S2 Persönlichkeit gesellt sich hier noch das Übergewicht eines königlichen Bestellers und seines Hofes mit ausgesprochenen Anforderungen und Geschmackstendenzen. Unter der Sonne dieser beiden Faktoren wuchs die französische Kunst zu ungeahnter Höhe empor. Die Leitung der Manufaktur hatte der Maler und Bildhauer Lebrun inne, sein Einfluß erstreckte sich auf alle Kunstgewerbetreibenden des offiziellen Frankreich. In dieser Zeit beruhte die Fortentwicklung mehr denn je auf den Orna- mentstichen, die in großer Zahl entstanden. Allein von Le Pautre sind mehr als 2000 bekannt. Das gesamte kunstgewerbliche Schaffen zeigte sich von einzelnen Künstlerpersönlichkeiten beherrscht, die Führung war dem Hand- werker vollständig entwunden. Eine Fülle neuer Formgedanken mit reichen individuellen Abstufungen und nie versagender sinnlicher Kraft war die Folge. Im bewußten Stolz auf die Leistungen der Manufaktur verfertigte man damals einen Gobelin, der einen Besuch Ludwigs XIV. in der Gobelin- manufaktur zur Darstellung bringt. In pompöser zeitgemäßer Art ist dieser Moment festgehalten, mit berechtigter Freude schaffen die Künstler ihre Erzeugnisse vor die Augen ihres Königs. Der Gobelin erscheint wie eine Apotheose des Themas: Künstler im Kunsthandwerk. Wir wissen aber, einer solchen stolzen Aufmachung bedarf diese Idee nicht. Die Einfiußnahme ist dann am wertvollsten und gesündesten, wenn sie notgeboren und von Seite der Künstler als Gewissenssache empfunden wird. Die jüngste Entwicklung unserer eigenen Zeit scheint neuerdings dazu angetan, die Künstler daran zu erinnern, daß es Zeitläufte gibt, in denen sie das Gewissen im Kunstgewerbe bilden. EIN HANDSCHRIFTLICHES MODELBUCH VOM JAHRE 1531 Sie VON RUDOLF BERLINER- MUNCHEN 50' X S ist merkwürdig, daß die Handschrift I. 2 (Lat) ' 80, 22": aus fürstlich Ottingen-Wallersteinschem Besitz bisher unbeachtet geblieben ist, obwohl sie in der Maihinger Schausammlung ausgestellt war. Ist in ihr doch, um das Wichtigste vorauszu- nehmen, ein mit der Hand im Jahre 153i im Birgittenkloster Altomünster (halbwegs Freising und Augsburg) hergestelltes Musterbuch vollkom- men erhalten. Was das für die Erkenntnis der Quellen bedeutet, aus denen die I-Iandwerkskunst schöpfte, ergibt sich, wenn man bedenkt, daß handschriftliche Musterbücher bisher erst aus dem späteren XVII. Jahrhundert bekannt waren. Denn von 4' Codex cart. 1x2, fol. B". Einband; Holz (das rückwärtige Brett wegen Bruches mit einem Pergament- streifen beklebt), gepreßter Pergamentrüeken, Schließen Messing und Leder. - Fol. 2 r Titel, 2 v Verfertigungs-