4-36 sie es von Jugend auf gesehen hatten, ohne zu klügeln und abzuwägen, ohne zu ahnen, dass sie Etfecte hervorbrachten, welche einst mit großer Aufmerksamkeit würden studirt werd'en. Nichts kann uns eindringlicher predigen, wie weit wir, gerade die Gebildeten, während des letzten Jahrhunderts in Sachen des Kunstgefühls zurückgeworfen worden sind; nichts deutlicher das Ziel zeigen, welches zu erreichen wir bestrebt sein müssen. Was wir an dem Teppichknüpfer im Orient am meisten bewundern, was wir an ihm beneiden, die Unbe- fangenheit und Sicherheit in den Farbencombinationen, dessen könnte sich auch so mancher Hafner im Abendlande rühmen, freilich in Gegenden, welche abseits der Verkehrscentren liegen. Wie jener an einem Webstuhl von vorhomerischer Einfachheit arbeitet, ist dieser unberührt geblieben von allen Verbesserungen, welche Mechanik und Chemie in die Thon- industrie gebracht haben, seine Farbenpalette ist äußerst beschränkt, aber wie er die wenigen Töne init wenig Kunst hinsetzt, so stimmen sie zu- sammen, gleich denen der wildwachsenden Wiesenblumen. Vergleichen wir die bunten Gefäße, welche in Vorderasien nach Art der rhodischen oder persischen gemacht werden, die Krüge, welche die Stube des sächsischen Bauers in Siebenbürgen schmücken (wer erinnert sich nicht, sie in langen Reihen in dem sächsischen Hause der Ausstellung von 1873 gesehen zu haben), die mancherlei Geschirre aus Calabrien, die aus dem Schwarzwalde stammenden u. s. w.; überall die gleiche glückliche Keckheit in Zeichnung und Färbung. Nun kommt der einsichtige Künstler oder Fabrikant über die Sachen, merkt ihnen die Geheimnisse ihrer Wirkung ab, eignet sich dieselben an - dieselbe Wirkung erreichen kann er nicht. Die einsichtigen, künstlerisch gebildeten unter unseren Fabrikanten sind auch gar nicht in Zweifel darüber, weshalb sie es nicht können. Machen sie ein Kunstproduct höherer Gattung daraus mit strenger Zeichnung, wohlabgewogener Anord- nung, so ist das natürlich etwas ganz anderes; neben den unbestrittenen Vorzügen mangelt ihm doch der Reiz der Naivetät; und der heutige Arbeiter ist wohl gewöhnt, eine Vorlage so treu als möglich zu copiren, nicht aber innerhalb weiterer Grenzen sich selbstständig frei zu bewegen. Auch das liesse sich durch Beispiele in Menge belegen. Was sich in der zuversichtlichen Schöpfung des bescheidenen Hafners ausspricht, wird in der ängstlich abgezirkelten Nachbildung des Fabriksarbeiters uninteressant, die Unvollkommenheit, z. B. im Zeichnen des Figuralen, an der wir dort keinen Anstoß nehmen, wird beleidigend. Aehnlich verhält es sich mit vielen älteren Majoliken und Fayencen. Es kann Niemandem einfallen, alles Gefällige und Originelle an solchen Arbeiten als aus bewusster Absicht entstanden anzusehen. Eine besonders elfectvolle oder interessante Glasur ist höchst wahrscheinlich durch den Zufall zuwegegebracht und dem Verfertiger vielleicht nicht zum zweitenmal gelungen; oder er kam doch erst nach vielen Experimenten darauf, dass etwa ein Luftzug während des Brandes die neue Farbennuance geschaffen