vertreter
der aus der sogenannten deutschen
Renaissance herauswachsenden
deutschen Plastik. Schwerer sind
die Wurzeln des von ihm so virtuos
beherrschten Bewegungsstils bloß-
zulegen. Man war bisher gewohnt,
den Bewegungsüberschwang des
heimischen Barocks schlechtweg als
Nachahmung beminesker Kunst zu
empfinden, dies um so unbedenk-
lieber, als heute noch Ziemlich Abb. 2a. München, Nationalrnuseum, Relief des heiligen
allgemein das Deutschland des Christophorus und eines attributlosen Heiligen
XVII. Jahrhunderts künstlerisch
nur als eine Provinz Italiens an-
gesehen wird. Italienische Kunst
hat nun Schwanthaler aus eigener
Anschauung gewiß nicht gekannt.
Seine mißlichen finanziellen Ver-
hältnisse banden ihn an die hei-
matliche Scholle, er niußte in
Ried redlich schaffen, um Weib
und Kind zu ernähren. Gerade
in der Periode seines Kampfes um
künstlerischen Eigenwert, also in
der Zeit zwischen 1665 und 1669,
können wir ihn ständig in Ried
nachweisen, denn 1665 wird ihm
in Ried sein zweiter Sohn ge-
Abb. 2x. München, Nationalmuseum, Madonna, nieder-
bayrisch, um 1530 boren, 1667 erwlrbt er das Rieder
1-1...
Bürgerrecht und 1668 prozessiert er mit Vogl. Immerhin könnte er aber aus
Werken italienischer Meister, die in der kaiserlichen Residenzstadt zu sehen
waren, aus Stichen und Zeichnungen den fulminanten Bewegungsstil der
Italiener, insbesondere seines noch lebenden Zeitgenossen Bernini kennen
gelernt haben. Vergleichen wir aber italienische Werke mit den Schöpfun-
gen unseres Meisters, so stellen wir fest, daß das einzige Gemeinsame, das
sie verbindet, das Streben ist, Übersinnliches
durch höchste Bewegungssteigerung zum
Ausdruck zu bringen. Das ist aber nichts
für die italienische Kunst allein Eigentüm-
liches, sondern allgemeine Kunsttendenz,
die letzten Endes dem Norden geistig näher-
steht als dem Süden. Wenn wir den da-
maligen Bewegungsstil zu analysieren ver-
suchen, so finden wir, daß der Bewegungs-
drang der italienischen Werke sich aus dem
Innern dieser Werke heraus entwickelt;
das Gewand ist malerisch durcheinander-
geworfen, zerwühlt, aber wir erkennen nicht,
woher die stürmische Unruhe kommt, wo
der Ausgangspunkt der manierierten Be-
wegtheit liegt. Betrachten wir die Schwan-
thalerschen Figuren, so sehen wir eine
gänzlich andere Darstellung der Bewegung.
Bei ihnen verläuft das Gewand in schweren,
zügigen Falten, die sich meist an die runden
Körperformen schmiegen. Die Bewegtheit
erreicht der Künstler dadurch, daß er das
Gewand von den Rändern her aufkräuselt
und umstülpt, daß er Gewandzipfel und
Schärpen spiralig dreht und wegfiattem läßt,
Am u. Tmusnhz ab Landshut, Schlot daß er mitten in dem schweren Faltenfluß
kapelle,HolzfigurdesheiligenChristophorus willkürliCh eine Gewandpartie herausgreift,
die er im tollsten Linienspiel zerknittert
und zerknüllt. Die Bewegung seiner Figuren ist nicht im Innersten der
Figuren begründet, sie stehen gleichsam in einem tosenden Sturm, der das
anliegende Gewand an den Körper preßt, die freitiatternden Gewandteile
durchwirbelt, der die einzelnen willkürlich gewählten Faltenzüge gegen-
einanderpeitscht, so daß sie zerknüllt, sich windend und überstülpend,
gegeneinanderstoßen. Für diese Art der Gewandbehandlung finden wir bei
den Italienern, aber auch bei den belgischen Plastikern keine Parallelen.
Werfen wir auch noch einen Blick auf die spanische Plastik des
XVII. Jahrhunderts! Spanien, das Vaterland des heiligen Ignatius von
Loyola, war der Brennpunkt der katholischen Gegenreformation und die
spanischen Jesuiten hatten
weitgehenden EinHuß auf
die Gestaltung kirchlicher
Kunst geübt. Ebenso wie die
bodenständigen deutschen
Plastiker hatten auch die
spanischen Bildhauer an der
Kunstübungfestgehalten, ihre
Statuen und Reliefs vorzugs-
weise aus Holz zu schnitzen,
sie zu bemalen und zu ver-
golden. Diepolychrome Bild-
nerei Spaniens dieser Zeit be-
inhaltet ein Glanzkapitel euro-
päischer Kunstgeschichte!"
In der Tat erinnert nun eine
Gruppe, wie etwa Schwan-
thalers Enthauptung der hei-
ligen Barbara Abb. 10, für
den ersten Moment an Werke
Abb. 24.
Dingolting, Pfarrkirche. Holzfigur des
heiligen johannes Evangelist
Abb. 23. Ingolstadt, Beichtigerhaus. Anna-Selbdritr-Relief von
Matthäus Kreniß
spanischer Kunst des XVII. Jahrhunderts. Bei
genauem Vergleich reduziert sich aber der ver-
meintliche Zusammenhang im wesentlichen dar-
auf, daß Schwanthalers Gruppen vielfach einen
ähnlichen Verismus, eine oft geradezu verblüf-
fende Naturtreue anstreben wie die spanischen
Bildhauer in ihren Figuren. Und doch ist der
spanische Verismus grundverschieden von dem
der deutschen gleichzeitigen Kunst. Die spa-
nischen Meister kopieren die menschliche Er-
scheinung in kaum zu überbietender Treffsicher-
heit. Juan Martinez Montafies verbildlicht den
jungfräulichen Liebreiz seiner Madonnen mit
der nämlichen Virtuosität, wie etwa sein Schüler
Alonso Cano mit nervenerschütterndem Realis-
mus das Haupt des geköpften Täufers formt.
Aber die Darstellung des Übersinnlichen, des
Vgl. Marcel Dieulafoys reichillustriertes Werk La Staxuaire
polychrome en Espagne", Paris 1908.
.5-
Übernatürlichen als solchen finden wir in der spanischen Plastik des
XVII. Jahrhunderts nicht in gleicher Weise angestrebt und erreicht wie bei
den Italienern und Deutschen der nämlichen Zeit. Der Bewegungsstil als
Interpret transzendentalen Geschehens tritt nicht mit gleicher Vehemenz
auf wie bei diesen. Unter diesen Gesichtspunkten betrachtet, mögen nun
Schwanthalers Figuren in ihrem Verismus mit einer von Spanien in die
kirchliche Gegenreformationskultur eingeführten Kunstströmung ganz all-
gemein in Zusammenhang gebracht werden können, in ihrem eigenartigen
Transzendentalismus aber, insbesondere in der formalen Eigenart ihres
Bewegungsstils haben sie mit der spanischen Bildnerei des XVII. Jahr-
hunderts gewiß nichts zu tun.
Schwanthaler mußte die Anregung zu seinem eigenartigen Bewegungs-
stil unabhängig von italienischer, flämischer und spanischer Kunst gefunden
haben, und wenn wir nach Kunstwerken suchen, die seinem künstlerischen
Empfinden am nächsten stehen, so kommen wir zu den Schöpfungen der
spätestgotischen Kunst des zwei-
ten und dritten Jahrzehnts des
XVI. Jahrhunderts. Die Be-
hauptung erscheint für den er-
sten Augenblick paradox, doch
je mehr wir Werke dieser Zeit
zum Vergleich heranziehen,
desto enger werden die Zusam-
menhänge, und es kann kein
bloßer Zufall mehr sein, daß un-
ter allen spätestgotischen Skulp-
turendieSchöpfungendernieder-
bayrischen Schnitzerschule am
deutlichsten auf Schwanthaler
weisen, also gerade jene Werke,
die der Meister in seiner Heimat
täglich sehen und studieren
konnte. Die Charakteristik
des Schwanthalerschen Ge-
wandstils, die wir eben heraus-
zuarbeiten versuchten, deckt
sich vollkommen mit der Cha-
rakteristik des Faltenstils die-
ser niederbayrischen Schnitzer-
schule, deren Werke unter
anderen Philipp Maria Halmi in
Vgl. unter den vielen Publikationen
Halms etwa die Monographie über "Stephan
Abb. 25. Maria Plain, Wallfahrtskirche, St. Benedikt-Altar, Rottaler", München 1908, und die zahlreichen
St. Maurus Museumsberichle im Münchner jahrbuch der
verdienstvollerDetailarbeitaus
der Vergessenheit riß. Wenn
wir Figuren wie den heiligen
Christoph des bayrischen Na-
tionalmuseums Abb. 20, die
Madonna um 1530 ebendort
Abb. 21, den Christophorus
aus der Schloßkapelle auf
der Trausnitz ob Landshut
Abb. 22, das Relief der heili-
gen Sippe in IngolstadtAbb.2
und etwa noch den Evan-
gelisten Johannes in der Pfarr-
kirche zu Dingoliing Abb. 24
zum Vergleich heranziehen,
so können wir an ihnen allein
schon die wesentlichen Eigen-
tümlichkeiten des Schwan-
thalerschen Gewandstils wie-
der erkennenf" Stellen wir
Figuren wie den Christoph der
Trausnitz Abb. 22 oder jenen
desNationalmuseumsAbb.2o
mit der Schwanthalerschen
Figur des Henkers in Schal-
chen Abb. 10 oder mit sei-
nen Figuren St. Michaels oder
St. Christophorus vom Auf-
satz des Wolfganger Altars
Abb. 19 zusammen, dann
sehen wir die nämlichen
mächtig ausladenden Silhouet-
ten, die gleichen kühn ponde-
rierten Gestalten; sogarDetails
dünken uns übereinstimmend,
wie etwa der wallende, sturm-
IJL
5.1.4.- ..-
Abb. 26. Maria Plain, Wallfahnskirche, Heilige Sippe-Altar
gepeitschte Bart oder die gedrehten hinausflattemden Gewandzipfel, deren
Enden sich wie auseinanderspringendes gerolltes Papier entfalten. Beim
bildenden Kunst". Einige gute Abbildungen VOn aus dem Innviertel stammenden spätgotisehen Plastiken dieses
Kunszkreises bringt auch Ubell in seinem Aufsatz Die Sammlung gotischer Holzskulpturen im Museum
Francisco-Camlinum in Linz" in Kunst und Kunsthandwerk" 1912, Seite 137 bis 164. Vgl. insbesondere
Abb. 17, 22, 25, 30, 32.
Die Abbildungen 20 bis 24 sind Arbeiten Ph. M. Halms entnommen. und zwar Abb. 20, 22, 24 dem Buch
Stephan Rottaler", München 1908, Abb. dem Aufsatz Die Neuerwerbungen des bayrischen Nationalmuseums
Januar-Mai 1913" im Münchner jahrbuch der bildenden Kunst", 1913, Abb. 23 dem Aufsatz "Die Türen der
Stiftskirche in Altötting und ihr Meister" in Die christliche Kunst" 1904 05.
Anblick der Hatternden zer-
knüllten Schärpe des Henkers
in Schalchen Abb. 10 oder
jener der Michaelsiigur in Wolf-
gang Abb. 19 erinnern wir uns
an die Gewandbehandlung der
Madonna um r53o Abb. 2x.
Der Wulst des umgestülpten
Hemdes der heiligen Barbara
Abb. 10 kehrt in den Hattern-
den Mantelenden des Münchner
Christophs Abb. 20 wieder. Die
Art, wie der gotische Künstler
den Gewandbausch der Din-
goliinger Evangelisteniigur zer-
knüllt Abb. 24, ist den eigen-
tümlichen Zickzacklinien nahe
verwandt, welche wir fast regel-
mäßig zwischen den Beinen
der Schwanthalerschen Figuren
niederrieseln sehen Abb. 10
und 18. Und wenn wir die
eigentümliche Art sehen, wie
Meister Kreniß die Gewand-
säume wellenartig kräuselt und
bewegt Abb. 23, dann fällt uns
sofort die ähnliche Behandlung
des Gewandsaumes ein, die wir an der Gottvaterfigur in St. Wolfgang fest-
stellen Abb. xg. Ist denn der wirbelnd wehende Schleier Mariens, aus dessen
Falten Engelsköpfchen lugen, nicht durch und durch spätgotisch gedacht?
Wozu eine weitere Aufzählung von endlos vermehrbaren Einzelheiten! Ein
Resultat steht fest, daß nämlich der Schwanthalersche Gewandstil weder
mit italienischen noch niederländischen noch spanischen Vorbildern in
Einzelheiten etwas gemeinsam hat, sondern daß seine nächste Parallele in
dem spätgotischen Stil der niederbayrischen Schnitzer zu finden ist. Jene
große Bewegung der bayrischen Plastik, die gleich einem Sturmwind, von
dem man nicht weiß, von wannen er kommt, in der letzten Phase der aus-
gehenden Gotik einsetzt und in mächtig ausladenden Silhouetten, kühn
ponderierten Gestalten und stürmisch fiatternden Gewändern einem hoch-
gradig gesteigerten Lebensgefühl Ausdruck verleihtß" Endet in Thomas
Schwanthaler, der dem nämlichen künstlerischen Boden entwachsen ist,
nach eineinhalb Jahrhunderten eine neue Fortsetzung. Dazwischen aber lag
Abb. 27. Gmunden, Sradtpfarrkirche, Hochaltar, Mittelgruppe
Georg Habich, Hans Leinberger, der Meister des Moosburger Altars" im Münchner jahrbuch der
bildenden Kunst", rgoü, Band Seite x24.
"33
für den deutschen Schnitzer
die Schule der deutschen
Renaissance, der Periode
des künstlerischen Erfas-
sens des menschlichen Kör-
pers. Daher erscheinen auch
Schwanthalers Figuren le-
benswahrer, warmblütiger,
dramatisch schlagkräftigen
daher erscheint ihr Gewand
stofflicher, sinnlicher als
jenes der zum Vergleich
herangezogenen spätest-
gotischen Figuren. Ein
Künstler voll Individualität
wie Schwanthaler hat in der
Kunst seiner Heimat eine
Anregung empfangen, er
hat sie verwertet, weil sie
dasjenige ausdrückte, wo-
nach er selbst rang, er hat
sie in sich verarbeitet nach
dem Geiste seiner Zeit und
nach seinem eigenen künst-
lerischen Empfinden.
Mit der Herausarbei-
tung dieser Feststellung, die
falls Sie als richtig an- Abb. 1a. Gmunden, Stadtpfarrkirche, Hochaltar Detail
erkannt wird geeignet
wäre, unsere bisherigen Ansichten über die Entwicklungsgeschichte der
heimatlichen Plastik der zweiten Hälfte des XVII. Jahrhunderts und damit
auch unsere Meinung über die Grundlagen der Blüteperiode süddeutscher
Plastik im XVIII. Jahrhundert gründlich zu ändern, ist der wesentliche
Zweck dieses Aufsatzes erfüllt. Es obliegt mir nur mehr, die Lebens-
geschichte des Meisters abzuschließen.
