TÜRKISCHE DEKORATIONSKUNST so von HEINRICH GLUCK-WIEN so- IE islamische Kunst ist wie die christliche keine ein- heitliche, insofern sie sich auf die verschiedensten Kulturgebiete erstreckt und von den verschieden- sten Volkselementen getragen wird. Von diesen Volkselementen hat man zuerst das arabische als das maßgebende und geradezu allein ausschlag- gebende für die islamische Kunst erkennen wollen, von ihm erhielt sie zuerst ihren Namen. In letzter Zeit hat man begonnen, auch dem Persischen eine maßgebliche Rolle bei der Bildung und Entwick- lung dieser Kunst zuzuerkennen. Das Türkische wurde bisher kaum beachtet, obwohl schon die äußere politische Geschichte der islamischen Völker einen Fingerzeig für dessen Bedeutung hätte abgeben können." Bis in unsere Zeit mochte da die Vorstellung von der großen Gefahr nachwirken, die die Türken einst für Europa bedeuteten, derzufolge man sie zu einem unkultivierten Barbarenvolke stempelte und ihnen jede eigene schöpferische Kraft absprach, ihre Kunst höchstens als ein Sammelsurium der verschiedensten fremden Elemente gelten ließ. Aber haben nicht auch in Kunstepochen, die uns näherstehen, wie etwa in der italienischen Renaissance, die verschiedensten Ströme zusammengewirkt, ohne daß sie eine Einheitlich- keit vermissen ließen, deren Grundlage und Wert eben in dem einheitlichen volklichen Träger liegt, der das Verschiedenartige zu einem Neuen zusammen- faßte un'd umgestaltete? Und wenn Jakob Burckhardt, der große Geschicht- schreiber der Renaissance, sagt: „Ein wahrhaft reiches Volk wird dadurch reich, daß es von andern vieles übernimmt und weiterbildet", so sind die Türken keineswegs die letzten, von denen dieses Wort zu gelten hat. Denn schon an ihren Stammsitzen inmitten der asiatisch-europäischen Welt, an dem goldreichen Altaigebirge, trafen sich die drei größten Kultursphären, die ost- asiatische, die indische und die westasiatisch-europäische. Und nicht weniger waren es ihre Schicksale, als sie aufbrachen, um fremde Gebiete zu erobern, die sie zu Vermittlern der verschiedensten Kul- turen, zu einer internationalen Aufgabe in wei- testem Sinne beriefen, zugleich aber auch im Kampfe mit diesen Kulturen ihre nationale Eigen- art immer wieder kräftigen und bewahren ließen. 1. ALTAIISCH-TÜRKISCHES. Die älteste Kunst der Türken steht im Zei- chen jener Volksmassen, die im Gegensatze zu " Nur Georg Jakob hat die Rolle der Türken nachdrücklicher Abb. i. Goldtier aus Sibirien betont. Siehe „Der Islam", Band I, Seite 64 lT. (Petersburg, Eremitage) v