234 In Tirol ist jetzt eine relativ geringe Neigung vorhanden, sich mit dem Handwerk zu beschäftigen und, seine Kunstfertigkeit einem Gewerbe zu widmen. Es ist daher begreiflich, dass in Folge dessen die Kunst im Handwerk durch lange Zeit in Tirol geringer geschätzt wurde, als sie es verdient. Die Kunsthandwerker des x5. und 16. Jahrhunderts waren viel geschickter, viel geübter und relativ künstlerischbegabter als die gegen- wärtigen. Ist die Trennung von Kunst und Handwerk heutigen Tags in der ganzen Welt stärker, als dies in früheren Jahrhunderten der Fall war, so ist diese Wahrnehmung auch bei den Tiroler Handwerkern zu machen. Allerdings bereitet sich gegenwärtig eine Wendung zum Bessern vor. Das Loos der Künstler ist heutigen Tags kein so glänzendes, dass um des Glanzes und der materiellen Vortheile willen sich Jemand sehr angezogen fühlen könnte, die Künstlerlaulbahn zu betreten. Es gehört gegenwärtig eine grosse Willenskraft, vielfache Entsagung und ein reiches Talent dazu, den Klinstlerberuf zu ergreifen. Im Kunsthandwerk gestaltet sich die Sachlage etwas günstiger. Jeder Handwerker und jeder Industrielle, der sein Metier versteht und sich die entsprechende Kunstfertigkeit erworben hat, kann darauf rechnen, eine achtbare und auch materiell erfolgreiche Stellung im Leben einzunehmen. Die diesjährige Ausstellung in Inns- bruck dürfte viel dazu beigetragen haben, die Ideen hierüber zu klären und Diejenigen aufzumuntern, welche die Kunst im Handwerk pflegen wollen. Die zahlreichen Fachschulen, die jetzt in Tirol existiren und die noch vor einem Jahrzehnt nicht vorhanden waren, sind ein nicht zu un- terschätzendes Bildungselement für das ganze Gebiet der Kunstgewerbe. Da diese Schulen sämmtlich bestimmte Zielpunkte verfolgen, das rein Künstlerische und Akademische ausschliessen und die Zöglinge auf die gewerbliche Thätigkeit hinweisen, so dürfte es nicht zu lange Zeit brau- chen, bis das Kunstgewerbe in Tirol einen erfreulichen Aufschwung nehmen wird. Unter den verschiedenen Arbeiten, welche einzelne Schulen ausgestellt haben, waren nicht wenige, die höchst achtbare Resultate er- zielten und die deutlich zeigten, dass es bisher in Tirol wesentlich nur an Schulung der Kräfte gefehlt hat. Diese Schulung wird jetzt der jüngeren Generation zu Theil, und auch schon unter den gegenwärtigen Gewerbetreibenden gibt es Manche, die sich der modernen Bewegung mit Talent und Erfolg angeschlossen haben. Insbesondere waren es einige Tischlerarbeiten von Trenkwalder und Konzert, sowie einige weib- liche Arbeiten, welche die Aufmerksamkeit der Kunstfreunde erregten. Relativ am wenigsten befriedigten die Gürtlerarbeiten; überhaupt lässt metallurgische Technik in Oesterreich, wenn wir vielleicht Wien aus- nehmen, ausserordentlich viel zu wünschen übrig. Eine exceptionelle Stellung im Kunstleben Tirols nimmt die Glas- rnalerei-Anstalt in Wilten bei Innsbruck ein. Sie hat sich einen Weltruf verschafft und der Leiter dieser Anstalt, Dr. J ele, hat deutlich gezeigt, dass man auch in kleineren Orten ein grosses Institut zur Blüthe