In die Jahre 1675 und 1676 fallen neben den umfangreichen Arbeiten
für den Doppelaltar in St. Wolfgang auch die Herstellung des St. Benedikt-
Altars und des Heiligen Sippe-Altars in Maria Plain. Ersteren Abb. 25
spendete das Stift Kremsmiinster; Schwanthaler erhielt am 12. Jänner 1676
für die gelieferte Bildhauerarbeit zu diesem Altar 250 Guldenß" Wegen
des Verferttigten Lambacherischen Altar auf dem Plain" Abb. 26 erhielt
Schwanthaler am 12. Dezember 1676 pactiertermassen Zwayhunder Fünffzig
gulden, fir die gsöln und Dischler drinkhgelt Zway gulden funtfzehn khreizer,
"Österreichische Kunsttopographie", X1 Seite 348 49 und 358559, Fig. 380.
33
Zusammen Zwayhundert Zway und fünffzig gulden Fünffzehn khreizer, Sage
252 fl. 15 kh." Beide Altäre sind im Aufbau genau übereinstimmend."
Die Figuren sind tüchtige Arbeiten in Schwanthalers bekannter Art
Abb. 25 und 26. 1677 arbeitete Schwanthaler für die Kirche in Arnsdorf
im Salzburgischen, für deren Hochaltar er das St. Catharina und Barbara-
bildnus, die Engl auf und sambt den Rossnen, item die herunter hengenden
Fricht, Englköpf und anderes" um 100 Gulden verfertigte; außerdem schuf
er noch das Kruzifix am Hochaltar, das Bildnus des hl. Felix für die obere
Rundung", sowie Kopf, Hände und üße zu einer St. Josefs-Statue, wofür
er zusammen 27 Gulden bezog, und schließlich erhielt er am 29. März 1679
wieder Gulden für geschnittene Bischöfe samt Engeln". Alle diese
Arbeiten sind verschollen?"
In das Jahr 1678 dürfte der Vertragsabschluß wegen Schaffung des für
die Gmundner Pfarrkirche bestimmten Hochaltars fallen, welchen der Wirt
von Mehrnbach, Christoph Thiermayr, zu Georgi 1679 nach Gmunden
führte. Der Altarbau selbst ist
nicht mehr vorhanden. Der heutige
Hochaltar stammt aus dem XVIII.
Jahrhundert und dürfte, nach der
Ähnlichkeit seines Aufbaues mit
dem Hochaltar in Maria Taferl
zu schließenyi- gelegentlich der
Kirchenrenovation der Jahre 1717
bis 1723 nach Plänen des Linzer
Baumeisters Johann Michael Brun-
ner errichtet worden seinrH In
dem tempelartig gestalteten Mittel-
feld des Altars. wurde die vom
alten Altar stammende Schwan-
P. Augustin Rabensteiner, Notizen
über den Lambacher Altar in Maria Plain bei
Salzburg" in Christliche Kunstblätter", 1917,
Seite 71.
Beschreibung siehe Österreichische
Kunsttopographie", XI Seite 358 59, beziehungs-
weise 360561.
Österreichische Kunsnopographie",
X2, Seite 377 7B.
"Österreichische Kunsttopographie",
IV, Tafel I1, Text Seite 93 94 und roz.
1-1- Nach Dr. F. Krackowitzer, Geschichte
der Stadt Gmunden", II. Band, Seite 82, erfolgte
die damalige Renovierung der Stadtpfarrkirche
unter Oberleitung J. M. Brunners. Brunner hat auch
den Plan zum Hochaltar in Maria Taferl zusammen
mit dem Bildhauer J. M. Götz aus Passau aus-
gearbeitet. Vgl. Österreichische Kunsttopogra-
phie", IV, a. a. 0., und Dr. Rudolf Guby, Passauer
Bildhauer des XVIII. Jahrhunderts", I. Band, Pas-
Abb. 29. Gmunden, Stadtpfarrkirche, Hochaltar Detail Sau 1918.
thalersche Gruppe der Anbetung der heiligen drei Könige aufgestellt
Abb. 27 bis 30, Die Figuren sind voll prächtiger Lebenswahrheit; sie treten
fast wie lebend aus dem Altar heraus und nähern sich so der Wirkung spa-
nischer veristischer Plastik. Die Gruppe ist für die psychologische Erfassung
des barocken Bewegungsstils überaus illustrierend. Der Künstler wollte hier
kein übematürliches Geschehnis darstellen, sondern eine liebliche, anmutige
Szene aus dem Leben Jesu. Die Könige aus dem Morgenlande kommen,
um das Kindlein anzubeten. Damit war keine Veranlassung gegeben, den
Bewegungsrhythmus der Figuren zum übersinnlichen Affekt zu steigern.
Ruhig, voll sinnfälliger Natürlichkeit ist der Faltenfall der überaus prächtigen,
farbensatten Gewänder wiedergegeben; nur an den Gewändern Mariens
und an dem Lendentuch des Gotteskindes finden wir, nur leicht betont, jene
gesteigerten Bewegungslinien, welche dem Natürlichen den Schein der
Übersinnlichkeit leihen sollten Abb. 28."
Das der Vollendung des Gmundner Altars folgende Jahrzehnt bedeutet
in unserer Kenntnis des Schwanthalerschen Schaffens eine empfindliche
Lücke. Wir haben aus dieser Zeit
zwar den guten Grabstein des
Propstes Anton Ernst von Rei-
chersberg Abb. 14 kennen ge-
lernt, sonst sind uns aber nur
einige archivalische Daten über
nicht mehr erhaltene Arbeiten für
die Pfarrkirche in Mehrnbach be-
kannt. Schon 1675 hatte er das
Bildnis Christi im Jordan auf
den Taufdeckel für Gulden
geschnitzt. 1684 erhielt er für ein
geschnitztes Christkindlein auf
die heilige Weihnachtszeit Gul-
den, 1685 für ein St. Michaeli-
Bildnis Gulden und im selben
Jahre für Verbesserungen an
drei alten Hilzenen Bildnussen"
S. S. Sebastiani, Wolfgangi und
Erasmi Gulden 30 Kreuzer
Das Gmundner Museum besitzt Krip-
perltiguren, welche dern Thomas Schwanthaler
zugeschrieben werden und als Modell eines
Schwanthalerschen Altarwerkes gelten. Sie haben
mit Schwanthaler nichts zu tun. Sie sind be-
scheidene Schnitzereien, bei denen die Gmundner
Altarfiguren als Vorbild dienten. Auch das dem
Schwanthaler zugeschriebene Relief der heiligen
Katharina im Gmundner Museum kann keines-
falls als eigenhändige Arbeit Schwanthalers an-
gesehen werden. Abb. 3a. Gmunden, Stadtpfarrkirche, Hochaltar Detail
13V
Abb. 3x. Mehmbach, Oberösterreich, Pfarrkirehe, Hochaltar, Mittelgruppe
ausbezahlt. Um
1690 erhielt er
dann den Auftrag,
den Hochaltar
der Pfarrkirche in
Mehrnbach zu
schnitzen Abb.
31 und 32.
Das Mittel-
feld des Altars
enthält in der
für Schwanthaler
charakteristischen
Rahmung die
Gruppe St. Mar-
tins. St. Martin
thront in sitzender
Stellung über den
Wolken, beider-
seits von Engeln
umgeben. Links
unten dankt der
beschenkte Bett-
ler, rechts blickt
ein Mann in bäuer-
licher Tracht zum
Heiligen auf Abb.
31. Zu beiden
Seiten des Mittel-
schreines stehen
auf Konsolen die
Statuen der Heili-
gen Sebastian und
Rochus Abb. 32.
Die Aufsatzgruppe ist ähnlich der des Wolfganger Altars komponiert. Das
Mittelfeld enthält in Medaillonrahmung die Gruppe der Dreifaltigkeit; zu
Seiten stehen St. Nikolaus und ein zweiter heiliger Bischof, auf den seitlichen
Voluten sitzen Engelsfiguren. Im Gespreng steht St. Michaelf beiderseits
auf den Voluten sitzen Engelskinder. Der Altar stammt zweifellos zur
Gänze aus dem Schwanthalerschen Atelier, doch verraten die Mehrzahl
der Figuren Gesellenhände, insbesondere sämtliche Figuren des Aufsatzes.
Die Mittelgruppe Abb. 31 und die Figuren St. Sebastians und St. Rochus'
Abb. 32 halte ich für eigenhändige Werke Schwanthalers. Sie zeigen bereits
Die dazugehörige Teufelshgur soll vor jahren verkauft worden sein.
den Stil der Spätzeit des Meisters. Sein stürmischer Bewegungsstil, den
er aus Werken der niederbayrischen Spätgotik geschöpft hatte, verflacht.
Er weicht von seinen spätgotischen Vorbildern immer mehr ab, indem er,
vielleicht von der Modeströmung italienischer Barockplastik nicht ganz
unberührt, an Stelle der Aufwühlung der Gewandränder und der Auf-
wirbelung der Gewandenden die einheitliche Bewegung und Zerwühluhg
großer Gewandilächen anstrebt; dabei wirkt er aber unsicher tastend und
unklar. Immerhin zeigen auch diese Figuren noch deutliche Zusammenhänge
mit heimatlichen spätgotischen Plastiken, wie ein Vergleich der Figur des
heiligen Rochus mit der im Linzer Museum befindlichen Innviertler spät-
gotischen Figur des Täufers beweist." Die Mittelgruppe des heiligen Martin
ist zweifellos von bester Qualität und
von ausgezeichneter Wirkung, es fehlt
ihr aber doch die Wucht und Frische
der Darstellung des Wolfganger Altars.
Auch die Gestalten St. Sebastians und
St. Rochus' wirken gegenüber früheren
Figuren des Meisters schwächlich und
unsicher. Der Mehmbacher Altar
scheint mir das ausgezeichnete Werk
eines alternden Meisters zu sein.
In die der Vollendung des Mehrn-
bacher Altars folgenden Jahre fallen
wieder Aufträge für das Stift Reichers-
berg. In den Jahren 1691 bis 1695 ließ
Abt Theobald Antißner den Haupt-
und den Marien-Altar der Pfarrkirche
in Münsteuer durch Thomas Schwan-
thaler herstellen. Beide Arbeiten stehen
unter der Durchschnittsqualität der
eigenhändigen Arbeiten des Meisters,
so daß wir ebenso wie in Mehmbach
zur Annahme gezwungen sind, daß der
damals öojährige Künstler bereits seine
besten Kräfte verbraucht hatte und
hauptsächlich durch Gesellen arbeiten
ließ, um seinen Unterhalt zu verdienen.
Der I-Iochaltar ist konventionell in sei-
nem Aufbau. Die Figuren sind schwach.
Am ehesten würde ich bei der Figur
des heiligen Andreas Abb. 33 an eine
eigenhändige Arbeit Schwanthalers
denken. Die Erregung des Gewandes
Abb. 32. Mehrnbach, Oberösterreich, Pfarrkirche,
Vgl. Ubell, a. a. 0., Seite x61, Abb. 3a. Hochaltar, St. Rochus
250
zeigt die alte Routine des Meisters, aber die Gestalt wirkt kraftlos, gequält.
Der Marien-Altar Abb. 34 ist von überladener dekorativer Prächtigkeit.
Die Figuren sind zweifellos nur Gesellenarbeiten zweiter Güte. Der reich-
geschnitzte Rahmen der Altöttinger Madonna aber ist ein prächtiges
Virtuosenstück der Schnitzkunst des Schwanthalerschen Ateliers. 1694
berief Abt Theobald von Reichersberg den Meister zu einer neuen Arbeit,
indem er ihn beauftragte, für den schönen Hof-
brunnen des Stiftes Abb. 35, den der Salzburger
Bildhauer Bernhard Mändl geschaffen hatte, das
Michael-Bildnis zu modellieren, das dann in Metall
gegossen wurde. Auch an diesem St. Michael
fühlen wir nichts mehr von der hinreißenden
Wucht der Darstellung, welche den St. Michael
des Altars zu St. Wolfgang zu einem Glanzstück
deutscher Schnitzkunst machte, und wir werden
genau so wie in Mehrnbach und Münsteuer den
Eindruck einer schon senil gewordenen Kunst
nicht los. 1702 finden wir den Namen Thomas
Schwanthalers noch in den Kirchenrechnungen
von Lohnsburg verzeichnet, wohin er drey von
Holz schön ausgeschnidtene aufn Fahnen ge-
hörige Knöpf" für Gulden 30 Kreuzer geliefert
hatte. Am 13. Februar 1707 trug der Pfarrherr
von Ried in das Totenbuch ein Sepultus est der
vornehme und kunstreiche Herr Thomas Schwan-
thaler, und Bildhauer allhie".
Meister Schwanthaler mag, wie wir aus seinen
Spätwerken zu schließen glauben, schneller ge-
altert sein als mancher seiner Kunstgenossen. Das
Leben hatte ihm auch hart genug zugesetzt. Er
hatte redlich für seine Familie zu schaffen. Aus
seiner ersten Ehe mit Eva Vorburger waren ihm
Abb 33 Münsteuärcberösleneich zehn Kinder entsprossen, aus seiner am 14. Juni
P,a,','che,Ho;s,d,e,; 1677 mit Maria Katharina Zetler geschlossenen
zweiten Ehe stammen wieder fünf Kinder. Dazu
hatte er lange Jahre für seine alte Mutter zu sorgen. Es nimmt uns daher
nicht wunder, wenn der Meister sich zeitlebens nicht von Schulden erholen
konnte. 1678 klagte ihn die Gastgebin in Riedau wegen einer Schuld, 167g
sogar sein eigener Schwager Elias Dallinger, Bürger und I-Iandelsmann in
Mattighofen. Im selben Jahre beschreitet auch der Wirt in Mehrnbach wegen
des ausständigen Fuhrlohnes nach Gmunden den Klageweg. 1694 pfändet
ihn sein alter Feind und Konkurrent Veit Adam Vogl wegen einer Schuld
und droht 1696 mit der zweiten Pfändung, 1702 wird wieder eine Klage
gegen ihn überreicht, auf die er erwidert, er habe dermalen ganz keine
259
Mittel zu bezahlen. Glücklicherweise scheint es, daß Schwanthaler sich von
den Widrigkeiten des Alltags doch nie völlig unterkriegen ließ. In seinen
Prozessen verliert er nie die Fassung und wir freuen uns förmlich, wenn
sein knauseriger Mattighofener Schwager sich vor Gericht beklagt, daß
Schwanthaler die ihm geliehenen I5 Gulden am Lukastag, dem Festtage der
Bildhauer- und Malerzunft, mit seinen Leuten in Kuchen und Keller ver-
zehrt und zugebracht habe.
Mit seiner Kunst stand
Thomas Schwanthaler aller-
orts in hohen Ehren. Die
Prälaten des ganzen Landes
begehrten sie und wenn
Melnitzkys nicht auffmdbare
Quelle verläßlich warf" hat
der Meister sogar in die
kaiserliche Schatzkammer in
Wien Werke seiner Kunst
geliefert. Am 8. Juni 167g
erhielt er seinen eigenen
Wappenbrief. Dieser ist in
Passau von dem kaiserlichen
Pfalzgrafen Ferdinand Wil-
helm Metzger von Meggen-
burg ausgefertigt. Der Brief
enthält unter anderem fol-
gende interessante Stellen
Und ich dann angesehen
und wahrgenommen die Ehr-
barkeit, gute Sitten, Tugend,
Vernunft und Künste, mit
welchen der edel- und kunst-
reiche Herr Thomas Schwan-
thaller, Bürger und Bild-
hauer des kurfürstlichen
Marktes Ried in Bayern, sonderbar nicht allein mit seiner berühmten Kunst
der Bildhauerei als Holz, Bein, Stein und Stahl, sondern auch vor einen
Maler, Inventor und Zeichner von hohen und vornehmen Leuten mir
bestermaßen rekommandiert worden, auch ich dessen sonst von ihm ziem-
lich gutes Wissen habe, auch die getreuen, unverdrossen willigen Dienste
und Schuldigkeiten, so er bisher bei gedachtem löblichen Markt Ried mit
einen bürgerlichen oneribus und fleißigen Arbeit treulich geleistet und
hiefüro solches gegen Ihre Majestät, auch dem ganzen hochlöblichen Haus
Österreich allergehorsambist und untertänigst und dann mir, der Gebühr
Melnitzky, Die Schwanthaler", a. a. 0.. Seite 5.
