Schon zur Zeit der Gotik aber wird vielfach nach Vorlagen von Künstlern gearbeitet. Deutlich ist im XV. Jahrhundert ein Eingreifen der Künstler zu erkennen, der Künstler, deren Individualität nun zu erstarken beginnt, indem sie sich immer mehr von den Fesseln handwerklicher Zunft befreit. Zu einem solchen Eingreifen drängte übrigens auch die Entwicklung des Kunsthandwerks an sich, denn die Formensprache der Gotik, vor- wiegend aus allgemeinen architektonischen Elementen bestehend, war individuelleren Schöpfungen nicht günstig." Den Arbeiten nach Vorlagen von Künstlern kam, der üblichen Produktion gegenüber, eine besondere künstlerische Note zu, die im handwerklichen Betrieb nicht zu gewinnen war. Es ist hier an Blätter wie Schongauers Rauchfaß, Israhel van Mecke- nems Bischofsstab sowie an omamentale und iigürliche Vorlagen des Meisters E. S. zu erinnern. Der Ornamentstich tritt nun ins Leben, der mit Recht von Lichtwark als „ein Ergebnis der Lostrennung des Künstlers vom Handwerker" be- zeichnet w_0rden ist. Vom Ornamentstich sind freilich die bloßen Werk- zeichnungen abzusondern, aber auch so erscheint die Anzahl der erhaltenen gotischen Ornamentstiche als eine beträchtliche. Wir kennen auch Beispiele ihrer Verwertung. Hiezu kommt noch die Benutzung von Stichen, welche zunächst gar nicht als „Vorlagen" gedacht warenf" Der Künstler beginnt sich im Handwerk zu regen und es ist vor allem die Goldschmiedekunst, die daraus Nutzen zog. Im Vergleich zur Entwicklung des Omamentstiches als Vorlage während des XVI. Jahrhunderts muß für das XV. und den Beginn des XVI. jahr- hunderts die Einüußnahme der Künstler noch als sporadisch bezeichnet werden. Die Künstler geben nichts Neues, nur eben alles viel künstlerischer. Die Situation ändert sich mit dem Eindringen der neuen Formen der Renaissance. Diese wurden von den jungen Leuten mit Eifer aufgegriffen und in zahlreichen Omamentstichen, Model- und Kunstbüchlein propagan- distisch verwertetfhk" Es ist schon des öfteren darauf hingewiesen worden, daß die Spätgotik ein durchaus lebensvoller Stil gewesen sei und daß keine innere Notwendigkeit vorlag, die alten Bahnen zu verlassen. Als historisches Urteil Nachgeborener ist dies richtig, es verleitet aber zu Ungerechtigkeiten in der Einzelbeurteilung, vor allem zu einer allzu starken Betonung des Begriffes der Mode bei diesem Anlaß. Gewiß gab es Mitläufer der neuen Richtung, aber man braucht sich nur Dürers Ringen mit der neuen Form- " Albert Brinvllmalih, "D59 P1111559)" Bßdßlltung der Ornamentsüche für die deutsche Frllhrenlisssnce", Straßburg xgoy, Einleitung. "u Über Art und Umfang der gotischen Ornnmentstiche vgl. Lichtwark, „Der Ornnmentstich der deutschen Frührenaisssnce", Berlin 1888, Seite m5. - Lehrs, „Über gestochene Vorlagen für gotisches Kirchengerät" in der „Zeitschrift fllr christliche Kunst". 1893, Seite 65 ff. - Über Verwertung von Stichen vgl. A. Brinck. mann, a. a. 0., Seite 6 f., Lehrs im nlnhrbueh der Preußischen Kunstsammlungen", Band XVIL und H. Schmitz, "Die Glasgemälde des Kunstgewerbemuseums in Berlin", xgxg, Seite log. "V Lichtwark, a. m0. - Deri, „Das Rollwerk in der deutschen Omarnentik des XVI. undXVlL Jahrhunderts", Berlin, 1906. - Auf den Ornnmentstich ist neuerdings durch die jüngste Publikation des Österreichischen Museums (Ritter, „Illustrierter Katalog der Ornarnentstichsammlung", xgxg) die Aufmerksamkeit gelenkt worden.