94 wesentlich beitragen zum Vliachsthume der Städte, wo sie sich als zünftiger Kern des Bürgerstandes bald kaiserlich verbriefter Rechte erfreuen; so in Hannover, Magdeburg, Strassburg und bereits seit dem dreizehnten Jahrhunderte auch in NVien. Die Reimchronik Ottokars, die Aufgebotsordnung von 1415 und das noch nicht gehorig gewürdigt: Innungs- buch von 1430 im hiesigen Stadtarchive werfen die lehrreichsten Schlaglichter auf die stattliche Zahl von Handwerkern und den Betrieb der überraschend verschiedenartigen Gewerbe. Es lasst sich ein ziemlich paralleler Gang mit Mainz, Cöln und Nürnberg ver- folgen von der gesellschaftlichen Hebung des Handwerkers von der untersten Stufe bis zu jener Höhe des Bürgerstandes, von der im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderte ein neuer Geist der Bildung sich über ganz Europa verbreiten sollte. Doch kam in Oester- reich die Blüthe des kleinen und Kunstgewerbes nie in ihrer Reinheit zur Ausbildung. Seine vorgeschobcne Lage gegen Osten. die beständigen inneren und ausseren Kämpfe und, man muss wohl sagen, manche verfehlte Eingriffe liessen es verbaltnissmässig gegen Deutschland zurückbleiben. Die Städte Enns, Steyer, Neustadt, Graz und Innsbruck hielten sich nur auf dem Niveau der Mittelmässigkeit. Wien selbst macht allerdings eine glänzende Ausnahme, und Aeneas Silvius Piccolomini, der nachmalige Papst Pius II., konnte 1453 ' mit vollem Rechte schreiben: vBeim Eintreten in ein Wiener Bürgerhaus glaube man, in den Palast eines Fürsten zu kommenm So sehr wetteiferten Bürger und Adeli e in der Ausstattung 'ihrcr Kleidung und Wohnung, dass der Bedarf des Luxus durch eimische Erzeugnisse nicht mehr befriedigt und vielfach (wohl auch unter dem Einflüsse der Mode) durch die Einfuhr aus Deutschland, den Niederlanden und Italien gedeckt werden musste. Das verhältnissmassige Zurückbleiben des gewöhnlichen und des veredelten Gewerbes in Oesterreich hat aber gleichzeitig bewirkt , dass der gewaltige Umschwung, der sich im sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderte mit dem deutschen Gewerbe vollzog, sich hier nicht so verderblich geltend machte. Seit der Entdeckung des Seeweges nach Ost- und West-Indien konnte Deutschland der Concurrenz von Frankreich und England nicht Stand halten. Der Verfall nahm einen erschrecklich jähen Verlauf, dem bei der überhandneh- menden Indolenz bezüglich Nord-Deutschlands kaum die äussersten Anstrengungen der brandenburgischen Fürsten Einhalt gebieten konnten. Deren Ziel war eben, die franzö- sische Ueberlegenheit durch französische Waffen zu besorgen mittelst einsichtiger Fliege jenes Systems der inneren Wirthscbaft, welches von den französischen Königen seit Hein- rich IV. geübt und von dem Minister Colbert zu seiner Hohe gebraeht wurde. Regierungs- rath Neumann führte seinen Zuhörern die volkswirthschaftlichen Refon-nen jenes Staats- mannes, ihre Principien und die Art ihrer Durchführung vor Augen. Er that dies alles mit ziemlicher Ausführlichkeit, weil ohne deren richtiges Verstandniss eine Bcurtheilung jener heilsamen Massnahmen unmöglich ware, welche Kaiser Leopold I. zur Hebung des öster- reichischen Gewerbes ergriff. Die bestandigen Kriege mit Frankreich, den Türken und den ungarischen Malcon- tenten, dazu die dreiundzwanzigjährige Finanzgebahrung des Hotkamrnerpräsidenten Sin- zendorf hatten die Staatsmittel vollständig erschöpft. Alle Regalien, Zölle "und Staatsgüter waren verpßndet, die Schuldenlast konnte gar nicht festgestellt werden; der Wohlstand der Bevölkerung hatte furchtbar gelitten, allenthalben trat ein empündlicher Mangel an Hand- werkern hervor und der Auswanderungslust musste mit Gewalt gesteuert werden. Wie konnte es aber mit dem heimischen Gewerbe besser stehen, da in allen Schichten der Gesellschaft eine beispiellose Vorliebe für alles Ausländische, besonders alles Französische platzgegriffen hatte und jährlich ganz kolossale Summen aus dem Lande führte. Da ist die Antipathie des Kaisers, der für jene Missverhaltnisse offenen Blick hatte, gegen Frank- reich begreiflich; gleichzeitig strebte er aber, nach den Rathschlagen des Grafen Jörger, des Freiherrn v. Schröder und des Commercienrathes Becher, die in Frankreich von so grossartigem Erfolge begleiteten wirthschaftlichen Refonnen Colberts im eigenen Lande zur Hebung des darniederliegenden Gewerbes und Wohlstandes einzuführen. Die einsei- tige Autfassung des Prohibitivsystemes, die unglückliche Wahl der Personen, Welchen die Durchführung der Reformen übergeben ward, persönliche Zwistigkeiten der zahlreich vom Auslande zur Schulung der heimischen Krafte berufenen Künstler, die schiefen Mass- regeln Sinzendorfs und immer wieder- der Krieg legten jedoch die besten Plane des Kaisers und seiner Rathe lahm. So ging unter Anderem das Werkhaus in Wien, welches als eine Art Kunsrgewerbeschule wirken sollte, bald wieder zu Grunde; nur in Sachen der Wissenschaft und der grossen Kunst wurde trotz aller Widerwartigkeiten der damals gelegte Keim nicht ertödtet. Die Bibliothek des Kaisers, unter der Leitung des bekannten Lambecius, gedieh vortrelflich, die Münz- und Antikensammlung bildete bald einen aus- giebigen Stock für das kaiserliche Kunstcabinet und die zahlreichen Gemälde, welche der Kaiser von seinem Oheim Erzherzog Leopold erbte, für das spätere Belvedere. Endlich wurde dem früheren Hofmaler des Pfalzgrafen bei Rhein, Peter Strudel, die Einrichtung einer Akademie der bildenden Künste übertragen und 1701 konnte dieselbe erölfnet werden. Durch ein merkwürdiges Zusammentreffen sollen unter ähnlich misslicher wirthschaftlicher Lage der Gesellschaft wie vor zweihundert Jahren ijene Schöpfungen Kaiser Leopolds in