Abb. 34. Münsteuer, Oberösterreich, Pfarrkirche, Maden-Altar
nach, zu tun sich gutwillig erboten Thomas Schwanthaler hat bisher
als der künstlerische Stammvater jenes angesehenen Bildhauergeschlechtes,
als dessen bester Sproß Ludwig von Schwanthaler 1803 bis 1848 Welt-
ruhm erlangte, nur lokalhistorisches Interesse gefunden. Man hielt ihn
nicht für mehr als einen tüchtigen Kunsthandwerker. I-Ieute, da wir seine
Werke, von denen wir vorerst gewiß nur ein Bruchteilchen kennen, vom
Standpunkt des Kunsthistorikers gesichtet haben, enthüllt sich uns der
bisher unterschätzte Meister als ein deutscher Künstler von hohem Rang
und Können, der allerbeste Heimatkunst verkörpert. In seiner Kunstsprache
sind bereits alle Werte des süddeutschen Hochbarocks vorhanden. Das
Überraschende aber ist, daß Thomas Schwanthaler die wesentlichen Quellen
seiner von der allgemeinen Geistesströmung bedingten Kunst in dem
heimatlichen KunstschaHen der spätesten Gotik fand. Damit wird Schwan-
thaler ein wichtiges Glied in der Entwicklungsgeschichte deutscher Bild-
nerei, ein historischer Zeuge für die unversiegbare Kraft deutschen Geistes
und deutscher Art.
Abb. 35. Stift Reichersberg. Hofbrunnen
DAS EPITAPH DES FURSTEN HARTMANN
VON LIECHTENSTEIN ZU NIEDER-ABSDORF
UND SEIN MEISTER, DER WIENER BILD-
HAUER PLIEMB S0 VON DR. E. W. BRAUN-
der Pfarrkirche zu Nieder-Absdorf in Nieder-
österreich bei Drösing ist ein recht dekoratives
und hübsches Epitaph für den Fürsten Hart-
mann von Liechtenstein angebracht, und zwar
im I-Iauptschiff an der Wand, 1'5o Meter über
dem Boden. Das Grabdenkmal ist aus Sand-
stein und aus verschiedenen Teilen zusammen-
gesetzt?" Am größten ist eine in den schweren
reichen Formen des Spätbarock ausgeführte
breite Kartusche mit der Inschrift. Den Abschluß
derselben nach unten bildet eine Konsole, auf der ein Engel ruht, welcher
einen von seiner linken Hand gehaltenen Totenkopf betrachtet. Den oberen
Abschluß bildet eine weitere Kartusche mit dem fürstlichen Wappen, das
von einem Fürstenhut auf einem bärtigen Maskaron gekrönt wird. Zu beiden
Seiten des Wappens sind an der Wand zwei klagende Engel angebracht,
denen weiter unten, links und rechts von der Inschrift, zwei weitere Putten
mit Füllhörnern entsprechen. Das Denkmal ist gut und kräftig gegliedert und
zeugt von dem gesunden und tüchtigen handwerklichen Können der damaligen
Barockbildhauer. Den Meister des Epitaphs haben wir in Wien zu suchen.
Ein Zufall hat es gefügt, daß ich den Namen desselben nennen kann, wodurch
wir einen hübschen Beitrag zur Geschichte der Wiener Plastik aus der
ersten Hälfte des XVIII. Jahrhunderts gewinnen. Nach einer Notiz im Wiener
Diarium aus dem Jahre x728 wurde nämlich dieses Marmorepitaph",
wie der Chronist in Unkenntnis des Materials berichtet, für die Kapelle zu
Absdorf durch den bürgerlichen Bildhauer Josef Pliemb in Wien angefertigt
und die ansprechende charakteristische Inschrift soll der Fürst Hartmann
selbst geschrieben haben. Über diesen Wiener Bildhauer Josef Pliemb sind
glücklicherweise noch andere archivalische Nachrichten kürzlich veröffent-
licht worden. Haidecki berichtet in seinen Quellen zur Geschichte Wiens"
Band VI, Igo8 unter Nummer 7492, daß er Pliemb zusammen mit dem
BildhauerJohannes Christian Lehner als Trauzeugen des Bildhauers Johannes
Georg Hillibrandt im Jahre x73! fungierte. Ein zweitesmal kommt er als
Zeuge im Jahre 1735 bei der Trauung des Bildhauers Johannes Freundt
vor Nr. 8982."
Die Höhe des gesamten Denkmals beträgt 2315 Meter, die Breite x'55 Meter. Jeder der vier Engel, die
separat neben dem Epitaph an der Mauer befestigt sind, ist 5c Zentimeter hoch.
Vielleicht war Josef Pliemb der Sohn des x73 irn Wiener Bürgerspital verstorbenen 6c Jahre alten
bürgerlichen Bildhauers Lorenz Pliemb Haidecki, a. a. 0., Nr. 131224.
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Epitaph des Fürsten I-Iartmann von Liechtenstein zu Nieder-Absdorf
Das Grabdenkmal des Fürsten Hartmann ist heute nach der Angabe
des Herrn Pfarrers Karl Pavliöek in Nieder-Absdorf, dem ich auch die
gütige Vermittlung einer Photographie verdanke, welche unserer Abbildung
zugrunde liegt, mit Ölfarbe gestrichen, und zwar Stein und Inschrift grau,
das Übrige dunkelblau, die Verzierungen sind vergoldet.
Die originelle und frische Inschrift lautet
Hier Ligt begraben unter diesen Wappen Stein
Hartmann Fürst von und zu Liechtenstein
Der den 5ten Nouvember gebohren
Und den 4. July im 1728 Jahr das Lebensliecht verlohren.
Lebte ledigen Standes doch niemahl ledig und frey
Gegen das Ertzhaus Oesterreich ohne Dienst und Trey
Indeme er dreyen Kayhserri viertzig gantzer Jahr
In stätter Kriegs und I-Iof Diensten ergeben war
Leopold und Josef war denen er mit Ruhm und That
Dann Carl 13 als Obristhof und Lands Jägermeister gedienet hat
nlvJ
Anjetzo Leser sey sein als Stiffter eingedenck
Und Ihm ein Vatter unser sambt dem Ave schenck.
Amen.
Diese in der Grabschrift gemachten Angaben werden durch die histo-
rische Forschung bestätigt. Der 1666 geborene Fürst Hartmann von Liechten-
stein diente" in seiner Jugend in der Armee und machte als Rittmeister
bei Palffy-Kürassieren einige Feldzüge in Ungarn mit. Er nahm an der
Belagerung von Belgrad, an dem Angriff auf die Festung Ilock und an der
Belagerung und Einnahme von Mainz teil. Die Herrschaft Nieder-Absdorf
kaufte er im Jahre 1691, nachdem er sich vom Militärdienst zurückgezogen
hatte. Bei Hofe war er außerordentlich beliebt und Karl VI. ernannte ihn im
Jahre 1712 zum Obersthof- und Landjägermeister, eine Stelle, die er bis
zum Jahre 1724 bekleidete. 'Fürst ,I-Iartl' erfreute sich bis an sein Lebens-
ende der besonderen Gunst des Kaisers Karl. Von dem vertrauten Ver-
hältnisse zwischen ihm und seinem Monarchen, der gern ein freies Wort
gestattete, zeugt ihr ungezwungener Briefwechselß" Fürst l-Iartmann starb
unvermählt laut Grabschrift am 4. Juli 1728 nicht 1727, wie Falke a. a. O.
berichtet und wurde in Nieder-Absdorf begraben. Hoffentlich ergibt sich
nach dieser Konstatierung eines gesicherten Werkes" dieses Wiener Bild-
hauers die Möglichkeit, noch weitere Arbeiten des Josef Pliemb in Wien
und Umgebung zu finden.
JOHANN GEORG LOEHNIG, EIN HAUPTMALER
DER MEISSNER PORZELLAN FABRIK S0 VON
AZAUREK-STUTTGART 5b
uf der zweiten Porzellanversteigerung C. H. Fischer-
Dresden bei Hugo Helbing-München 1918 erwarb
das Landes-Gewerbemuseum von Stuttgart unter
anderem, auch die in mehrfacher Hinsicht interes-
sante Louis XVI-Deckeltasse Nr. 348 Stuttgarter
Inv. Nr. I8, 40, die im Katalog nicht abgebildet ist,
aber auch aus der Textbeschreibung nicht als eine
der eigenartigsten und besten Arbeiten ihrer Zeit
erkannt werden kann; der Wettbewerb um sie
war offenbar nur deswegen weniger heiß, weil die
Untertasse gesprungen und mit Messingklammern alt repariert ist
Abb. und b. Der königsblaue Grund mit den ausgesparten Bildfeldern
ist allerdings nichts Ungewöhnliches, ebensowenig die zarten, in mehr-
farbigem Gold radierten Louis XVI-Ränderungen der Bilder, die bei anderen
Arbeiten von Meißen zwischen 1780 und X790 noch reicher zu sein pflegen.
Nicht einmal die Bildmedaillons selbst sollen uns hier näher beschäftigen
Falke, "Geschichte des fürstlichen Hauses Liechtenstein", Band III, Seite 102 f.
Dr. Oskar Freiherr von Mitis, jagd und Schützen am Hofe Karls VI.", Wien xgxz, Seite 5x f.
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Die Identität des jungen Prinzen mit dem blauen Großkreuzband wird sich
nach einer gleichzeitigen Miniatur, der er sicherlich ganz gewissenhaft und
überaus sorgfältig nachgemalt ist, im Laufe der Zeit wohl ebenso mühelos
Abb. 1a. Deckeltasse von J. G. Loehnig
im Landes-Gewerbemuseum zu Stuttgart
Inv. Nr. 1B. 40
herausstellen,
wie die Kupfer-
stichvorlagen,
die dem allego-
rischen Deckel-
bilde der drei
geflügelten, von
Musen gefolg-
ten Gestalten
mit den feuri-
gen Zungen wie
auch der Mi-
nerva auf der
Untertasse zu-
grunde liegen
mögemWasuns
aber ungleich
mehr beschäfti-
Abb. Deckeltasse von J. G. Loehnig
im Landes-Gewerbemuseum zu Stutt-
gan Inv. Nr. 18, 40
gen muß, ist zunächst die originelle Deckelkonstruktion An Stelle des Deckel-
knaufes, der um jene Zeit in Meißen meist die Gestalt eines Blattknospenkelches
oder auch eines vergoldeten Kränzchens aufweist, findet sich hier eine seitliche
Henkelbildung, die ebenso rechteckig gebrochen erscheint wie der größere
Henkel der Obertasse.
Dieser meines Wissens
nicht häufig wiederkeh-
rende, sondern offenbar
rasch wieder aufgege-
bene Versuch einer
Neuerung ist allerdings
ästhetisch keineswegs
einwandfrei, da der Ge-
samtanblick nur eini-
germaßen befriedigen
kann, wenn der Henkel
des Deckels ganz genau
über jenem der Ober-
tasse steht, während er
Abb. c. Minerva von der Untertasse
J. G. Loehnigs im Landes-Gewerbe-
museum zu Stuttgart Inv. Nr. 18, 40
in jeder anderen Lage,
auch bei der allerklein-
sten Verschiebung, als
eine unangenehme Stö-
rung empfunden wer-
den muß, so daß die
Rückkehr zum altein-
gebürgerten, den gan-
zen Aufbau nach oben
harmonisch abschlie-
ßenden, überdies auch
handlicheren Deckel-
knauf von selbst gege-
ben war. Und doch
hatte dieses Experi-
ment mehr war es offenbar nicht gewiß seinen guten Grund Durch jede
Knauf bildung werden die Deckeloberflächen für Medaillonreserven unbrauch-
bar, so daß nur Raum für ganz kleine seitliche Bildchen übrig bleibt, die für
den Maler immer eine Verlegenheit bilden und meist nur mit emblematischen
zu
Kleinigkeiten ausgefüllt wurden. Es war also wohl der Wunsch eines
tüchtigen Porzellanmalers, auch auf dem Deckel der Geschenktasse Gelegen-
heit zu einer größeren Medaillonmalerei zu erhalten, für diese konstruktive
Seltsarnkeit und Seltenheit maßgebend gewesen.
Die nähere Erklärung dafür gibt uns vielleicht die im Versteigerungs-
katalog nicht erwähnte eingeritzte Signatur der zugehörigen Untertasse
auf dem unteren Rande des Minervaschildes finden wir allerdings nur
unter dem Vergrößerungsglase erkennbar den ausgeschriebenen Namen
Loehnig Vergrößerung in Abb. 2. Sollte nicht just dieser Maler, der sich
bei unserer fürstlichen Geschenktasse besonders auszeichnen wollte, vielleicht
selbst die Veranlassung zu dem erwähnten Deckelbildungsversuch gegeben
haben?
Der Name Loehnig war uns schon bisher nicht unbekannt, obwohl die
klassizistische Zeit von Meißen weniger geschätzt, daher auch überall wenig
ausführlich behandelt wird. Gerade deshalb aber erfordert es die Gerechtigkeit,
auf diesen Namen mit
besonderem Nachdruck
hinzuweisen, da er sich
neben den besten seiner
Zeitgenossen, selbst in
den damaligen Vororten
der Porzellankunst Sev-
res und Wien durch-
aus ehrenvoll behaupten
loeßßrw
Abb. 2. Vergrößerte eingeritzte Si-
gnalur auf der Loehnig-Tasse des
Landes-Gewerbernuseums zu Stutt-
gart Inv. Nr. 1B, 40
kann, sich auch seiner-
zeit des größten An-
sehens erfreute und erst
im Laufe des XIX. Jahr-
hunderts unverdienter-
weise in Vergessenheit
geriet.
Bisher wußten wir
vonJohannGe0rgLoeh--
nig aus Berlings Meißner Porzellan", 175, Anmerkung 351 nur,
daß er in den Jahren 1775 und 1786 als einer der besten Figurenmaler der
Fabrik bezeichnet wird; in Looses Meißner Künstlerlexikon" sucht man
sonderbarerweise seinen Namen vergeblich, ebenso bei Keller oder O'Byrn.
Und doch zählte unser Maler zu den angesehensten Persönlichkeiten seiner
Stadt. Nach der Feststellung von Professor A. Achtenhagenä wird Loehnig
in den Meißner Personalakten 1767 zum erstenmal und 1794 zum letzten-
mal genannt. In der Rechnung der Wittwen-Caße des Mahler-Corps auf
das Jahr 1806" findet sich auf Seite folgende Eintragung Thlr. an
Frau Salzverwalter Löhnig auf dem Monat Decbr Ward durch
das am 172 May dieses Jahres erfolgte "Ableben ihres Ehemannes
Wittwe, welcher vom Septr 1763 an Caßen-Mitglied gewesen ist, und
daher in 42 Jahren, Monaten 157 T. 18 gr. an Steuerung entrichtet
ha Loehnig ist demnach schon seit 1763 also schon im Alter von
20 Jahren an der Manufaktur tätig gewesen. In den Kirchenbüchem der
Frauenkirche von Meißen begegnen wir nach den gütigen Feststellungen,
die ich Herrn C. O. Langhammer verdanke dem Kunstmahler bei
Dem genannten Herrn Malereivorsteher in Meißen wie auch Herrn Hofrat Professor Dr. K. Berling, der
diese Auskunft freundlichst vermittelte, danke ich auch an dieser Stelle für ihre liebenswürdige Mithilfe bei dieser
Feststellung.
hiesiger Churfürstl. Sächs. Porcellaine-Fabrique" Johann- Georg Löhnig,
einzigem Sohn von Johann Georg Löhnig, Pächter auf dem Questenberg,
einem kleinen Dörfchen bei Meißen, zum erstenmal im Jahre 1767, am
22. September; dies ist sein Trauungstag, an dem er Johanna Friederika
Magdalena, die Tochter
des ebenfalls Meißner
Porzellanmalers Christian
Benjamin Gerlachff der
auch als Erb-Lehn- "und
Gerichtsherr des Rotsch-
berges bezeichnet wird, als
Frau heimführt. Von den
acht Kindern dieser Ehe,
Johanna Charlotte Mag-
dalena geb. 8. Oktober
1768, 5. Februar 176g,
Abb Loehnig-Kännchen mit Karten-Signatur GeorgKar1SiegTnundgeb'
Kunstgewerbemuseutn in Dresden 1770! Oktober
1772, Georg Karl Benja-
min geb. 24. Februar 1773, 23. März 177g, Johann Friedrich August geb.
