299 Die Zeit, die Gönner dieser originellen Kunstindustrie, die Auftrag- geber glaubte man also ermittelt zu haben. Aber wer hatte die Gefässe componirt, modellirt, incrustirt u. s. w.? Ein einziges Stück, eine Schüssel im Besitz des Kensington-Museums, weist eine Markey auf, die aber keine Aufklärung gewährt; gewöhnlich wird dieselbe für ein Blatt oder eine Blume angesehen, doch gleicht sie auch, umgekehrt, einer Casquette mit einer Feder; endlich kann sie aus verschiedenen Buchstaben zusammen- gesetzt sein, so etwa, dass das Ganze ein Schild mit den Charakteren J und V wäre. Die Faience Henri lI. steht so vereinzelt da, wie die Palissywaare, so dass man von jeher geneigt war, sie bis in die Werk- stätte eines einzelnen hervorragenden Künstlers zu verfolgen, der von Haus aus wohl schwerlich Hafner gewesen sein möge. Und da an einigen Stücken auch Eidechsen und ähnliches Gethier in plastischer Abforrnung angebracht sind, ähnlich wie am Palissygeschirr, da hier und da auch Schmelzfarben vorkommen, welche an Palissy's Palette mahnen. so dachten Manche daran, diesem Künstler auch das Henri II. zuzuschreiben. Aber abgesehen von der gründlichen Verschiedenheit in den Formen und der Decoration beider Gefässgattungen konnte diese Version schon deshalb wenig Glauben finden, weil in Palissy's Schriften auch nicht die leiseste Andeutung vorkommt, welche auf jenes andere Genre bezogen werden könnte. Die cigenthümlichen Arabesken, welche an den meisten Exemplaren als Flächenverzierung erscheinen, liessen früher auf die Hand eines Gold- schmiedes rathen und natürlich schwebte, wie stets, wenn von Gold- schmiedearbeit aus der Zeit der Renaissance die Rede ist, der Name Ben- venuto Cellini auf den Lippen. Gegen die Autorschaft des Meisters selbst war freilich einzuwenden, dass er in seiner Redseligkeit und Ruhmredig- keit sicherlich nicht verabsäumt haben würde, von solcher Thätigkeit Kunde zu hinterlassen. So liess man denn einige seiner Schüler zu dem Zweck in der Keramik dilettiren, ohne dass hiefür ein Beweis beizubringen wäre. Andere dachten an ein Mitglied der Familie della Robbia, Girolamo, welcher für des Königs Franz l. Lustschloss Madrid im Boulogner Walde gearbeitet hat. Zu dieser Hypothese kam Henri Delange, welcher 186i die meisten bekannten Stücke in Farbendruckcopien publicirte; nur gesellte er nach dem Vorgange Emile Vattiers 3), eines Künstlers, welcher für Sevres gearbeitet hatte, dem Thonplastiker della Robbia den berühmten Schriftschneider, Buchdrucker und Maler Geoffroy Tory zu, denn Vattier - und darin bewies er einen schärferen Blick, wurde durch die erwähnten Arabesken mehr an Buchdruck- und Buchbinder- als an Goldschmiedever- zierungen erinnert. Die Uebereinstimmung mit den aus Bandverschlin- gungen und Ranken combinirten Verzierungen der gleichzeitigen, soge- nannten Groliefschen Einbände ist allerdings frappant. Noch andere und