19. Juni 1774, 1802 als Gutsverwalter genannt, Johann Georg Siegmund
geb. 8. September 1776, Georg Gotthelf Ernst geb. 2. Dezember 1778,
wurde königlich sächsischer Finanz-Cornmissarius in Meißen und Erb-Lehn-
und Gerichtsherr des Rotschberges wie sein Großvater, 21. April 1831,
Johanna Friederika Char-
lotta geb. 14. November am
1780 und Johanna Ama-
lia geb. 9. Juni 1783,
7. Februar 1784, über-
leben ihn nur drei Söhne
und eine Tochter. Seit 1780
wird J. G. Loehnig im
Kirchenbuch auch Salz-
verwalter genannt, was
damals eine einflußreiche
Stellung bei der Stadt
bedeutet. Da die Paten
der Kinder zu den vor-
nehmstenKreisen der Stadt
Christian Benjamin Gerlach war nach Berling 1714 geboren, 1731 als Lehrling in die Fabrik
eingetreten und hauptsächlich als Blumenmaler tätig; zur Zeit des siebenjährigen Krieges galt er als eine der
besten Kräfte seines Faches. In welchem Verhältnis er zu jenem Meißner Miniaturmaler" Johann Karl Gerlach
steht, der nach Paul Seidel irn I-iohenzollernjahrbuch" 1902, Seite 178 von König Friedrich II. nach Berlin
geholt wird, ist vorläufig ehensowenig bekannt wie die Lebensschickszle von zwei anderen Porzellanmalem des
Namens Gerlach, von denen der eine 1790 auf der Durchreise durch Wallendorf genannt wird, der andere 1804
als ideenreicher Landschafts- und Miniatunnaler in Limbach erscheint Stieda.
Abb. 4. Loehnig-Kännehen Rückseite
Kunstgewerbemuseum in Dresden
zählen, muß die Familie Loehnig eine der angesehensten gewesen sein. Am
17. Mai 1806 stirbt unser Porzellanmaler, 62 Jahre Monate 11 Tage alt,
wodurch auch sein Geburtsdatum, das sonst in den
Kirchenbüchem der Frauenkirche fehlt, festgelegt
wird der 5. August 1743.
Rund vier Jahrzehnte läßt sich also Loehnigs
Tätigkeit in Meißen verfolgen; sie fällt vollständig in
die sogenannte Punktzeit 1763 bis 1774 und be-
sonders in die Marcolini-Periode Sternzeit, 1774 bis
1814, also in eine Epoche, in der der Einfluß des
gealterten Monumentalplastikers J.J. Kändler 177
von einem stärker vertretenden Interesse für die Ma-
lerei abgelöst wurde, in der der Dresdner Hofmaler
Abb. 5a. Teetasse im Landes-
Gewerbemuseum zu Stuttgart
und Akademleprofessor Christian Wilhelm Ernst Inv.Nr.10,115
Dietrich in Meißen für die Arbeiter der Fabrik eine
Kunstschule begründet hatte 1764 und mit seinem Stabe von Lehrern und
Zeichenmeistern, wie Borstichen, J. C. Dietrich, Häuer, Grahl, Lindner, Ehrlich,
H. G. Schaufuß, Mehner, Arnhold und anderen der klassizistischen Richtung
ebenso die Wege zu ebnen
suchte wie der Hofmaler
und Professor J. E. Schön-
au, der von 1773 bis 1796
die Oberaufsicht führt und
hiebei von den Malervor-
stehern Richter undWaIter,
mit derenNachfolgernKüh-
nel, Birnbaum und Donat
einerseits und Grahl und
Tiebel anderseits unter-
stützt wird.
Die ältere Malergene-
ration der Rokokozeit, die
Böhme, Brecheisen oder
Heynemann sind abgelöst
worden, die längst zu ste-
reotypen Schemen erstarr-
ten Muster des 1765 pen-
sionierten Heroldt wurden
endgültig verlassen; ton-
angebend war für den be-
ginnenden Klassizismus
Sevres, das selbst auf der Leipziger Messe starken Absatz fand, zum großen
Verdruß des Grafen Marcolini, der am 20.August 1774 die Zügel der Regierung
in die Hand nahm. Hatte ein Jahrzehnt zuvor eine doch recht bescheidene
Abb. 5b. Landes-Gewerbemuseum zu Stuttgart
Untertasse zu Inv. Nr. 115
Leistung wie das sogenannte grüneWatteau-Service" dem sächsischen Hofe
genügen müssen, waren um dieselbe Zeit im Preis-Courante" von 1765 meist
nur ordinäre Malereien" und selbst unter der feineren Malerey" außer den
weitaus vorherrschenden stereotypenBlumen oderFrüchten nebst Mosaique"-
Rändern nur Landschaften, Federvieh, Viehstücke, Jagden und Bataillen,
Bauern und Watteau-Figuren meist nur in der Art des grünen Watteau-
Services höchstens einige Tabatieren mit besserer Malerei erkennbar, so
wird dies nun fast mit einem Schlage anders. Die Anregungen, die Direktor
Fletscher 1764 aus Paris mitgebracht, beginnen Früchte zu tragen; neue
Abb. 6. Täxc-ä-xäxe im Landes-Gewerbemuseum zu Stuttgart
klassizistische Kupferstiche nach Angelika Kaufmann oder van der Werff,
Vignettenbildchen von G. Geßner bereichern das Vorbildermaterial; klassi-
zistische Elemente, wie Festonen", la Greque"-Ränder oder I-Ietrurische
Kanten" melden sich seit 1765 zunächst schüchtern an, um allmählich den
Rokokogeist zu verdrängen. Dazu kommen technische Errungenschaften, wie
die Verbesserung der Farben Rosa, Grün und Fleischfarben, besonders aber
des französischen Königsblaus bleu royale, das zwar schon 1765 in Meißen
versucht wurde, aber erst seit 1782 als sogenanntes Gutbrennblaw, ganz
im Sevres-Ton gelingt und von nun an für die ganze Marcolini-Zeit als die
beliebteste Fondfarbe beibehalten wird. Ornamentale Goldränder in ra-
diertem Gold, meist in Verbindung von Blumenkränzen und Bandschleifen,
mitunter auch gemalte Rähmchen in Deckfarben Abb. sorgen dafür, daß
269
etwaige Ungenauigkeiten an den Trennungslinien zwischen dem königs-
blauen Grunde und dem Weiß der für die Malerei ausgesparten Medaillons
nicht stören.
Und diese Medaillonrnalerei, die hinter der der besten Tabakdosen der
vorangegangenen Zeit nicht zurücksteht, ja mitunter noch sorgfältiger aus-
geführt ist, wird nun das I-Iauptbetätigungsfeld der ersten Malerklasse,
nämlich der iiguralen Maler, an deren Spitze beidemal, nämlich 1775 und
Abb. 7. Reiseservice im Landes-Gewerbemuseum zu Stuttgart
1786, Johann Georg Loehnig urkundlich" angeführt wird, hinter dem alle
anderen, auch seine vorläufig noch nicht ganz genau zu differenzierenden
Mitarbeiter Matthäi, Schütze und Thile erheblich zurückstehen. Da wir
außer der eingangs erwähnten, nun im Landes-Gewerbemuseum in Stuttgart
verwahrten Deckeltasse noch eine zweite, voll bezeichnete Arbeit Loehnigs
kennen, läßt sich das Urteil der Zeitgenossen leicht nachprüfen und findet
seine volle Bestätigung.
K. Berling Meißner Porzellan", Seite 175, Anmerkung 351; in K. Berling Die königlich sächsische
Porzellan-Manufaktur Meißen" wird Seite 84, beziehungsweise Anmerkung 328 statt 1775 1775 gesetzt.
35
Auch die zweite signierte Porzellanmalerei von Loehnigf nämlich
das Teekännchen im Kunstgewerbemuseum zu Dresden Abb. und läßt
uns dieselben Vorzüge in Zeichnung und lebhafter und doch zart-harmoni-
scher Farbengebung erkennen wie die Stuttgarter Deckeltasse, wenn es sich
auch um ein schlichteres, offenbar nur zu einer persönlichen Beziehung ge-
brauchtes Stück handelt, weshalb der Maler auch seinen Namenszug nicht
versteckte, sondern geradezu als Hauptmotiv auf Einzelkarten verteilt, mit
denen ein Mädchen spielt, während in dem zweiten Medaillon ein rot-
gekleideter Knabe von
rückwärts gesehen bei
einer Urne vorbeigeht.
Nachdem nun durch
zwei voll bezeichnete
Werke die Richtung und
Malweise dieses in seiner
Zeit besten Meißner Fi-
gurenmalers, dem ja auch
nach den Meißner
Personalakten Korrek-
turen der anderen Porzel-
lanmalereien anvertraut
waren, ziemlich genau
festgelegt sind, ist es nicht
schwer, auch andere
Loehnig Arbeiten, die
nicht mit dem Namen si-
gniert sind, festzustellen.
Ich gehe hiebei von der
Porzellansammlung des
Stuttgarter Landes-Ge-
werbemuseums aus, die
an guten Meißner Louis XVI- und Marcolini-Stücken reicher ist als so
ziemlich alle anderen Sammlungen.
Die größte stilistische Übereinstimmung mit dem Dresdner Teekänn-
chen zeigt die schöne Teetasse mit den beiden jugendlichen Liebespaaren
im Freien Abb. Inv. Nr. 10, 115, die noch der Punktzeit angehört; sie
kann nur von Loehnig gemalt worden sein. Die gleiche Hand man
vergleiche nur den Mädchenkopf der Untertasse mit den Venuskopf der
Platte zeigt aber auch das Tete-a-tete mit den Amoretten im Boucher-
Charakter in den Medaillons auf königsblauem Grund; es hat ebenfalls noch
die Punktrnarke Abb. 6. Damit ist aber auch das in jeder Beziehung
übereinstimmende ebenfalls königsblaue Reiseservice mit den ebenfalls in den
Abb. 8. Marcolini-Fußplatte des Landes-Gewerbemuseums zu Stuttgart
Inv. Nr. 14, x48
Berling a. a. O. ohne Abbildung Seite x65. Herrn Hofrat Professor Dr. Karl Berling, der die Güte
hatte, mir dieses Kännchen zu näheren Vergleichen nach Stuttgart zu senden, danke ich hiefiir herzlichst.
mehrfach schattierten
Wolken schweben-
den Putten in alter
Lederkassette mit
Goldpressung; italie-
nisches Wappen als
Werk Loehnigs fest-
gestellt Abb. auch
dieses trägt noch die
Punktmarke. Die Far-
ben, leicht und hell,
auch in den Schatten-
tönen nicht schwärz-
lich verschmiert, wie
dies andere Meißner
Maler dieser Zeit lei-
der zu häufig anwen-
den, gewöhnlich ein
ganz lichtes Gelb; Abb.g. Deckeltasse des Landes-Gewerbemuseums zu Stuttgart lnv. Nr. 847
Hellblau, Karmin,
Lila, ein wenig Krebsrot kehren überall wieder, auch die überaus sorgfäl-
tige, getupfte Malweise, die in der Karnation einige wenige rötliche, bräun-
liche, gelbliche und graue Partien geschickt ineinander übergehen läßt, um die
Augen überall in der noch immer nachklingenden Watteau-Mode durch
kräftige dunkle Punkte zu betonen. Bei zwei
anderen, auch mit Putten geschmückten Ar-
beiten, nämlich bei der Punktzeit-Teetasse
lnv. Nr. 337 in Braun-Camayeu, dem so-
genannten Caca-de-Dauphin, das man als Mode-
farbe mit dem erstgeborenen Sprößling der
Ehe Ludwigs XVIII. mit Marie Antoinette
in Verbindung zu bringen pflegt, und der
reizvollen Marcolini-Kanne mit den Grisaille-
Amoretten auf Türkisfond Inv. Nr. 14, 306,
ist die Übereinstimmung nicht so vollständig
überzeugend, obwohl es sich doch auch in
diesen Fällen um Loehnig-Arbeiten handeln
dürfte.
Natürlich werden mit diesen Objekten
auch zahlreiche Porzellane anderer Samm-
lungen für Loehnig in Anspruch genommen.
So ist als Gegenstück der obengenannten
Boucher-Anbieteplatte die ebenfalls königs-
Abb. xo. Kaiser Leopold-Tasse im
Landes-Gewerbemuseum zu Stuttgart
lnv.Nr.g,67 blaue Louis XVI-Platte des Nordböhmischen
Gewerbemuseums in Reichenbergi" aufzufassen, die auch in Wolken ver-
schiedene Putten mit dem Monogramm A. A. unter einen Kurhut aufweist,
vielleicht auf Anna Amalia von Sachsen-Weimar 1739 bis 1807 zu beziehen,
wobei der Kurhut eine Anspielung auf ihre braunschweigische Herkunft
sein könnte. Auch das ebenso schöne Frühstückservice bei Emil Weyer-
busch in Elberfeld" gehört zu der gleichen Gruppe.
Ein Putto der zwei Initialenmedaillons, mit und bekränzt,
erscheint auch in dem obersten der drei ausgesparten, kreisrunden Bilder
Abb. x. Frühstückservice im Landes-Gewerbemuseum in Stuttgart Inv. Nr. 431
der königsblauen Marcolini-Fußplatte des Stuttgarter Landes-Gewerbe-
museums Inv. Nr. 14, x48; Abb. deren sonstige zwei ovidischen Szenen
die Fragonard-Darstellung von Venus und Mars ist im Kunstgewerbe
des XVIII. Jahrhunderts eine der meistverbreiteten in den verschiedensten
Techniken auf die populärsten Stichvorbilder zurückgehen. Das jupiter
und Juno-Medaillon in Verbindung mit den Blumeninitialen E. A. L. finden
wir auf dem Service bei Konsul Eugen Gutmann in Berlin wieder; beide
sind dem Werke Loehnigs zuzuzählen.
Abbildung in Pazaurek, Keramik des Nordböhmischen Gewerbernuseurns" Reichenberg, x9o5,Tafel 16.
Düsseldorfer Ausstellung von xgoz, Nr. 856.
"pi" Abbildung bei Berling. "Meißner Porzellan", Tafel XXIX.
Aber auch nach zeitgenössischen, eben erst für die Manufaktur ange-
kauften Stichen arbeitet Loehnig, wie sich an zwei Beispielen des Stuttgarter
Landes-Gewerbemuseums nachweisen läßt, die in der Behandlung mit den
ersterwähnten, voll bezeichneten beiden Arbeiten übereinstimmen. Es sind
zwei königsblaue Deckeltassen, und zwar die eine mit emplindsamen"
historischen Szenen nach Angelika Kaufmann, und zwar nach dem Stiche
von William Wynne Ryland von 1778 Kleopatra bekränzt das Grab des
Marc Anton mit Blumen Inv. Nr. 487, Abb. bei welcher noch nebst
dem üblichen goldradier-
ten Einfassungskranze ein
"in nrunnunu
Abb. 12a und h. Marcolini-Deckeltasse des Landes-Gewerbemuseums zu Stuttgart Inv. Nr. 13, 326
braunes Rähmchen mit weißen antikisierenden Blumenranken, die aus
symmetrischen Puttenpaaren herauswachsen, zu bemerken ist. Die andere
Deckeltasse zeigt uns das Grisaillebrustbild des römisch-deutschen Kaisers
Leopold II. 1790 bis x792 im Kaiserornat" Inv. Nr. 67, Abb. 10, dessen
Kupferstich unter den Neuankäufen der Meißner Fabrik um jene Zeit nament-
lich angeführt erscheint. Und diese beiden Tassen weisen nebst den üblichen
Marco1ini-Fabriks- und Modellmarken noch ganz kleine Malermarken auf,
Eine weitere Kaiser Leopold-Tasse, jedoch nach einem anderen Stich, ündet sich zugleich mit dem
Gegenstück, auf dem seine Frau dargestellt ist, im Berliner Kunstgewerbemuseum; sie stammt aus der Berliner
Auktion A. von Lnnna-Prag II 191 unter Nr. 1071, in dessen Katalog aber die falsche Bezeichnung steht, daß es
sich um Ludwig Anton von Bourbon, Herzog von Angouleme handle; schon der deutsche Kaiseromat hätte diesen
Fehler leicht beheben können. Während hier die zugehörigen Untertassen richtig in Wolken die Buchstaben L.
beziehungsweise M. T. C. tragen, zeigt die Untertasse der Stuttgarter Leopold-Tasse ein beruht somit auf
einer alten Verwechslung rnit der Untertasse ihres Gegenstiicltes.
nämlich ein in Gold, beziehungsweise
in Rot. Wir werden wohl nicht fehlgehen,
auch dieses bisher nicht beachtete Maler-
zeichen auf Loehnig zurückzuführen.
Dieselbe ganz kleine L-Marke findet
sich aber auch und zwar wiederholt,
zum Beispiel deutlich auf einer Untertasse
und auf einer Kaffee-Obertasse auf dem
reizvollen kompletten Frühstückservice mit
den offenbar auch nach gleichzeitigen
Almanach-Kupferstichen gemalten Genre-
szenen" des Stuttgarter Landes-Gewerbe-
museums Inv. Nr. 43x, Abb. das
auch sonst ganz Loehnigs Hand aufweist,
wenngleich die Weinbergszene der großen
Platte schwärzlichere Tinten und eine
geringere Sorgfalt zeigt als die besser ge-
ratenen zugehörigen Kannen, Tassen und
Löffelchen. An diesem Stücke der Marco-
lini-Zeit wiederholt nun Loehnig den Einfall
seiner vollbezeichneten Dresdner Tee-
kanne auf der Zuckerdose bauen nämlich
Kinder ein Kartenhaus und auf dem Deckel
Abb- 13- Vergrößerung eines I-öffels aus dem desselben spielt geradezu ein Kind wieder
Rdsegjjjjjjejjjsffgfjjf;hmm- mit Abc-Karten, die jedoch diesmal, da es
sich nicht um ein Privatstück handelt, keine
Signatur bedeuten. Mit diesem Stück nahe verwandt ist das königsblaue Früh-
stückservice bei Rittmeister Crusius in Hirschstein," das somit wohl auch
den Arbeiten Loehnigs beigezählt werden dürfte, wie die schlanke Marcolini-
Genredeckeltasse des Stuttgarter Landes-Gewerbemuseums Inv. Nr. 13, 326,
Abb. 12, die etwas flüchtiger gezeichnet ist; auf der Unterseite sind noch
Reste einer goldenen L-Signatur erkennbar.
Wenn wir die verschiedenartigen, aber fast durchwegs ausgezeichneten
Porzellanmalereien von J. G. Loehnig überblicken, begreifen wir seine große
Wertschätzung bei seinen Zeitgenossen, finden es jedoch unverständlich, daß
man trotz der großen Porzellanleidenschaft in heutigen Sammlerkreisen dieser
tüchtigen Kraft noch keine rechte Aufmerksamkeit geschenkt hat, sondern
nur im allgemeinen von einem Verfall" der Meißner Maroolini-Zeit spricht.
Gewiß, die Zeit der großen selbständigen Leistungen in Meißen ist gegen
Ende des XVIII. Jahrhunderts vorbei; führend" ist die Fabrik nicht mehr,
sondern Sevres, später Wien. Es sollen auch die anderen Meißner Malereien
Abbildung in Lichtdruck im jahresbericht des Stuttgarter Landes-Gewerbemuseums über 1909, Tafel
der jahresbericht über 1908 hatte auf Lichtdruckmlel III das obengenanme Bouchzr-Service von Loehnig gebucht.
Abbildung bei Berling, Meißner Porzellan", Seite Fig. 203.
275
dieser Zeit nicht über Gebühr auf eine unverdiente Höhe künstlich empor-
geschraubt werden. Aber Loehnigs Arbeiten, die man jetzt doch wohl mehr
aus ihrer Umgebung herausheben dürfte, sind es wert, höher eingeschätzt
zu werden als bisher. Wenn seine Selbständigkeit nicht allzu groß ist, so ist
dies einerseits in seiner Tätigkeit als Porzellanmaler begründet, der sich oft
auftragsgemäß an ihm vorgelegte Kupferstiche zu halten hatte, anderseits
liegt dies in den Zeitverhältnissen, in dem immer stärker hervortretenden
Klassizismus, in der Winckelrnann-Tendenz von der allein seligmachenden
Nachahmung" des Alten, die aus den Verirrungen" der Rok0ko-Selb-
ständigkeit zu idealen Zielen emporführen sollte.
Es gibt nur wenige deutsche Porzellanmaler des XVIII. Jahrhunderts,
die dem Loehnig ebenbürtig oder gar überlegen sind; wir müssen hier schon
an die besten mythologischen Arbeiten von Osterspey-Frankenthal denken
oder an jene fliegenden Kinder in den Wolken, die unter Clauce in Berlin
gemalt worden sind und sich. nicht viel früher in verwandten Bahnen
bewegten. Selbst die Sevres-Putten, etwa von Armand oder Asselin, die ja
den deutschen Malern als Vorbilder hingestellt wurden, sind zum Teil
Abb. r4. Vergrößerung eines Ausschnitte aus der Anbietplatte des Täte-ä-täte im Landes-Gewerbe-
museurn zu Stuttgart Abb.
Abb. r5. Vergrößerung eines Ausschnittes aus einem Teller mit Oil de perdrix-Muster in Gold auf Blau und
Putzen und Emblemen in ausgespanen Feldern. Bezeichnet pint par Lamprecht" Österr. Museum
keineswegs besserf und was Wien, das um die Wende des XVIII. und
XIX. Jahrhunderts die besten Maler hatte, zur Blütezeit Loehnigs und kurz
vorher in der Puttenmalerei leistete, ist trotz der großen heutigen Wert-
schätzung dieser Arbeiten denen Loehnigs keineswegs überlegen," zeigt
vielmehr nur eine größere Abhängigkeit von den Sevres-Vorbildem.
Damit soll aber keineswegs die Meißner Louis XVI-Malerei oder gar
die der Empirezeit im allgemeinen auf Kosten der Porzellanmaler der Wiener
Sorgenthal-Periode herausgestrichen werden. Was Wien in der Empirezeit
in dieser Beziehung leistete, verdient mit Recht den Weltruf, den es längst
besitzt und der nicht zum mindesten darin begründet ist, daß es eben nicht
nur einen einzigen famosen Künstler besaß, sondern daß eine ganze Reihe
derselben einen ungewöhnlich hohen Gesamtdurchschnitt herbeiführte, der
tief ins XIX. Jahrhundert bewahrt blieb.
Unter den Fabriksmalern Meißens dagegen steht Loehnig ganz ver-
einzelt da, und diese tüchtige Kraft unter seinen Mitstrebenden hervor-
zuheben, ist die Absicht dieses Aufsatzes. Wie sehr Loehnig, von dem uns
Man vergleiche zum Beispiel den Auküonskntalog von Binden-Hamburg Berlin 1908, Nr. 853 oder B59
Tafel 7x und 72.
Vgl. das Maria Theresia-Solitär des Grafen Enzenberg-Schwnz Folnesics-Braun, Wiener Porzellan",
Seite 67, das Service der Auktion Dr. Fritz Clemm Berlin, 1907 Nr. x92 oder da Solitär der Sammlung Karl
Meyer-Wien Folnesics, Porzellmsammlung K. Meyer" Nr. x04 Fubentafel XXVII.
kein längerer Aufenthalt in Paris-Sevres berichtet wird, tatsächlich unser
vollstes Lob verdient, wird erst recht einleuchtend, wenn wir etwas von
seinen Arbeiten in starker Vergrößerung betrachten. Es ist dies bisher
meines Wissens noch nie versucht worden, mag auch zunächst etwas
befremden, da wir Abbildungen von Deckengemälden oder mindestens
Supraporten gegenüberzustehen scheinen, und doch kann man nur auf
diese Weise einen Einblick in die charakteristische Malweise erlangen und
die Grenzen des individuellen Könnens erkennen, da der kleine Original-
maßstab verschiedene Verzeichnungen und sonstige Unvollkommenheiten
nur zu leicht verdeckt. Gerade Loehnig aber zählt zu den wenigen, die diese
Prüfung nicht nur vertragen, sondern geradezu glänzend bestehen. Man
betrachte nur die Vergrößerung. eines Löffels aus dem oben genannten
Reiseservice des Stuttgarter Landes-Gewerbemuseums Abb. 13 oder eines
Ausschnittes aus der Anbieteplatte des Boucher-Amorettenservices der-
selben Sammlung Abb. 14, obwohl die schwarze Wiedergabe den ganz
ungewöhnlichen Reiz der ungemein geschickt ineinander überlaufenden
verschiedenen Farbentupfen in ihrer trefflichen Abstufung gar nicht zur
Geltung bringen kann.
Wenn durch die Gegenüberstellung einer Vergrößerung Abb. 15 einer
bezeichneten älteren Larnprecht-Arbeitö der Salzverwalter des kleinen
Elbestädtchens sich neben dem anerkannt ersten, weitgereisten, auch von
den Franzosen bestens anerkannten Maler der damals führenden Porzellan-
fabrik in der großen Kaiserresidenz,' nämlich seinem etwas jüngeren Zeit-
genossen Georg Lamprecht sen. nachweisbar in Wien zwischen 1772
und 1825 tätig behauptet, so braucht zu seinem Rufe nichts weiter
hinzugefügt zu werden. Wir werden aber gut tun, unser bisheriges Urteil
ein wenig. zu revidieren und ebenso, wie wir in Lamprecht den ersten
deutschen Empire-Porzellanmaler schätzen, in Loehnig den ersten deutschen
Louis XVI-Porzellanmaler erblicken können.
AUS DEM WIENER KUNSTLEBENSIP VON
HARTWIG FISCHEL-WIEN 54b
EZESSION. I. Abteilung. In den Räumen, die einst der Freirnachung künstlerischer
Kräfte von Zunftgeist und Konvention gewidmet waren, ist eine Ausstellung angeordnet,
die wie eine Rückkehr in alte Geleise erscheint. Die Bilder enthalten viel Tüchtiges und
Erprobtes, doch nichts von dem Geist der Befreiung, der auch heute wieder eine jüngere
Generation begeistert.
Wenn wir den anregenden Raum betreten, in dem Harlfmger seine Lubliner Eindrücke
in reicher Folge von Skizzen, Studien und größeren Bildern wiedergibt, so haben wir wohl
das Beste gesehen, was diesmal der Pinsel zu sagen hat. Geschmackvolle, frische Dar-
stellungen des Lebens und der Erscheinung dieser malerischen Provinzstadt vom Einblick
Vgl. Braun in Kunst und Kunsthandwerk", 1917, Seite 1x9. Das Österreichische Museum hat kürzlich
einen unzweifelhaft zu Jdem a. a. O. beschriebenen Service gehörigen Teller erworben, der die Signatur
Lamprechts trägt vgl. Abb. 15.
35
in krummen Gäßchen, intime Höfe, bunte Läden bis zum Aufbau des Ganzen auf hügeligem
Gelände, bekrönt von Kirche und Schloß, die in schweres Gewölk hineinragen und in den
Strahlen einer vergoldenden Sonne zu monumentaler Kraft emporwachsen. Mannigfaltiges
ist mit sicherem Griff, mit feiner Beobachtung und festem Zusammenschluß tüchtig und
lebendig geschildert.
In einem anderen Raume weiß Radler den bunten leuchtenden Zauber heimischer
Blumenpracht ornamental und doch lebensvoll auf die Leinwand zu bannen. Tüchtiges
Naturstudium von F. Kruis, farbenfrohe und frische Bildnisse von V. Reisenbichler
erfreuen und erfrischen. All dies bewegt sich gemessen und sicher in den bewährten
Geleisen, die nun lange schon ihre verdiente Geltung errungen haben. So lange, daß heute
schon wieder ein neues Empfinden und Wollen stürmisch hervordringt, das diese
gefestigte Übung als eine Erstarrung verurteilt. Die Ausstellung der Sezession ist frei von
solchen Umstürzen. Und mehr noch, sie zeigt eine bewußte Betonung der akademischen
Tradition in einer umfangreichen Abteilung, welche der Baukunst gewidmet ist.
Leopold Bauer hat sich mit gutem Recht in die Öffentlichkeit begeben, um sein
Hauptwerk dem Urteil vorzuführen, das in der Ungunst der Zeiten von der Zurückstellung
bedroht ist. Der Neubau, der für die Österreichisch-ungarische Bank errichtet werden
sollte, beschäftigt den Künstler seit acht Jahren und erfüllte sein ganzes Denken und
Trachten, der Entwurf war steter Verbesserung und Ausbildung unterworfen, so daß
gegen 18 Projekte entstanden. Die Schwierigkeiten der Anforderungen, die Kompliziertheit
der Bgdürfnisse, ihre einwandfreie Befriedigung in konstruktiver Hinsicht und mit Wahrung
der künstlerischen Absicht verursachten eine bedeutende Arbeitsleistung, in deren Umfang
die zahlreichen Zeichnungen und größeren Modelle Einblick geben. Man erlangt hier
Kenntnis von der enormen Leistung baukünstlerischer Arbeit, die gewissenhaft und kritisch
einer großen Aufgabe gerecht werden will, die den Auftraggeber befriedigen, den Zeit-
forderungen gerecht werden, ein schwieriges Problem künstlerisch lösen will.
Leopold Bauer sagt in den begleitenden Worten, die er zu seiner Ausstellung
verbringt, daß er in der Architektur Chronik und Spiegel ihres Zeitalters erblickt, daß er
die wichtigsten Forderungen seiner Zeit zu erkennen, ihnen künstlerischen Ausdruck zu
geben bemüht war, daß er den entscheidenden Tendenzen seines Jahrhunderts entgegen-
zukommen strebte. So sehr dies nun in der Klarheit der Disposition, in der Durchbildung
der konstruktiven und räumlichen Erfordernisse der Fall ist, der formale Ausdruck
dieser inneren Kräfte läßt jene Absicht nicht klar erkennen. Bildet schon ein mächtiger
zentraler Turmbau als ein typischer Repräsentant alter akademischer Ideale nicht den
Ausdruck einer Zweckforderung, sondern eines Bauwillens, der Symbole bevorzugt, so
greift auch die Formensprache aller schmückenden Bauglieder auf den antikisierenden
Apparat zurück, der seit der Renaissancezeit immer wieder auflebt.
Von der Ecole des Beaux-Arts, jenem Hort des klassischen Bauprogrammes und der
historischen Formensprache, aus ist die ganze Welt die alte europäische und mehr noch
die neue überseeische mit Bauwerken offizieller Zweckbestimmung versorgt worden; die
größten baukünstlerischen Aufgaben der neuen und der alten Welt sind dieser Macht aus-
geliefert worden. Der wirkungsvolle, leicht verständliche Eindruck ihrer mächtigen Kuppel-
bauten, Türme,Kolonnaden, denen oft keine innere Notwendigkeit, sondern vielmehr zumeist
ein äußerliches Prunkbedürfnis mit mehr oder weniger gediegener formaler Gewandtheit
entsprach, dieser erprobte Apparat bewußter Eklektik bildete stets eine große Gefahr
für die Entwicklung einer neuen Zeitkunst. Die Forderungen unserer ganz von großen
technischen Problemen erfüllten Zeit gingen von strengster Selbstbesinnung aus, von der
Entfernung alles formaltheoretischen Ballastes und aller akademischen Symbolik. Die Über-
Windung des akademischen Programmes war eine ihrer Hauptbedingungen.
Österreich und Deutschland waren die stärksten Arbeitsgebiete dieser in bestem
Sinne zeitgemäßen Bestrebungen, die hervorragende Leistungen vollbrachten. Leopold
Bauer hat geraume Zeit in ihrem Sinne geschaffen, ist aber aus den Reihen der Vorkämpfer
geschieden und in die große Gemeinde der Akademiker wieder eingetreten, wobei ihn der
Sinn für Logik und konstruktives Denken, das gediegene Wissen als Künstler vor leerem
Pathos bewahren. So fühlt man in vielen Abänderungsversuchen das stete Ringen nach
knappem Ausdruck, den Kampf mit der Konvention. Er führte es auf die Bedingungen
der Steinmetztechnik zurück, daß die Pläne nach und nach an bloß oberflächlicher
Modernität einiges eingebüßt haben". Das, was er uns zeigt, ist oft in starkem und wohl
auch bewußtem Gegensatz zu jener Modernität, die in der Arbeit Otto Wagners den
entgegengesetzten Entwicklungsgang aufweist. Während Wagner vom Klassizismus
ausging und immer stärker und zielbewußter die Stilkunst vergangener Zeiten überwand,
ist Bauer in diesen geschützten Hafen zurückgekehrt.
Auch aus der Schule Bauers ist manches vorgeführt. Hier ist vielleicht noch mehr
als in Bauers eigener Arbeit die Abhängigkeit von der Antike zu fühlen. Aber die tüchtige
Durchbildung und Schulung, die treffliche zeichnerische Darstellung üben trotzdem ihre
anziehende Wirkung aus. Man sieht das Wissen von der Vergangenheit, die Beziehungen
zu den großen alten Leistungen wieder in den Vordergrund treten und dadurch eine
Abhängigkeit neu aufleben, die viele überwunden zu haben stolz sind. Nicht die Achtung
vor alter und großer Kunst will man heute bekämpfen; nur das Maß von Abhängigkeit
verringern, den Willen zu neuen und freien Formgedanken und Gestaltensgrundsätzen
stärken und frei machen. Wenn einzelne wieder den Anschluß suchen, weil ihr Respekt
vor der Vergangenheit größer ist als das Vertrauen in die Kräfte, welche die Zukunft neu
zu formen streben, so wird das der freien Bewegung keinen Abbruch tun. Sie bleibt die
Hoffnung der jugend.
ÜNSTLERHAUS. Die Frühjahrsschau der Wiener Künstlergenossenschaft bietet
eine Überraschung, die zugleich ein Bekenntnis in sich schließt. Während sich einst
die Abspaltung selbständiger Bestrebungen nur unter heftigen Kämpfen und hohnerfüllten
Angriffen von Seite der zurückgebliebenen, um den Herd auskömmlicher Versorgung
Gescharten vollzogen hat, öffnen heute dieselben im sicheren Besitz der Gunst zahlungs-
fähiger Kreise Verbliebenen ihre Räume den Jungen und Jüngsten. Allerdings geschieht
dies mit allen Vorkehrungen reinlicher Scheidung. Die Angehörigen des "Bundes der geistig
Tätigen", welche das erste Stockwerk des Künstlerhauses füllen und dort Gelegenheit
haben, unter den günstigsten Raurn- und Lichtverhältnissen ihre Werke zu zeigen, sind dort
wie exotische Gäste aus fernen Welten, wie die primitiven Ureinwohner unkultivierter, in
Entwicklung begriffener Länder, die als merkwürdige Abarten der Menschheit gezeigt
werden. Ihre Wirte, die Hausherren, füllen das Erdgeschoß in altgewohnter Weise unter
dem Banner der Konvention, zeigen unbewegt und gewandt die altgewohnte und allbeliebte
Ausübung ihrer Fähigkeiten und Fertigkeiten. Oben ein heftiges, erregtes Suchen und
Greifen nach Neuem, Zeitgemäßem und Zukunftsfrohem oft auch nach Unfaßbarem und
Unlösbarem unten zumeist die Fortdauer alter Gepflogenheiten und die Übung erprobter
Geschicklichkeit, die jeder radikalen Änderung abhold ist.
Ausnahmen bestätigen die Regel. Auch in den Räumen der Künstlergenossenschaft
ist ein gemäßigter Modemismus zu finden. Einzelne kräftige Ansätze zu stärkerer indivi-
dueller Ausdrucksweise sind auch hier vorhanden; sie haben da bisher stets als Ausnahmen
gewirkt und erscheinen als solche um so mehr, als jeder fremde Einschlag fehlt. Die
Ungunst der Zeiten hat alles ferngehalten, was sonst wohl aufgetreten wäre, um die Reihe
der Genossenschaftsmitglieder bunter, belebter erscheinen zu lassen; diese sind unter
sich allein.
Der große Saal mit K. Sterrers Zeichnungen und Bildern enthält das Beste, was
diesmal geboten wird. Von der vornehmen Feinheit der Ölporträte bis zur großzügigen
Einfachheit und Würde seiner vorwiegend den Fliegern und der Verherrlichung des Flug-
wesens gewidmeten Zeichnungen liegt ein Aufstieg vollgehaltener Kraft, auf sich selbst
ruhender Würde, der eine ganze und starke Persönlichkeit zeigt.
Daneben tritt manches Streben nach Vereinfachung und Konzentration wie in
Gorgon und Zerritsch auf, das von ernstem Wollen Zeugnis gibt, die ausgetretenen Pfade
zu meiden.
1m Mittelsaal ist einigen Architekten Raum gegeben, unter denen Ohmann wohl den
ältesten Anspruch auf Würdigung hat. Die Kultiviertheit und vornehme Haltung seiner
Entwürfe ruht auf trefflich beherrschten und verarbeiteten Traditionen und reifem Können.
Dagegen neigt Theiß zu strammer moderner Forrngebung und Gestaltung. Seine mannig-
faltigen Bauten für Wiener-Neustadt lassen verständnisvolles Eingehen in die Aufgabe und
gemäßigtes Aufnehmen der Zleitbestrebungen erkennen, die er mit der Wertschätzung
der Tradition zu verbinden weiß. Die Baukunst in ihrer strengen Gebundenheit an Material
und Zweckbestimmung, an Örtlichkeit und Ausführbarkeit verträgt mehr wie jede andere
Kunst den engeren Anschluß an die Vergangenheit und erschwert die Freiheit des
Experimentes, wo nicht die Aufgabe selbst ein Neues fordert. Am meisten verlockt die
bemalte Leinwand zur Freizügigkeit. Seit mehr wie einem Jahrzehnt währt das leiden-
schaftliche Bemühen nach Überwindung der Vergangenheit, nach Neuschöpfungen freiester
Art. Auch in der Arbeit der geistig Tätigen", wie sie sich nennen, oder präziser vielleicht
der Aktivisten", die in einer Zeitschrift Der Strah das Programm ihrer Wünsche und
Hoffnungen verkünden, auch in dieser Künstlergruppe verlocken Pinsel und Farbe zu kühnen
Versuchen. Das Innerste unserer Erlebnisse, das Allgemeinste ihrer Wirkungen die Emp-
findungen von Furcht und Qual, von Freude und Sehnsucht, Heiterkeit und Trauer, sollen
durch neue Mittel Ausdruck finden, die möglichst weit von jedem direkten Natureindruck
entfernt sind.
Sicherlich gelingt es Grete Wolf mit ihrem Farbenfeuerwerk, das auf einfachsten
geometrischen Formgrundlagen von kaleidoskopischer Folge enzündet wird, packende und
überraschende Wirkungen zu erzielen. Solche koloristische Experimente sind aber schon
oft und mit tieferem Inhalt und größerem Können versucht worden, ohne daß ihnen das
volle Gelingen beschieden wäre. Ähnliches gilt von den meisten anderen Leistungen, die
mehr Wollen als Können, mehr selbstbewußtes Auftreten als innerlich gefestigtes künst-
lerisches Schaffen starker Persönlichkeiten bringen. Am klarsten tritt in der an das Material
gebundenen Plastik die Begrenztheit der Leistungen in die Erscheinung, Viele Wege führen
nach Rom und die Mittel des Ausdruckes sind mannigfaltig wie die menschliche Wandlungs-
fähigkeit. Zur höchsten Stufe führt aber nur die reinste Absicht und die edelste Begabung.
Sie wirken fern von materiellen Zielen und aktivistischer Propaganda, nur aus innerem
Drang und eingeborener Erleuchtung.
Man vernimmt hier wohl die neue Botschaft, noch fehlt uns aber der Glaube, den sie
erwecken soll. Wir harren der Starken und Großen, die ihn zu erwecken vermögen.
OHANNES ITTEN. Als Mitglied der Freien Bewegung" und doch als einzelner, der
sich stark genug fühlt, mit seiner Arbeit allein auf den Plan zu treten, hat Johannes
Itten seine Ausstellung veranstaltet. Malerei, Plastik und Graphik sollen zusammen-
wirken, um ein Gemeinsames auszudrücken die Überwindung der Naturparallele durch
eine Opposition gegen alte Tradition. Was im Künstlerhaus von den Aktivisten durch
vielerlei verschiedene Richtungen ausgeprägt erscheint, sammelt sich in Itten wie in einem
Brennpunkt. Stärker und sicherer wirbeln und schießen seine farbigen Lichtkegel
Pfeile, Räder, Spiralen durcheinander und schaffen ein vielstimmiges Farbenkonzert von
düsterer, heiterer, bunter Wirkung, die letzten Endes doch stark an das Stofflich-
Kunstgewerbliche heranführt so wenig es die Absicht gewesen sein mag. Ebenso ist
die Plastik, wie Itten sie handhabt, als freies Spiel seiner Phantasie und Hand so abseits
vom Leben, weil auch in ihr eine technische Absicht stärker mitspricht als die Gestaltungs-
kraft, die schöpferische Tat. In seinen graphischen Arbeiten liegt mehr Zusammenhang
mit der Natur, mehr Erinnerung an das Lebendige. Man fühlt dort mehr, von wo der
Künstler ausging und wo er vielleicht wieder heimiinden mag; darum bleibt sie wärmer.
Einstweilen ist er auf der Suche nach Ausdruck für eine eigene Empfindungswelt und
wählt dazu eine Art der. Konstrulhiom-die wohl nur begrenzte Möglichkeiten in sich birgt.
Eine eigene reiche Welt allein aufzubauen, sind wohl auch diese Versuche noch
nicht stark genug, wenn sie auch gewisse Wege weisen. Eine Unterbrechung im Alltag
herbeizuführen und Ausblicke auf unentdecktes Land zu eröffnen, sind sie wohl fähig, und
auch das ist eine tüchtige Leistung. Sie erweckt Erwartungen, die erst zu erfüllen sein
werden. Wer der alten ausgetretenen Pfade müde ist, die häufiger wohl von bequemen
Spaziergängern, seltener aber von Aufwärtsstrebenden, Suchenden beschritten und gepflegt
werden, wird es begrüßen, wenn Mutige und Begabte neue Wege eröffnen.
Das Nachwirken großer Veränderungen, mächtiger Erlebnisse drängt zu neuen
Ausdrucksformen. An das abgeschlossene Werk einer Generation reiht sich das kühn
erwachende Schaffen einer neuen Jugend. Was in ihr gärt und drängt, will andere Mittel
benutzen, als bisher Gepilogenheit war. Sie bezieht neue Sensationen, bisher unaus-
gesprochene Stimmen in ihren Gesang ein. Johannes Itten gehört wohl zu den Stärksten
unter jenen, die "sich bisher bei uns um die Fahnen einer neuen Jugend geschart haben;
viele sehen ihn als ihren Bannerträger an.
HAUS DER JÜNGEN KÜNSTLERSCHAFT. An mehreren Stellen treten
jetzt gleichzeitig kleine Künstlergruppen auf, die ein gemeinsamer Weg zusammen-
geführt und die doch gering an Zahl und noch ohne öffentliche Geltung sind. Sie meiden
zumeist die größeren Verbrüderungen, deren Programm und Urteil sie sich nicht fügen
wollen, und irren noch heimatlos umher, sind auch untereinander gesondert.
jenes alte Palais, das H. O. Miethke einst der Kunst gewidmet hat, birgt einen Aus-
stellungsraum, der so vielen für unser Kunstleben wertvollen Ereignissen den Rahmen
bot in diesem hellen Saal wird nun die junge Künstlerschaft ein neues Heim finden.
O. M. Miethke jun. hat sie bei sich zu Gast gebeten und damit den l-Ieimatlosen eine
würdige Unterkunft eröffnet.
Als erste Ausstellung erscheint eine Kollektion von Werken des Sonderbundes", in
dem wir auch ältere Gäste des Hauses wiederfinden Faistauer, Gütersloh, Harta, Fischer,
Zülow. Die warme satte Farbe Faistauers, die besonders in einem ruhenden zarten Frauen-
akt leuchtend wird, die helle, kühle, schillernde Buntheit Güterslohs, die in iigurenreichen
Aquarellen flimmert, betonen die stärksten Gegensätze, ebenso wie der breite, schwer-
iiüssige Pinsel des Malers und die spitze, phantasievolle Feder des Zeichners verschieden
sind. Unter Hartas flüchtigen Visionen fesselt besonders ein frisches männliches Porträt.
Ihm steht am nächsten Johannes Fischer mit Landschaften und Porträten von stärkster
Leuchtkraft in heller Buntheit. Robin C. Anderson bringt die tonige, auf farbige Einheiten
und Flächenhaftigkeit reduzierte Natur mit starkem, sicherem Umriß. Hier fühlt man
Ansätze zu monumentaler Kunst auch in kleinem Format.
Ähnliches strebt auch H. Schröder mit seinen Häusern und Höfen an, die so ganz
vom Gegenständlichen losgelöst als große, fein zusammengestimmte Töne im Rahmen
nebeneinanderstehen. Hier fühlt man ein Drängen zu einfacher Größe, das manche
Unzulänglichkeit vergessenmacht und in dem man die richtige Wertung der bemalten
Leinwand ahnt. Sie soll wieder über' den engen Rahmen hinaus eine Einfügung in
das bauliche Kunstwerk ermöglichen, sie will nicht die Wand zerreißen, sondern sie
schmücken. Selbst die breiten Holzschnitte Zülows mit ihrem reichen und doch Hächenhaft
stilisierten Detail wachsen zu wertvollem Wandschmuck heran. So ist hier der Maßstab
ein größerer, das Ziel ein höheres als bei dem durchbildeten, präzisen, technisch korrekten
Tafelbild, das bisher das Ziel so zahlreicher Maler war. Diese haben in ihrer Eigenliebe und
sachlichen Gegenständlichkeit keinen hohen Wert für die Raumgestaltung und bereiten
ihr öfter Verlegenheiten als Gewinn.
Die helle weiße Wand ist ein strenger Prüfstein für die flächenbildenden Werke und
es ist ein Vorzug dieser kleinen Bilderschau, daß so viele Arbeiten diese Prüfung bestehen.
Endlich sei noch auf zwei Vitrinen verwiesen, die Besonderes bergen. 1. Zimpel
bringt geschriebene und gezeichnete Bücher von anziehender Art. Nicht nur die künst-
lerische Schriftbehandlung zeigt eine meisterhafte Hand, auch die Art, wie sich miniaturartig
oder rein zeichnerisch die Initialen oder Illustrationen in das Bild der Buchseite einfügen,
zeigt ein feines Können und reifen Geschmack. Das Buch wird wieder ein Kunstwerk von
tadelloser Einheit, wie es die Schriften der Mönche boten.
RIEL BIRNBAUM. Seit seinem ersten Auftreten bei H. Heller sind einige Jahre
verilossen, und zwar solche, die im Erleben des Menschen ein Vielfaches bedeuten.
Der junge Künstler war an der Front, hat die Greuel des Krieges in schwerster Form mit-
erlebt und ist gereifter, vertiefter als Kriegsinvalider in die Heimat zurückgekehrt. Er hat
auch unter schwierigsten Umständen in der Kaveme seinem heftigen Arbeitsdrang folgen
müssen und bietet nun in den Räumen der Wiener Zeitkunst" eine Übersicht über seine
Arbeit. Sie ist einerseits das Ergebnis der tiefen Eindrücke äußerer Erlebnisse, die sich
jedoch stets in einer vom Zufälligen fast losgelösten Form darstellen; dann bringt er
zyklische Folgen von zusammenhängenden Kompositionen, wie Gebete in Sonetten",
SeelenspiegeW, den Totentanz", Gottes Krieg", Ein Weg zu Gott", sowohl in Ent-
würfen mit farbigen Kreiden als in größeren Ausführungen mit farbigen Tinten und Quell-
stiftkonturen. Die Federzeichnungen seiner ersten Entwürfe sind breiten und stark farbigen
phantasievollen Darstellungen gewichen, die einen mannigfaltigen Einblick in eine reiche
und nach vielgestaltigem Ausdruck ihrer Erlebnisse ringende Seele gewähren. Diese Blätter
erinnern in ihrer Leuchtkraft und fest umrissenen Formgebung an prächtige bunte Glas-
fenster, in denen des Künstlers Welt als eine stark farbige Vision erscheint. In einem an-
ziehenden Vorwort zum Bilderverzeichnis umschreibt er seine Grundanschauungen, läßt
seine tiefe Gläubigkeit erkennen, die ihn zu dem Bekenntnis führt Die Welt als Gottes
Werk ist der Inhalt aller Kunst." Ihm ist die Kunst ein Streben nach einer Wahrheit, aber
einer tieferen als der impressionistischen Wahrheit"; auch der überintellektuelle Expres-
sionismus liegt ihm fern. Er gibt die Welt wieder, wie sie ihm seine Sinnesorgane spiegeln,
aber als eine gesetzmäßige Folge von Erscheinungen, die einen inneren Zusammenhang
besitzen und einem Aufbau angehören, als dessen gestaltende Kraft das göttliche Gesetz
ihm gilt. Die starke Produktivität seiner Phantasie besitzt zugleich eine suggestive Wirkung,
die den Beschauer in ihrem Banne festhält. Die Leichtigkeit und Sicherheit, mit der die
Visionen niedergeschrieben sind, gibt ihnen den Charakter des Selbstverständlichen, Natür-
lichen, so weit sie sich auch von der alltäglichen Welt fernzuhalten vermögen. Man folgt
dem überzeugten und schaffensfreudigen Künstler mit Spannung und Interesse in die
geheimnisvollen und beziehungsreichen Gefilde, die er vor uns erschließt und glaubhaft
macht, weil er selbst an ihr Dasein glaubt.
In einem mündlichen Vortrage, dem die Vorlesung einiger seiner schönen Sonette
folgte, hat Uriel Birnbaum seinem Glaubensbekenntnis einen stärker betonten Ausdruck
gegeben. Er ist dem Heidentum feindlich gesinnt und erkennt nur eine wahre Gläubigkeit
an, in der er das Heil der Menschheit erblickt. Mit derselben Wärme der Überzeugung,
die aus seinen Kompositionen spricht und in seinen Dichtungen glüht, tritt er auch mit
gesprochenen Worten für sein größtes Ziel, für die Verherrlichung Gottes und seiner Welt,
ein. Auch die schwersten Opfer des Krieges haben ihn darin nur bestärkt und so ist zu
erwarten, daß er auf den begonnenen Wegen fortschreiten und immer stärkere Ausdrucks-
mittel finden wird, um in seiner Weise Gott zu dienen. Seine Kunst ist ihm Gottesdienst.
Das Walten einer höheren Macht, eines unendlichen Zomes und einer unendlichen Güte
spricht aus allem, was er schafft.
ELY STEINER BEI HALM UND GOLDMANN. Eine größere Zahl von
Radierungen und einige Porträtstudien und Aktzeichnungen geben ein anziehendes
Gesamtbild der künstlerischen Persönlichkeit Lilly Steiners.
Die Art, wie sie die Darstellung des weiblichen Körpers und seiner Bewegungen auf
eine suggestive Wiedergabe des wesentlichsten vom Umriß zu beschränken vermag, zeigt
eine sichere Hand und feine Beobachtung. Die Art, wie sie aber die Landschaft beherrscht
ganz besonders die Schneelandschaft im Gebirge und auch hier mit einem Minimum
von Strichen ein Maximum von Ausdruck verbindet, das üößt Respekt und lebhafte Freude
ein, Freude am Natureindruck, der so restlos festgehalten ist, und Respekt vor der Zurück-
haltung und Selbstbeschränkung beim Gebrauche der Hilfsmittel.
Die Graphik ist eine Kunstform, bei der es ganz besonders zur Meisterschaft gehört,
mit Wenigem viel zu sagen. Und daß die Künstlerin dieses Ziel so gut erreicht, wird ihr auch
zu besonderem Verdienst. Man wertet es gerne voll und ganz, wenn man an manchen
Blättern sieht, daß sie sich zu dieser Sicherheit und Freiheit erst durchringen mußte; nicht
alle Studien und namentlich nicht ihre früheren Arbeiten sind so frei von Ängstlichkeit
oder Gebundenheit an das Detail, wie es die späteren und insbesondere die radierten
Blätter zumeist gänzlich sind. In dieser Überwindung liegt das beste Zeugnis von Kraft
und Ernst.
UNSTAUSSTELLUNG. PENSIONSGESELLSCHAFT BILDENDER
KÜNSTLER IN WIEN. Bei Wawra hat eine Gruppe von Künstlern eine kleine
Schaustellung ihrer Arbeiten veranstaltet, die durch ihre Zugehörigkeit zur Pensions-
gesellschaft, also vorwiegend durch eine wirtschaftliche Interessengemeinschaft verbunden
sind. Trotzdem vermag die gruppenweise Reihung von Kollektionen schon dadurch unsere
Sympathie zu erwecken, claß das Zurückgreifen auf abgeschlossene Erscheinungen neben
dem Auftreten jüngerer Persönlichkeiten mit gleicher Objektivität geschieht. Es ist inter-
essant zu sehen, wie die Kostümstudien Alwyn von Steins ganz noch die satte und Hüssige
Aquarellmalerei der Makartschen Zeit atmen, während Remigius Geyling mit seinen
strammen ornarnental gerahmten Szenenbildem ganz den aufs Kunstgewerbliche gerich-
teten Sinn der nächstfolgenden Zeit verkörpert. Auch Kundmanns akademisch elegante
Bildnisse muten heute naturalistisch an, wenn man den strengen Stilismus der nächsten
Zeit damit vergleicht. Die Pensionsgesellschaft wurde im Mai x788 bei Anton Maulbertsch
begründet und umfaßte in ihrer i3ojährigen Lebenszeit so viele Künstlerlaufbahnen von
Bedeutung, daß das Versprechen der Arbeitsgruppe", neben den jährlichen Ausstellungen
der jetzigen Mitglieder auch retrospektive Darbietungen von Sammlungen der Werke
einzelner verstorbener Künstler durchzuführen, den Beifall der Kunstfreunde finden wird;
besonders wenn dabei solche Künstler bevorzugt werden, deren Werk nicht schon zu
bekannt wurde und die so eine späte Anerkennung erlangen mögen, indem ihre Arbeit neue
Beziehungen zu uns findet.
KLEINE NACHRICHTEN 50'
ER RECHTSSCHUTZ DES I-IEIMISCHEN KUNSTHANDWERKES."
Mit der Herausgabe des vorliegenden Werkes hat sich der Österreichische Werk-
bund ein unleugbares Verdienst erworben. Das Kunsthandwerk bedarf nicht nur der
fachlichen Förderung in wirtschaftlicher und ästhetischer Hinsicht, sondern auch einer
Sicherung seiner Rechtsgrundlagen. Der Schutz, den die Rechtsordnung dem Schaffen des
Kunsthandwerkes gewährt, kann zu einer mächtigen Förderung seines Schaffens werden,
wenn es die nötigen Kenntnisse über die ihm zustehenden Rechte und deren Grenzen hat.
Nun ist bei uns, wie anderwärts, dem schaffenden Künstler, aber auch dem Unternehmer,
der kunstgewerbliche Erzeugnisse nach künstlerischen Entwürfen herstellt, in der Regel
1m Auftrage des Österreichischen Werkbundes verfaßt von Dr. Ernst Bettelheirn und Dr. Max Leopold
Ehrenreich. Mit einem Geleitwort von Dr. Franz Klein. Verlag Carl Fromme, Wien-Leipzig.
kein Gebiet verschlossener als das des Rechtsschutzes geistigen Schaffens. Die vorliegende
Veröffentlichung muß daher dankend begrüßt werden.
Die beiden Bearbeiter haben sich in die Arbeit derart geteilt, daß Bettelheim in einer
Einführung den Rechtsschutz schöpferischer Ideen im allgemeinen und im Kunstgewerbe
im besonderen behandelt, sodann in eingehender Darstellung den Kunstschutz kunst-
gewerblicher Erzeugnisse bespricht, während Ehrenreich den Musterschutz behandelt.
Weitere Abschnitte von Bettelheim behandeln das Namens- und Firmenrecht, das Waren-
zeichenrecht, den Schutz gegen unlauteren WetLbewerb und die Rechtsbeziehungen zum
Auslande. Wie das Geleitwort von Franz Klein hervorhebt, erstreckt sich die Unter-
suchung zum erstenmal auf sämtliche Reclitsquefcn, die für den Schutz der Edelarbeit
von Belang sein können". Sie werden alle aus dem Gesichtspunkte der Zweckkunst
durchleuchtet, so daß nichts im geltenden Rechte entgehen kann, was zu deren Gunsten
verwendbar wäre." Die Darstellung entspricht ihrem Zweck. Sie ist gemeinverständlich
gehalten, was bei der Schwierigkeit der zu behandelnden Rechtsfragen nicht leicht war
und ein schönes Zeugnis für die vollständige Beherrschung des zu behandelnden Stolfes
durch die Verfasser gibt. Die Anordnung ist übersichtlich und ermöglicht das Auffinden
einschlägiger Stellen. Leider fehlt jedoch ein Sachregister, das bei Werken, die weniger
der Lektüre als dem Nachschlagen dienen, kaum zu entbehren ist.
'Über einzelne Rechtsfragen und deren Auffassung durch die Herren Bearbeiter mich
mit diesen auseinanderzusetzen, ist hier wohl nicht der geeignete Ort. Es liegt in der Natur
der Sache, daß man in vielen Punkten verschiedener Meinung sein kann, aber im großen und
ganzen wird das Buch allen, die es zur Hand nehmen, ein verläßlicher Führer auf einem
der schwierigsten Rechtsgebiete sein.
Nur eine kritische Bemerkung kann ich nicht unterdrücken. Wenn Bettelheim der
Ansicht ist, daß Werke des Kunsthandwerkes schon nach geltendem österreichischen
Rechte Kunstschutz genießen, so ist dies das gute Recht seiner wissenschaftlichen Über-
zeugung, zumal er, wie ich nicht leugnen kann, treffliche Gründe für seine Ansichten ins
Feld führt." Allein er hätte doch nicht den Anschein erwecken dürfen, als ob diese An-
schauung unbestritten oder doch auch nur als die herrschende angesehen werden kann.
Ich glaube, die Leser werden aus Bettelheims Darstellung nicht entnehmen können, daß
fast alle Autoren und nahezu sämtliche bekannt gewordenen Sprüche der Gerichte den
Standpunkt vertreten, daß kunstgewerbliche Erzeugnisse den Kunstschutz nach öster-
reichischem Rechte nicht genießen. Ein Hinweis auf diese Tatsache hätte in dem so treff-
lichen Werke nicht nur so ganz nebenbei gemacht werden sollen. Robert Baitsch
BERLINER AUSSTELLÜNGSVVESEN. So wenig sympathisch es oft war, Krieg
und Kunst zusammen vor den Wagen nationalistischer Politik gespannt zu sehen,
so wenig will es uns auch heute ratsam dünken, Kunst und Revolution in unmittelbare
Wechselwirkung zueinander zu bringen. Eines hat die Revolution geschickt aus der Kriegs-
zeit herübergenommen die Konjunktur. Jener Sinn für die breiteste Ausnützung zeitiger
Werte, denen schwebende Verhältnisse einen hohen spekulativen Reiz sichern, schuf im
Berliner Kunstleben in den beiden letzten Jahren des Krieges eine Auktionskonjunktur,
die in Deutschland bis dahin unbekannt gewesen war. Die Geldkonjunktur warf sich
auf die Werke alter Meister, deren Wert sich durchschnittlich verdreifachte. Den
Sensationen der Auktionen von Kaufmann und von Oppenheim hatte das Kunstleben der
modernen Künstler nichts entgegenzustellen. Diese Geldkonjunktur ist jetzt in der Revo-
lution, nachdem der große Konkurrent der Auktionen alter Meister ausgefallen ist, auf die
Werke der jüngsten übergegangen, die nun dem Publikum mit ihren ebenfalls verdrei-
fachten Preisen die Nachforderung ihrer einstigen unsozialen l-Iintansetzung präsentieren.
Der Kunsthandel mit seinem großen Kriegsauftrieb findet hier seine neue Beute. Dabei ist
die Geldkonjunktur unmerklich in eine Gesinnungskonjunktur übergegangen, Es wird irnmer
deutlicher werden und dies zur Ehre der modernen Bewegung daß sie der Gesinnungs-
konjunktur der Revolution nicht bedurft hätte, um sich Geltung zu verschaffen. Längst vor
und während des Krieges war der Ernst des Strebens klar geworden. Und es wird ebenso
immer deutlicher werden, daß der Umsturz der allgemeinen Verhältnisse der neuen Kunst-
bewegung eine Wertung, zu deren Anerkennung man suggeriert wurde eben eine
Gesinnungskonjunktur gebracht hat, die nur einem eilfertigen, halbfertigen Mitläufertum
zugute kommen konnte.
Jene Gesinnungskonjunktur hat nun die schwankende Politik der Berliner Ausstellungs-
verhältnisse nicht eben zu festigen vermocht. Die Angst vor der Jugend um jeden Preis
hat den mittleren Talenten den Halt genommen. Mußte schon das kleine Häuflein der
Berliner Sezession, das blieb, als der entwicklungsfähigere Zweig der Freien Sezession
neue Wurzeln suchte, sich jede Jugend als Mitgliederzahl verschreiben, so hat aber
besonders die Freie Sezession nur mit der Gesinnungskonjunktur der modernen Bewegung
gegenüber verrnocht, sich zu halten, indem sie ihr Stimme im Vorstand und Jury ein-
räumte. Niemand würde hier von einer Gesinnungskonjunktur reden, würde es sich dabei
allemal um reifende Qualität handeln. Man wird von einem so ernsten Menschen wie
Schmidt-Rothluf, der im Vorstand der Freien Sezession stellvertretend sitzt, künftig nicht
nur Gesinnung, sondern auch Qualitätsgefühle erwarten dürfen. Denn es wäre auf die Dauer
für die Entwicklung des Expressionismus von schwerstem Nachteil, wenn jetzt nach zehn-
jährigem Ringen man immer noch das Gefühl des Bahnfreimachens an erster Stelle oder
der Gesinnung, die eifernd das bloße Programm fordert, hätte. Die Frage steht jetzt nicht
mehr nach der Gesinnung, sondern allein nach der Qualität. Nur sie kann die Gesinnungs-
konjunktur unserer Tage eindämmen und die Revolution aus der Kunst herausreißen, wo
es sich doch nur um Evolution handelt. Dabei ist es seltsam, daß die, welche sich durch
Gesinnung, sei es nun Qualität oder Unqualität, verbunden fühlen, durch keine starke
Ausstellungsorganisation repräsentiert werden. In der alten Berliner Sezession, wie auch
in der Freien Sezession, hat der Expressionismus seinen Platz. Und dazu ist nun eine dritte
Gruppierung als Novembergruppe" aufgetaucht, die sich vornehmlich aus der Freien
Sezession nach links entwickelt hat. Vielleicht ist hiefür vielfach der Kunsthandel als Grund
anzuführen, der gierig nach dem Verlagsrecht eines der Führer der Expressionisten greift
und gerne sieht, wenn er auch in Ausstellungen getrennt, jedenfalls nicht mit Großen
zusammenauftritt, die ein anderer Händler okkupiert hat. Keinesfalls kann selbst einer so
eminent vitalhungrigen Stadt wie Berlin diese Ausstellungspolitik aus persönlichen Gründen
auf die Länge zur Förderung gereichen. Aus diesem Grunde ist der Plan, alle Ausstellungen,
wie einst vor Gründung der Sezessionen, in einer großen Schau zu vereinigen, zu begrüßen.
Angeregt durch die Ausstellungsnot im Kriege hinsichtlich des Raummangels, mußte die
alte Große Berliner Kunstausstellung" nach Düsseldorf gehen und konnte es dort jeden-
falls nicht wagen, ohne Einbeziehung der beiden Sezessionen als ehrlicher Repräsentant des
Berliner Kunstlebens aufzutreten. So wird in einer Woche diese Gesamtschau diesmal in
Berlin eröffnet werden. Einen wahren Sinn wird aber jene große Ausstellung nur erlangen
können, wenn sie jene Gruppen, die ohne einheitliches Kunstprogramm lediglich auf einen
Vereinscharakter herabgesunken sind, überflüssig machen. Auch der vitalste Kunstdrang
kann in einer Stadt vier große Kunstausstellungen und ein Dutzend Kunstsalons, die in der
letzten Zeit sich abermals vermehrt haben, nicht ertragen. Wenn in diesem Monat die große
Schau eröffnet sein wird, wird es sich zeigen, inwieweit jenen Sezessionen noch ein
Daseinsrecht zukommt oder inwieweit die große Vereinigung der Gruppen schon eingängig
erscheint. Jedenfalls steht die Ausstellungspolitik des Berliner Kunstlebens vor weit-
tragenden Ereignissen. W. Kurth.
IEN. KÜNSTLERFÜRSÜRGE. Das Präsidium und die Geschäftsleitung des
Künstlerfürsorgekomitees versenden den Bericht über die fünfjährige Tätigkeit
dieser Hilfsaktion für die durch den Krieg in Not geratenen bildenden Künstler. Das Komitee
hat bisher 6994 Unterstützungsakte mit einem Gesamtaufwande von 371.700 Kronen
37
286
erledigt. Diese Gesuche wurden von 879 Künstlern 638 Malern, x80 Bildhauern, Archi-
tekten eingebracht. Die Gesamteinnahmen des Komitees einschließlich Zinsen und Rück-
zahlungen betrugen bisher 42x.867 Kronen 73 Heller. Für die Geschäftsführung Kanzlei-
spesen, Drucksorten, Porti usw. wurde während der fünf Jahre nur der Betrag von
1753 Kronen aufgewendet.
WETTBEWERB. Zur Förderung der Originalradierung veranstaltet der Verein
für Exlibriskunst und Gebrauchsgraphik zu Berlin einen mit außergewöhnlich hohen
Preisen ausgestatteten Wettbewerb zur Erlangung einer Exlibrisradierung für eine kunst-
und kulturgeschichtliche Bücherei. Es kommen xo.ooo Mark zur Verteilung. Der erste Preis
beträgt 3000 Mark, außerdem sind Ankäufe vorgesehen. Bedingungen sind vom Geheimen
Regierungsrat W. von Zur Westen, Berlin SW. Hallesches Ufer xg. zu beziehen.
MITTEILUNGEN AUS DEM ÖSTERREICHI-
SCHEN MUSEUM
PERSONALNACHRICHT. Der Niederösterreichische Gewerbeverein hat in seiner
Hauptversammlung am g. Mai 1.. den Direktor des Österreichischen Museums Hofrat
Dr. Eduard Leisching einstimmig zum korrespondierenden Mitglied gewählt.
SONDERAUSSTELLUNGEN IM MUSEUM. Im Saale IV sind die besten
vorderasiatischen Knüpfteppiche des Institutes zu einer Ausstellung vereinigt. Der
wertvolle Bestand, der das Österreichische Museum in die erste Reihe aller Teppich-
sammlungen stellt. ermöglicht eine geschlossene Darbietung der Hauptgattungen aller
Orientalischen Teppiche an ausgezeichneten Beispielen. Zum Teil gehören diese zu den
hervorragendsten, die sich aus alter Zeit erhalten haben; sie kennzeichnen Höhepunkte
eines klassischen, technisch und künstlerisch sehr verfeinerten Teppichstils. Der pracht-
volle Vasenteppich" mit weißem Fond ist ein Werk der Blütezeit persischer Teppich-
knüpfkunst aus der zweiten Hälfte des XVI. jahrhunderts. Ihm steht an Bedeutung nahe
ein Tierteppich" mit rotem Grund. Zwei indische Teppiche gehören zu den glänzendsten
Beispielen ihrerArt. Diesen Gruppen schließen sich an persischeErzeugnisse mit vegetabilen
Mustern des XVI. bis XVII. Jahrhunderts, annenische mit stark stilisierten Tierfiguren
und Ptlanzenmotiven, sowie charakteristische türkische Teppiche. Kleinasiatische mit
geometrischer Stilisierung und im sogenannten Uschaktypus sind ebenfalls vertreten,
besonders kennzeichnend auch die prächtigen Seidenteppiche Persiens mit Metallgrund,
welche als Polenteppiche" bekannt sind. -Zu diesem alten Museumsbestand sind einzelne
Neuerwerbungen der letzten Jahre hinzugekommen, interessante, bisher noch nie zur Schau
gestellte Fragmente und ganze Stücke. Außer den Teppichen, deren prächtige Farbigkeit
und reiche Formenwelt ein eindrucksvolles Gesamtbild ergeben, sind noch andere Textil-
arbeiten Gewebe und Stickereien, zum Teil aus der Blütezeit der Kunst Persiens, ferner
einige spätere persische und indische Metallarbeiten sowie auf dasjahr 1296 zu datierende
Holzschnitzereien aus Kairo zur Schau gestellt. Diese Zusammenfassung in Verbindung
mit der vorderhand wegen Raummangel noch in der allgemeinen Abteilung der Keramik
belassenen islamischen Keramik läßt erkennen, wie wichtige Anfänge bereits für eine
ganz hervorragende Sammlung osmanischer Kunst, die gewiß in Wien am Platze wäre,
vorhanden sind. Ihr Ausbau und entsprechende Darbietung wird eine I-lauptsorge des
Österreichischen Museums sein müssen.
Im Säulenhofe sind bedruckte Stoße ausgestellt, reizvolle Musterbespiele altöster-
reichischer Manufakturen aus der großen, vor kurzem vom Österreichischen Museum
287
übernommenen Sammlung, welche seinerzeit zum Nationalfabriksprodukten-Kabinett der
Technischen Hochschule gehörte.
UHRUNGEN IM OSTERREICI-IISCHEN MUSEUM. Im Einver-
nehmen mit dem Staatsamt für Inneres und Unterricht sowie mit dem niederöster-
reichischen Landesschulrat finden vom n. Juli angefangen während der Schulferien für
jene Mittelschüler und -schülerinnen, welche heuer die Stadt nicht verlassen können,
an allen Freitagen und Samstagen um Uhr nachmittags fachmännische Führungen
durch die Kunst- und Vorbildersammlung sowie die Sonderausstellungen des Öster-
reichischen Museums statt; im Anschluß hieran sind Kunstwanderungen durch Kirchen und
Straßen Wiens geplant. Die Teilnahme an diesen Führungen ist unentgeltlich und an keine
Kartenausgabe gebunden. Seit Ende Juli finden auch an jedem Samstag um Uhr nach-
mittags Fiihrungen des Vereins der jugendlichen Arbeiter statt.
ESÜCH DES MÜSXEÜMS. Die Sammlungen, Ausstellungen und Führungen des
Museums wurden in den Monaten Mai, Juni und Juli von 15.4r8, die Bibliothek von
4.722 Personen besucht.
ÜDVVIG LQBMEYR-GEDENKTAFEL. Im Stiegenhause des österreichischen
Museums wurde vor kurzem eine Gedenktafel an den vor zwei Jahren verstorbenen
Altmeister der österreichischen Glaskunstindustrie Ludwig Lobmeyr angebracht und damit
die im Museum vor Jahren begonnene dauernde Ehrung um das österreichische Kunst-
gewerbe verdienter Männer, wie Philipp Ritter von Haas, Professor Ferdinand Laufberger
und Rudolf von Waldheim fortgesetzt. Die Gedenktafel, welche das Reliefbildnis Lobmeyrs
tägt, wurde von Bildhauer Otto I-Iofner ausgeführt.
KUNSTGEVVERBESCHTJLE. Ergebnis der diesjährigen Preisverleihung Den
Max Mauthner-Preis, gestiftet von der niederösterreichischen Handels- und Gewerbe-
kammer, erhielt die Schülerin Maria Josefa Hödl Schule Professor Josef Hoffmann;
den Eitelberger-Preis und den Lobmeyr-Preis, beide gestiftet von der Gesellschaft zur
Förderung der Kunstgewerbeschule, erhielten der Schüler Leopold Kleiner Schule
Professor Josef j-Ioffmann und die Schülerin Margarete Lihotzky Schule Professor
Dr. Strnad; das Rainer-Reisestipendium erhielt der Schüler des chemischen Laboratoriums
Paul Florian Professor Dr. Selch; aus der Rothschild-Stiftung wurden bedacht die
Absolventen Josef Gottwald, Hans Koch, Franz Kuhn, Guido Uxa, sämtlich Architekten,
ferner der Maler Richard Dillenz und die Kunstgewerblerin Anna Depolo Innsbruck, der
Steinbildhauer Franz Santifaller, der Holzbildhauer Edwin Grienauer und der Chemiker
Paul Florian.
LITERATUR DES KUNSTGEWERBES so
LUX, A. Der Künstler und die neue Zeit. Innen-
Dekoration, April.
ÄSTHETIK- KÜN STG EWERB- NEUMANN. cn. Kunstgewerbe Brotstudium. Sticke-
rei- und Spitzen-Rundschau, ri.l.
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Jäm-Febr.
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GLASMALEREI. MOSAIK so
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ZIMMERMANN, E. H. Zeichnungen von Romako und
Makart. Die bildenden Künste, März.
IV. TEXTILE KUNST. KOSTÜME.
FESTE. LEDER- UND BUCH-
BINDERARBEITEN so
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rei- und Spitzen-Rundschau, März.
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KLOBUCAR, P. Emmy Zweybrlick. ihre Werkstätte und
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Spitzen-Rundschau, März.
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Kunst, Mai.
V.SCI-IRI'FT. DRUCK. GRAPH.
KUNSTE s.
BAUMEISTER, E. Zum Werke des Meisters der Spiel-
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BÜRGER, L. Ludwig Enders. Dekorative Kunst, April.
FRÖHLICH, A. Zur Geschichte der Druckerei des
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März-April.
Alle für Kunst und Kunsthandwerk" bestimmten Sendungen sind an die Redaktion dieser Monatsschrift,
Wien, I., Stuhenring zu richten. Für die Redaktion verantwortlich Franz Ritter.
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NEW-YORK LONDON W.
34. UNION SQUARE, EAST 14, POLAND STREET
VERLAG VON ARTARIA 85 Co., WIEN
Nach einem Aquarell von Rudolf Alt Der Hohe Markt", 1835
RUDOLF ALT
SEIN LEBEN UND SEIN WERK
HERAUSGEGEBEN VOM MINISTERIUM FÜR KULTUS UND UNTERRICHT.
TEXT VON LUDWIG HEVESI,
nach dem hiuterlassenen Manuskripte für den Druck vorbereitet durch KARL M. KUZMAN Y.
23 Bogen Gr. 4'. 61 Tafeln, davon 31 farbig. 100 Textbilder, davon farbig. Gebunden in Original-Leinenband.
Einmalige Ausgabe in 500 Exemplaren und 50 unverkiuf liehen Dedikationsexemplaren.
Subskriptionspreis 200.-. Die Erhöhung des Preises wird vorbehalten.
Dieses Werk erschien als zweite Veröffentlichung einer Serie von Monographien, die in monumentaler Weise
das Schafen der ößten österreichischen Kunstler des neunzehnten Jahrhunderts darstellen werden.
Der bildlichen undgtßuehausstattung wurde besondere Sorgfalt gewidmet und unter vielen Hunderten
von Bildern l6l zur Re roduktion gewählt, so dalj das Werk vermö seines interessanten Inhaltes, der
reichen Ausstattung un der kleinen einmaligen Auflage sich als IEBHABERAUSGABE repräsentiert.
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LANDISCHE LITERATUR
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GEBIETEN DER KUNST UND DES KUNSTGEWERBES IN
DEUTSCHER, ENGLISCHER UND FRANZÖSISCI-IER
SPRACHE. VORZÜGLICHE VERBINDUNGEN MIT DEM AUSLANDE
ERMÖGLICHEN DIE RASCHESTE BESORGUNG DER LITERARISCHEN
ERSCHEINUNGEN ALLER LANDER
UNTERHALTUNQSLEKTÜRE UND JOURNALE
IN DEN EUROPAISCHEN KULTURSPRACHEN
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PRAGI GRABEN 57. BUDAPEST WAITZNERSTRASSE 25.
Alle für Kunit und Kunsthnndwerk" bestimmten Sendungen sind an die Redaktion dieser Monatsschrift Wien, Snlbenring
zu richten. Für die Redaktion verantwortlich Franz Ritter.
Au der Slutadruckerei.